Horst D. Deckert

Bangladesch: Situation in der Bekleidungsindustrie ist seit 2020 noch prekärer geworden

Modeketten wie H&M, Zara oder Mango lassen einen Teil ihrer Bekleidung in Bangladesch produzieren. Das dürfte allgemein bekannt sein. Bis heute dürfte jedoch weniger ins öffentliche Bewusstsein gedrungen sein, dass Billiglohnländer in der Zeit von 2020 bis 2022 durch eine dünne Auftragslage und Lieferstopps während der Lockdowns stark gelitten haben.

Eine Studie der University of Aberdeen sowie der Organisationen Center for Global Development und Transform Trade befasst sich mit den Auswirkungen der «Pandemie» auf die Arbeiter der Bekleidungshersteller in Bangladesch. Das Medienportal Global Research hat Auszüge dieser Studie jüngst veröffentlicht.

So hätten Untersuchungen aus den Jahren 2020/2021 ergeben, dass die Arbeiter, insbesondere die Arbeiterinnen, in dieser Zeit stark unter den wirtschaftlichen Einbussen und den Lockdowns gelitten haben. Diese Gefährdung sei wohl durch unethische und unfaire Praktiken der globalen Bekleidungs- und Modehändler (Käufer) verschärft worden. Aus frühen Berichten über die Auswirkungen der «Pandemie» auf die Bekleidungsindustrie gehe hervor, dass Einzelhändler Aufträge stornierten, sich weigerten, für laufende Arbeiten zu zahlen und bei neuen Aufträgen niedrigere Preise verlangten.

So zeige beispielsweise der Tracker des Worker’s Rights Consortium, dass von 46 Marken, die in den Tracker aufgenommen wurden, 21 nicht verpflichtet waren, für Aufträge zu zahlen, die im März 2020 abgeschlossen oder in Produktion waren. Der Tracker zeigt an, welche Firmen sich zurzeit der «Pandemie» verantwortungsbewusst gegenüber Zulieferern und Arbeitern verhielten und welche letztendlich nicht für abgeschlossene Aufträge zahlten. Die Studienautoren betonen, dass es wichtig sei, weitere Forschungen zu betreiben, um dokumentieren zu können, wie sich die Praktiken globaler Einzelhändler auf die Akteure der Branche, die Hersteller (Lieferanten) und die beschäftigten Arbeitnehmer auswirken.

Die Folgen der Einkaufspraktiken globaler Bekleidungseinzelhändler für die Zulieferer während der «Covid-19-Krise» und deren direkte Auswirkungen auf die Beschäftigungspraktiken der Zulieferer, wie zum Beispiel Fluktuation, Verlust von Arbeitsplätzen und gesetzliche Mindestlöhne, seien bis heute noch nicht ausreichend erforscht. Die vorliegende Studie befasst sich mit solchen Forschungslücken.

Insbesondere wollten die Studienautoren die unlauteren Handelspraktiken der globalen Einzelhändler gegenüber ihren Zulieferern in Bangladesch untersuchen, einschliesslich der plötzlichen Stornierung von Aufträgen, Preisreduzierung, Verweigerung der Zahlung für versandte und produzierte Waren und Verzögerung der Rechnungsbegleichung während der «Pandemie».

Für Bangladeschs Wirtschaft ist die Bekleidungsindustrie die wichtigste Triebkraft. Sie bietet dem Land den Anschluss an grosse globale Märkte des Nordens, insbesondere in Westeuropa und Nordamerika. Als Bangladesch in den späten 1970er Jahren mit dem Export von Konfektionskleidung begann, machte der Bekleidungssektor weniger als 4 Prozent der Gesamtexporte aus; 2018 bis 2019 war dieser Anteil auf 84 Prozent gestiegen.

Mit einem Anteil von rund 20 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist die Bekleidungsbranche der wichtigste Produktionssektor in Bangladesch. Er beschäftigt rund vier Millionen Arbeitnehmer. Dies entspricht etwa 43 Prozent der Arbeitnehmer im formellen Sektor. Dabei handelt es sich bei der Hälfte um Arbeiter aus ländlichen Gebieten. Mehr als 12 Millionen Menschen sind in Bangladesch auf diesen Sektor angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die Industrie bietet auch Frauen eine Beschäftigung. Und das ist eine Ausnahme, denn gemäss der Tradition dürfen in Bangladesch Frauen üblicherweise nicht im formellen Sektor arbeiten.

«Bangladesch befindet sich jedoch in einem Wettlauf nach unten, da die Ausbeutung in diesem Sektor mit einem zunehmend wettbewerbsorientierten internationalen Markt zusammenhängt, auf dem die Einzelhändler im globalen Norden ihre Marktmacht nutzen. Bereits 2020 haben sie ihre Lieferanten zu Preisnachlässen gedrängt.»

Mit dem Beginn der «Pandemie» im globalen Norden sahen Marken und Einzelhändler die Gefahr eines Nachfragerückgangs nach Konfektionskleidung, der zum Teil durch staatlich verordnete Schliessungen von Ladengeschäften und Heimarbeit verursacht wurde. Wie aus der Studie hervorgeht, sah sich die Bekleidungsindustrie in Bangladesch bis zum 24. März 2020 mit Verschiebungen und Stornierungen von Exportaufträgen im Wert von fast 2 Milliarden Dollar konfrontiert. Diese waren hauptsächlich für Europa und Nordamerika bestimmt.

Gemäss der Studie soll sich dieser Betrag im Juni 2020 auf bis zu 3,7 Milliarden Dollar erhöht haben. Infolge der Einkaufspraktiken der Einzelhändler konnten die Fabriken nach eigenen Angaben weniger Arbeitnehmer beschäftigen als im März 2020. Von Juni 2020 bis Dezember 2021 stieg die Beschäftigung um 23 Prozentpunkte, aber viele ehemalige Arbeitnehmer wurden nach den Lockdowns nicht wieder eingestellt. Sofern sie in ihren alten Job zurückkonnten, mussten sie in der Regel neue Verträge unterzeichnen. Das bedeutete, dass sie ihre erworbenen Ansprüche auf Abfindungs- und Rentenleistungen verloren.

«Unsere Untersuchungen über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Arbeitnehmer zeigen, dass der Verlust des Arbeitsplatzes die ehemaligen Arbeitnehmer verletzlich machte. Gleichzeitig wurden viele derjenigen, die weiter beschäftigt waren, gemobbt und schikaniert, um ihr Arbeitstempo zu erhöhen. Zudem wurden sie gezwungen, unbezahlte Überstunden zu machen, um die knappen Fristen der Einkäufer einzuhalten. Für andere bedeutete der Rückgang der Nachfrage seitens der Käufer, dass es keine Überstunden gab. Die Arbeitnehmer hatten Mühe, sich und ihre Familien ohne bezahlte Überstunden zu versorgen.»

Fast jede fünfte Fabrik in Bangladesch berichtete, dass sie Schwierigkeiten hatte, ihren Beschäftigten den Mindestlohn zu zahlen, wobei die kleinen Fabriken (34%) grössere Schwierigkeiten hatten als die mittleren (16%) und grossen Fabriken (12%). Mehr als drei Viertel der Fabriken schienen die gestiegenen Rohstoffkosten und die Kosten durch die Lockerung der Corona-Massnahmen auffangen zu können.

Die unlauteren Praktiken der Einzelhändler haben sich laut der Studie negativ auf die finanzielle Lage der Fabriken und ihrer Beschäftigten ausgewirkt. Die Untersuchung der Auswirkungen von «Covid-19» auf die Arbeiter in den Fabriken habe ergeben, dass von ihnen erwartet wurde, schneller zu arbeiten, um unerreichbare Produktionsziele zu erzielen. Zudem seien sie die Arbeiter gezwungen worden, unbezahlte Überstunden zu leisten, bis die Ziele erreicht waren.

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Die vollständige Studie «Impact of Global Clothing Retailers’ Unfair Practices on Bangladeshi Suppliers During Covid-19» der University of Aberdeen und der Organisationen Center for Global Development und Transform Trade ist hier zu finden.


Impact of global clothing retailers’ unfair practices on Bangladeshi suppliers during Covid-19

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