Horst D. Deckert

Buchtipp: «Die Akte Scholz»

Die sogenannte Cum-ex-Affäre hängt noch immer wie ein Damoklesschwert über Bundeskanzler Olaf Scholz. Seit Jahren wird untersucht, ob Scholz Einfluss auf den Steuerfall der in den «Cum-Ex»-Skandal verstrickten Warburg-Bank genommen hat.

Nun soll auch der Bundestag einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Mitte September soll zudem der Strafprozess gegen Ex-Warburg-Chef Christian Olearius starten. Klar dürfte sein: Die Sache könnte auch für Scholz noch heiss werden.

Richtig ins Rollen kam die Angelegenheit 2022, nachdem die Journalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein die Cum-ex-Affäre von Scholz in ihrem Buch «Die Akte Scholz – Der Kanzler, das Geld und die Macht» aufdeckten. Aufgrund der brennenden Aktualität veröffentlichen wir an dieser Stelle Auszüge aus dem Buch.

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Olaf Scholz ist fast pünktlich. Um 14.02 Uhr betritt der Bundeskanzler den holzvertäfelten Plenarsaal der Hamburgischen Bürgerschaft. Freundlich lächelnd begrüsst er alte Bekannte, den Ausschussvorsitzenden Mathias Petersen, den CDU-Obmann Richard Seelmaecker. Dann nimmt er auf dem schweren Lederstuhl rechts vom Präsidium Platz, an dem ein Schild steht: «Olaf Scholz, Zeuge».

Den Stuhl mit der abgeblätterten Farbe an den Armlehnen kennt Scholz sehr gut. Wenn die Bürgerschaft tagt, ist hier der Platz des Ersten Bürgermeisters. Als Scholz zum letzten Mal hier sass, galt er als «König Olaf», die unangefochtene Nummer eins der Hamburger Politik. Nun ist er die Nummer eins der Bundesrepublik, aber alles andere als unangefochten.

Scholz, der sich früher gerne rühmte, jedes Thema bis zum Ende durchdacht zu haben, dessen Erfolgsmodell es war, jedes Detail zu kennen, wirkt zunehmend überfordert mit der Menge, der Komplexität und der Geschwindigkeit der Themen im Kanzleramt.

Der russische Angriffskrieg und die Fragen der Waffenlieferungen an die Ukraine; die durch den Konflikt verursachte Energiekrise; die galoppierenden Preissteigerungen in allen Lebensbereichen – Scholz scheint keine Antworten zu finden, und wenn doch, hagelt es Kritik, wie undurchdacht die Lösungen sind.

Der Kanzler fand grosse Worte wie die «Zeitenwende», aber es folgte keine grosse Politik. Scholz’ Selbstinszenierung als der besonnene Macher, der sich nicht von den Untiefen der Tagespolitik beirren lässt, sondern mit klarer Führung die Einhaltung der grossen Linien überwacht, steht immer öfter im seltsamen Kontrast zur Geschwindigkeit der Ereignisse. Wie in der G-20-Nacht wirkt Scholz überfordert von der Dynamik. Er reagiert öffentlich gereizt, kommt beratungsresistent rüber, unverbesserlich.

Und dann ist da auch noch Cum-ex. Scholz wird die Affäre nicht los. In den vergangenen Wochen sind zahlreiche Ermittlungsergebnisse aus den Akten der Staatsanwaltschaft durchgesickert. Die Nachricht vom «teuflischen Plan», die Svenja Pannhusen an eine Kollegin schrieb. Die mehr als 200’000 Euro im Bankschliessfach von Johannes Kahrs. Der Verdacht der Ermittler, dass in Hamburg gezielt Mails gelöscht worden sein könnten.

Obwohl unklar ist, ob das Geld im Postfach überhaupt mit dem Fall zu tun hat, obwohl es bei der Nachricht von Pannhusen keine Verbindung zu Scholz gibt, obwohl sich der Verdacht, dass im grossen Stil Mails gelöscht wurden, vor allem gegen die Hamburger Verwaltung richtet, erreicht der Skandal das Kanzleramt mit voller Wucht.

Es geht nun nicht mehr um das komplexe Thema Cum-ex, sondern um eine Krimigeschichte, in die auch der Kanzler involviert ist. Und es stellen sich Fragen an Scholz: Warum hat er mutmassliche Steuerbetrüger überhaupt mehrfach ins Rathaus eingeladen, um über ihre Steuerprobleme zu reden? Warum hat er ihnen noch Tipps gegeben, wie sie mit dem Fall umgehen sollen?

Warum hat er nicht gleich reinen Tisch gemacht? Und ist es wirklich möglich, solche Treffen komplett zu vergessen? Scholz’ alte Regel – nicht jammern, nicht erklären und die Themen aussitzen – funktioniert nicht mehr. In der Bundespressekonferenz hat er es zunächst locker versucht.

Als eine Bild-Journalistin fragte, was er über das Geld im Schliessfach von Johannes Kahrs wisse, antwortete der Kanzler: «Nichts.» Und als die Journalistin nachsetzte, was Scholz glaube, wo das Geld herkomme, sagte Scholz spitzbübisch: «Keine Ahnung. Ich nehme an, Sie wissen es eher als ich.»

Wenig später hakte allerdings der holländische Journalist Rob Savelberg noch einmal nach: «Nach Ihrer Anweisung, nachdem Sie den Mann doch getroffen haben mehrmals, woran Sie sich erst mal nicht erinnern konnten, jetzt doch, danach durfte er das von seiner Bank geklaute Geld behalten. Das ist auch so eine Tatsache, das sind Fakten, das ist bewiesen», sagte der Journalist, als ihm Scholz ins Wort fällte.

«Nein, das ist keine Tatsache», sagt er. «Sie können sich darauf verlassen, dass ich nicht zu den Leuten zähle, die so etwas machen. Aber Sie würden diese Tatsachenbehauptung nicht erhärten können.» Scholz blickt nun sehr streng, macht eine kleine Pause, betont noch einmal: «Wenn Sie es müssten.»

Der Moderator ruft bereits die nächste Frage auf, als Scholz noch einmal Savelberg fixiert und droht: «Sie würden sie nicht erhärten können, wenn Sie es müssten. Bedenken Sie das, wenn Sie so etwas sagen.»

Verlassen kann sich Scholz weiterhin auf seine Hamburger Behörden. Kurz vor seinem Autritt im Untersuchungsausschuss ist bekannt geworden, dass die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg die Beschwerde von Rechtsanwalt Strate gegen die Ablehnung seiner Anzeige abgeschmettert hat. Sie schliesst sich vollumfänglich der Staatsanwaltschaft an.

Doch auch das hat nicht die gewünschte Entlastung gebracht. Den meisten Journalisten ist inzwischen klar, dass der Massstab für das Handeln eines Bundeskanzlers nicht allein das Strafrecht ist. Nur weil Scholz bei seinen Treffen und dem Telefonat mit Christian Olearius nach Ansicht der Hamburger Staatsanwaltschaft nicht gegen Gesetze verstossen hat, ist er nicht entlastet. Von einem Kanzler erwarten die Bürger einen moralischen Kompass, mit wem man sich einlässt und mit wem nicht.

Auch Wolfgang Schmidt versucht in bewährter Art, Unbill von seinem Chef fernzuhalten. Als Kanzleramtsminister ist er nicht mehr so aktiv auf Twitter wie früher, im Hintergrund agiert er dagegen weiter.

Als ihm vor wenigen Tagen mehrere Medien Fragen zugeschickt und zugleich weitere Enthüllungen auch zum Kanzler angekündigt haben, wendete er sich mit langen Nachrichten an die Chefredaktion. Darin unterstellte er den Autoren dieses Buches Falschbehauptungen und verzerrte Darstellungen, schreckte vor Diffamierungen nicht zurück. Versuchte mit «Verwirrung durch Komplexität» die Texte zu verhindern oder zu verwässern.

Doch die Methode Schmidt funktioniert nicht mehr. Die Chefredakteure haben sich nicht beirren lassen und selbstverständlich wie immer alle Fakten ausgiebig gecheckt. Einen Tag vor Scholz’ Auftritt haben Stern und manager Magazin eine weitere grosse Recherche veröffentlicht.

Darin haben sie enthüllt, dass Scholz sich in der VS-vertraulichen Sitzung des Bundestages sehr wohl noch an Inhalte des Treffens erinnern konnte. Und sie haben berichtet, dass die Ermittler das Postfach von Scholz’ Büroleiterin Jeanette Schwamberger durchsucht haben und im Finanzministerium offenbar diskutiert wurde, wie man Termine mit Pawelczyk und Kahrs einsortiert.

Die Warburg-Affäre ist nun omnipräsent, auch international. Die New York Times hat berichtet, der britische Guardian. Am Morgen hat die Bild-Zeitung noch einmal alle wesentlichen Tagebucheinträge von Olearius zusammengestellt:

«Erinnern Sie sich JETZT, Herr Bundeskanzler?», fragt das Blatt und fordert in einem Kommentar von Scholz endlich «Mut zur Wahrheit».

Parallel hat das Meinungsforschungsinstitut Civey eine Umfrage veröffentlicht: 72 Prozent der Deutschen finden, Scholz hat nicht genug getan, um die Cum-ex-Affäre aufzuklären. 79 Prozent wünschen sich, dass er mehr zur Aufklärung beiträgt.

Olaf Scholz gibt sich trotzdem betont locker. «Ich freue mich, nach langer Zeit wieder in Hamburg zu sein, ganz besonders an diesem Platz», sagte er zur Begrüssung im Untersuchungsausschuss. Er wird sein Eingangsstatement auch kürzer halten als beim letzten Mal. Dann liest der Bundekanzler eine Erklärung vom Blatt ab.

Wesentlich Neues ist nicht dabei. Er habe sehr, sehr viele Gespräche mit Vertretern der Stadtgesellschaft geführt, sagt Scholz. «Es hat keine Vorzugsbehandlung von Herrn Warburg oder Herrn Olearius gegeben.»

Er habe keine konkrete Erinnerung an die Treffen, aber: «Ich habe auf das Steuerverfahren Warburg keinen Einfluss genommen.» (…) Am Ende seiner 20-minütigen Rede sagt er: «Ich hege die leise Hoffnung, dass die Unterstellungen nun enden.»

Die Befragung durch den Ausschuss beginnt: (…) Die Abgeordneten fragen, Scholz berichtet von Erinnerungslosigkeit in allen Facetten. Es ist ein unwürdiges Spiel. Der Ton zwischen den Abgeordneten und dem Bundeskanzler wird im Lauf der Befragung zunehmend spitzer. (…)

Auf der Pressetribüne ist die Stimmung nach Ende der Befragung einhellig: Erschrecken über einen Kanzler, der angeblich massiv vergesslich ist, gleichzeitig aber mit grösster Arroganz gegenüber dem Parlament auftritt: «Kanzler Weissnix», wird die Bild am nächsten Tag titeln. «Meister der Gedächtnislücken», schreibt die Zeit.

Die Umfragen sehen katastrophal aus für Olaf Scholz. 62 Prozent der Deutschen geben an, nicht mit seiner Arbeit zufrieden zu sein, ermittelt das Meinungsforschungsinstitut Insa. Wäre am Sonntag Bundestagswahl, käme Scholz’ SPD weit abgeschlagen hinter der CDU und Grünen auf nicht einmal 20 Prozent der Stimmen. (…)

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Über die Autoren:

Oliver Hollenstein ist leitender Redakteur beim manager Magazin. Oliver Schröm ist Autor des Bestsellers die «Cum-Ex-Files» und arbeitet für das ARD-Magazin «Panorama».

Buch-Hinweis:

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Oliver Schröm, Oliver Hollenstein: Die Akte Scholz – der Kanzler, das Geld und die Macht Ch.Links-Verlag, 2022. 392 S., 14 €. ISBN: 978-3-96289-177-0

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