Horst D. Deckert

Corona macht’s möglich: In Spanien blüht das Denunziantentum

Vor allem den Deutschen wird nachgesagt, sie hätten das Denunziantentum im Blut. Ein Vorwurf, der aufgrund historischer und aktueller Ereignisse nicht komplett von der Hand zu weisen ist. Von Spaniern haben Mittel- und Nordeuropäer dagegen oft das Bild, sie würden gerne mal alle Fünfe gerade sein lassen und die Leichtigkeit des Seins im sonnigen Süden genießen.

Doch seit Beginn der Corona-Krise zeigen sich noch andere Facetten der spanischen Mentalität: Die Obrigkeitshörigkeit ist fest verankert im Wesen vieler Menschen, vier Jahrzehnte Franco-Regime haben ihre Spuren hinterlassen. Und da die Diktatur noch gar nicht so lange her ist – die ersten freiheitlichen Wahlen seit 1936 wurden 1977 durchgeführt –, ist das demokratische Bewusstsein noch ausbaufähig.

Kritik an den höchst totalitären Massnahmen der Regierung sind deshalb rar und werden vielleicht mal bei einem Bier in einer Bar geäussert, wenn sie denn gerade mal geöffnet haben, aber ansonsten folgt der Grossteil der Bevölkerung gehorsam den Anweisungen der verantwortlichen Politiker und schweigt.

Auch das Denunziantentum im Land blüht. Im Laufe des vergangenen Jahres häuften sich in den Lokalzeitungen die Meldungen darüber, dass die Polizei «illegale» Treffen von Familienangehörgen oder Freunden zur Anzeige brachte, die sich trotz des willkürlich auferlegten Kontaktverbots mit mehreren Personen in ihren Wohnungen trafen. Als Hinweisgeber wurden die Nachbarn genannt.

Das Blockwartdenken ist im Alltagsleben eingezogen. Dies belegt auch ein kurzes Video, das vom Medienportal El Diestro veröffentlicht wurde. Zu sehen ist ein Mann, der eine Frau daran hindert, den Aufzug zu benutzen, weil sie keine Maske trägt.

Zu diesem Zweck blockiert der vorbildliche Bürger die Aufzugtür und fordert die Frau auf, ihm zu erklären, warum sie sich den offiziellen Anweisungen widersetzt. Sie müsse ihm beweisen, dass sie aus gesundheitlichen Gründen keine Maske trägt. Ein Polizeibeamter ist er zwar nicht, wie er zugibt, trotzdem sieht er es als seine Bürgerpflicht, derartige Kontrollaufgaben zu übernehmen. Fazit: Die Corona-Pandemie erlaubt tiefe Einblicke in die menschliche Psyche.

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