Horst D. Deckert

Buchtipp: Der «Regime Change» in Moskau ist das Ziel

Der Krieg in der Ukraine ist vor allem auch ein Krieg um die Deutungshoheit. Gerade in den westlichen Staaten ist die Sicht auf diesen Konflikt eine sehr eindimensionale. Die Guten, das sind die Ukrainer. Die Schlechten, das sind die Russen. So lautet die verkürzte Erzählung. Mit der Realität hat sie aber nichts zu tun.

Das wissen zwar auch viele Bürger. Doch durch die anhaltende Wucht der täglichen Propaganda ist es selbst für kritische Zeitgenossen nicht immer einfach, dieser Lawine der Desinformation zu entkommen.

Dafür muss man sich schon sehr gut mit den Hintergründen des Konfliktes in Osteuropa auseinandergesetzt haben: Genau das tat der Publizist Wolfgang Bittner in seinem neusten Buch «Ausnahmezustand – Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts».

Schriftsteller Bittner weiss, worüber er schreibt: Schon seit Jahren befasst sich der promovierte Jurist und Autor zahlreicher Bücher mit dem Thema Ukraine. Für Bittner geht es im jetzigen Krieg um weit mehr als nur um die Ukraine. Es handle sich um einen Krieg der USA gegen Russland. Dieser sei ohne den historischen Hintergrund nicht zu verstehen.

Als grossen Fehler erachtet Bittner die NATO-Osterweiterung nach dem Ende des Kalten Krieges. Kritisch sieht er auch die Rolle Deutschlands: Ab den 90er Jahren sei das Land «zum Frontstaat gegen Russland hergerichtet» worden. Treibende Kraft dahinter: die USA.

Die Weltmacht Nummer eins sei es auch gewesen, die den «Kalten Krieg wieder aufleben» liess. Die Strategie dafür ist schon lange bekannt. Zbigniew Brzezinski, der inzwischen verstorbene polnisch-amerikanische Politikwissenschaftler und ehemalige Sicherheitsberater von Präsident Jimmy Carter, beschrieb sie im Buch «Die einzige Weltwacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft». Die Devise lautete seither: Die USA müssen sich auf dem eurasischen Kontinent durchsetzen können. Nur so können sie die globale Vorherrschaft erlangen. Entscheidend hierfür ist die Ukraine.

«Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr. (…) Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millionen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Russland automatisch die Mittel, ein mächtiges, Europa und Asien umspannendes Reich zu werden», schrieb Brzezinski schon 1997.

Das Engagement der USA könne man nur vor diesem Hintergrund verstehen, so Bittner. Für den Autor war die US-Regierung 2014 mitverantwortlich für den Putsch gegen den damaligen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Die sogenannte Annexion der Krim sowie auch der darauffolgende Krieg wären ohne den «Regime Change» nicht möglich gewesen.

Denn gleich danach, im Frühjahr 2014, begann der eigentliche Krieg gegen die russischsprechenden Landsleute im Osten und Süden des Landes. An der Spitze standen damals der ehemalige Ministerpräsident Arseni Jazenjuk und ab dem Sommer 2014 Präsident Petro Poroschenko.

Nun forcierten westliche Machteliten eine Annäherung an die EU sowie auch an die NATO. Eine Entwicklung, die für Russland stets gefährlich war. Mehr noch: Ein NATO-Beitritt markierte für Russland immer die rote Linie.

Dies hinderte die Kriegstreiber in den USA aber nicht daran, weiterhin kolossale Summen in die Ukraine zu investieren und gegen Russland aufzurüsten. Für Bittner steht fest: Das Ziel ist «Regime Change in Moskau». Leidtragender ist Europa, insbesondere Deutschland.

Das Land, das auf billiges Gas aus Russland angewiesen ist, schneide sich mit der jetzigen Sanktionspolitik mehr und mehr ins eigene Fleisch. Die Zeche zahlen die Bürger, die sich mit steigenden Preisen und einer unsicheren Wirtschaftslage arrangieren müssen.

Doch auch sonst ist für Bittner vieles nicht mehr zum Besten bestimmt in Deutschland. Seit Russland die Ukraine 2022 angegriffen hat, sieht der Autor auch eine zunehmende gesellschaftliche Verrohung der Sitten. Meinungseinfalt und die Einschüchterung kritischer Stimmen stehen an der Tagesordnung.

Ein Unding für Bittner. Der Autor kann aus eigener Erfahrung sprechen. Seine Äusserungen zur Ukraine brachten auch ihn zuletzt in Schwierigkeiten. Für Präsident Wolodimir Selenski und dessen Unterstützer im Westen ist Bittner ein Dorn im Auge.

Das dem ukrainischen Präsidenten unterstehende Zentrum zur Desinformationsbekämpfung (CCD) hat Bittner neben weiteren Deutschen, wie Alice Schwarzer oder SPD-Politiker Rolf Mützenich, 2022 auf die sogenannte «Schwarze Liste» gesetzt.

In den Augen der ukrainischen Regierung stehen auf der Liste Persönlichkeiten, die russische Propaganda betreiben würden. Einzelne Aufgelistete wurden in den vergangenen Monaten ermordet. Daraus macht man in der Ukraine auch kein Geheimnis.

Kyrylo Budanow, Chef des Militärnachrichtendienstes, sagte jüngst, dass die ukrainischen Spezialeinheiten bereits «eine ganze Reihe von Menschen erfolgreich ins Visier genommen» hätten.

Keine Kleinigkeit. Sicher ist: Wer auf der Liste steht, für den kann es rasch sehr ungemütlich werden. Das bekam Bittner selbst zu spüren: Innerhalb der deutschen Schriftstellervereinigung PEN geriet Bittner massiv unter Druck.

Das PEN-Präsidium distanzierte sich von Bittners Äusserungen zum Ukraine-Krieg und stellte den Schriftsteller als Russland-Propagandisten dar. Einige der Mitglieder forderten sogar Bittners Ausschluss aus der Vereinigung. Willkommen in Deutschland im Jahr 2022 respektive 2023.

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Kritisch anmerken darf man zu Bittners Buch: Menschen, die sich schon seit längerem mit dem Ukraine-Konflikt befassen, werden beim Lesen des Buches wenig Neues dazulernen. Dafür ist das Buch aber gerade für diejenigen, die sich bisher vermehrt über die grossen Medien über das Geschehen in der Ukraine informiert haben, umso wichtiger: Denn Bittner gelingt es, dem Leser einen umfassenden Überblick über den Konflikt zu verschaffen.

Zum Autor:

Wolfgang Bittner lebt als freier Schriftsteller in Göttingen. Nach dem Abitur studierte er Rechtswissenschaft, Soziologie und Philosophie in Göttingen und München. Er schreibt für Erwachsene, Jugendliche und Kinder, wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und erhielt mehrere Literaturpreise. Er arbeitete für Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen und sass von 1996 bis 1998 im WDR-Rundfunkrat. Er lehrte im In- und Ausland.

Buch-Hinweis:

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Wolfgang Bittner: Geopolitische Einsichten und Analysen unter Berücksichtigung des Ukraine-Konflikts. Zeitgeist, 2023. 288 S., 19,90 €. ISBN: 978-3-943007-47-3

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