Es gibt gesellschaftliche Entwicklungen, die in einem Land oder in einer Kultur in hoher Regelmäßigkeit am Ende ihrer Existenz auftreten, die aber quasi nie davor eine Rolle spielen. Diese Weisheit ist so alt, dass sie sogar in der Bibel beschrieben wird. Dennoch müssen wir immer wieder von neuem lernen und den schmerzhaften Prozess durchmachen, wenn wieder einmal das Ende der Fahnenstange erreicht ist und sich eine gestern noch gesunde Kultur wie aus dem Nichts plötzlich in den Abgrund stürzt. Wir – im Sinne der europäisch-westlich geprägten Kultur – scheinen uns kurz vor diesem Zusammenbruch zu befinden.
International Man: Wie Imperien zu Grunde gehen
Geschichte wird im Allgemeinen von Akademikern geschrieben, die gerne dazu neigen, sich auf die wichtigsten Ereignisse zu konzentrieren. In der Regel sind das Kriege und die internen und extenen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Herrscherhäusern. Auch wenn diese Art der Geschichtserzählung interessant und spannend zu lesen sein kann, übersehen Historiker naturgemäß oft die tiefer liegenden Ursachen für den Niedergang eines Imperiums.
Wie in jeder Epoche sind die meisten Menschen auch heute in erster Linie an den „Nachrichten“ interessiert – dem täglichen Informationsfluss über den politischen Alltag in der Welt und ihre die dabei auftretenden Auseinandersetzungen miteinander zum Erhalt oder Ausbau der eigenen Macht. Auch die Geschichte für unsere Ära wird eines Tages zu einem großen Teil eine Zusammenfassung der allgemeinen Nachrichtenlage sein. Nicht anders, als unsere Medien werden auch die Geschichtsschreiber der Zukunft sehr wahrscheinlich übersehen, dass es sich bei den gegenwärtigen Ereignissen lediglich um die Symptome eines allgemeinen Niedergangs handelt, und sie werden sich deshalb auf die großen Ereignisse unserer Tage konzentrieren, anstatt die unter der Oberfläche des Alltags verborgenen „langsamen Vorgänge“ zu beleuchten.
Das Persische Reich
Der Niedergang und Fall des persischen Reiches wird in der Schule zwar unterrichtet, allerdings immer nur im Zusammenhang mit der endgültigen Übernahme durch Alexander den Großen. Darüber, was in Persien in der Zeit davor selbst geschah, jedoch erfährt man nichts .Etwa die stetig steigende Steuerlast während des Niedergangs, aus der sich eine wirtschaftliche Depression entwickelte, die zu Aufständen führte, woraufhin noch einmal höhere Steuern und noch mehr Unterdrückung folgten. Die persischen Könige zu dieser Zeit horteten ihr Gold und Silber und entzogen es damit dem Geldkreislauf. Das lähmte den Markt und die Geschäftstätigkeit kam zum erliegen. Mit dem Auftreten Alexanders war Persien geschwächt durch Kriege, wirtschaftliche Not und interne Streitigkeiten. Das nur noch als Hülle existierende Persische Reich konnte am Ende leicht besiegt werden.
Die Tang Dynastie
Wenn überhaupt, dann lernt man über Chinas Tang Dynastie, dass sie infolge der zunehmenden Macht der Eunuchen, interner Kämpfe mit Regionalfürsten und schließlich aufgrund von Bauernrevolten endete. Nie lernt man über diese Zeit, dass die Dynastie zahlreiche steuerfinanzierte Expansionskriege führte, was erst zu den Aufständen führte. Aufgrund der endlosen Kriege mussten die Eunuchen als Staatsbeamte dem Volk zunehmend Geld, Naturalien und Landgüter abpressen, was zu einem abrupten Rückgang der Nahrungsmittelproduktion und rasch steigenden Steuern führte. Da der wirtschaftliche Verfall und die Unterdrückung der Bürger immer dramatischere Ausmaße annahm, verließen die Bürger den Einflussbereich der Dynastie in Scharen und suchten woanders ihr Glück.
Das spanische Reich
Dieses Muster setzt sich auch bei anderen Weltreichen fort. Im Jahr 1556 erbte Philipp II. von Spanien zu einer Zeit, als es das reichste in ganz Europa galt. Nennenswerte wirtschaftliche Probleme gab es dort keine. Doch gerade einmal 42 Jahre später, im Jahr 1598, war Spanien bankrott. Wie war das möglich?
Spanien war wohlhabend, aber es hatte die Ambition entwickelt, auch eine Großmacht zu werden. Zur Finanzierung dieses Vorhabens benötigte König Philipp mehr Geld. Ab 1561 wurde die bestehende Kriegssteuer erweiter, und bis 1590 kamen noch die Kreuzfahrersteuer, die Ablassteuer eine Reichensteuer hinzu.
In einem Zeitraum von 39 Jahren (zwischen 1559 und 1598) stiegen die Steuern um 430%. Da die damalige Elite von der Besteuerung ausgenommen war (offiziell ist es die heutige Elite nicht), wurden Durchschnittsspanierr so stark besteuert, dass sowohl die unternehmerische Aktivität als auch der Konsum drastisch zurückgingen. Die Löhne konnten mit der daraus resultierenden Inflation nicht Schritt halten. Die Preise für Waren stiegen um 400%, weswegen es am Ende zu einer Revolution wegen der Preise und eine Revolution wegen der Steuern kam.
Obwohl sich über Spanien zu dieser Zeit eine Flut von Gold und Silber aus den amerikanischen Kolonien ergoss, flossen diese Mittel direkt in Philipps Kriegskasse. Seine 100.000 Soldaten schafften es dennoch bald nicht mehr, ihm genügend Beute zu bringen, mit denen er sie bezahlen konnte.
In einem letzten Versuch, das dem Untergang geweihte Reich zu retten, gab Philipp Staatsanleihen aus. Diese brachten ihm zwar sofort Geld ein, doch sie verursachten auch eine enorme Staatsverschuldung. Insgesamt verschuldete sich Spanien in dieser Zeit mit dem 8,8-fachen des BIP.
Spanien blieb nichts anderes, als den Bankrott zu erklären. Das Land verlor daraufhin seinen Status als wichtiger Finanzplatz, während das an drei Fronten kämpfende Militär wegen des ausbleibenden Soldes ihre Waffen niederlegten. Nicht unterschätzen sollte man dabei, dass Philipp das Führen von Kriegen nicht einmal dann einstellte, als sein Reich schon im Zusammenbruch begriffen war. Dies konnte er nur erreichen, indem er weiter an der Steuerschraube drehte, bis sein Reich vollends in Ruinen stand.
Der Zustand heutiger Imperien
Kaum jemand lernt in der Schule oder anderweitig über die obigen Ereignisse und welche Bedeutung sie für den Niedergang von Reichen haben. Dies, obwohl sie in der Geschichte in bemerkenswerter Regelmäßigkeit aufgetreten sind und sie haargenau mit den Entwicklungen übereinstimmen, von denen wir selbst betroffen sind. Wir erleben die gleichen Zerfallserscheinungen und sie fallen nacheinander wie Dominosteine, so wie die unterschiedlichsten und über Jahrtausende getrennten Reiche eines nach dem anderen an der Sequenz aus Krieg, Steuern und wirtschaftlicher Depression zugrunde ging.
Wir erleben heute die exakt selben Symptome, die auch bei anderen Reichen kurz vor deren Ende auftraten. So übersteigt das Handeln vieler Regierungen in der Welt regelmäßig deren Kompetenzniveau. Expansive Kriege werden geführt, ohne dass ein klarer Plan existiert, wie diese Expansion finanziert werden sollen. Die Bevölkerung wird übermäßig besteuert, wenn die Rechnungen für diese Expansionen nach außen, oder nach innen über verfehlte Sozialprogramme fällig werden.
Das alles geschieht ohne Rücksicht darauf, ob sich die Bevölkerung die zunehmende Besteuerung überhaupt leisten kann, oder ob damit eventuell die Investitionstätigkeit der Privatwirtschaft leiden könnte mit der Folge eines wirtschaftlichen Niedergangs. Ebenso steigen die Kosten für Güter, ohne dass die Löhne Schritt halten können. Gleichzeitig sinken die Steuereinnahmen, sobald die Wirtschaft wegen der übermäßigen Besteuerung zu schrumpfen beginnt. Dies führt zum oft gesehenen Weiterdrehen der Interventionsspirale, bei der die Steuern weiter erhöht werden.
Trotz alledem ziehen Politiker für sich persönlich so viel aus dem System wie sie nur können, so dass immer mehr Menschen von der Möglichkeit auf die Bildung von Wohlstand ausgeschlossen werden. Auch Staatsanleihen geben die Staaten in immer höherer Frequenz und mit immer höheren nominellen Werten aus. So können sie ihre Expansionstätigkeit weiter aufrechterhalten, ohne an einen Ausstiegsplan denken zu müssen.
Flankiert wird diese Aufblähung staatlicher Tätigkeit mit zunehmend autoritären Kontrollmechanismen. Nur sie können noch sicherstellen, dass die Öffentlichkeit weiterhin den an sie gestellten Forderungen nachkommt, auch wenn die Grenzen der Tragfähigkeit schon längst erreicht sind.
Bereits jetzt können wir die Risse sehen, die dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch vorausgehen. Unruhen und Aufstände treten auf, wo kein wirtschaftlicher Erfolg mehr möglich ist, während die Produktiven in der Gesellschaft scharenweise das sinkende Schiff verlassen. In dieser letzten Phase wendet sich das Imperium gegen sich selbst und behandelt sein eigenes Volk wie einen Feind.
Zum Scheitern verdammt
Das Wissen um die Geschichte sollte eigentlich dazu führen, dass wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Doch wir lernen nicht darüber. Ob in der Schule oder jenseits davon legen die wenigsten Geschichtsbücher Wert auf das Ausbreiten der tieferen Ursachen für den Zusammenbruch von Imperien. Viel mehr als die Namen berühmter Generäle und die Daten bedeutender Schlachten bekommt man selten geliefert.
Die Gegenwart zeigt uns leider, dass auch zukünftig kein Lernprozess einsetzen wird. Die Chancen stehen gut, dass Herrscher auch in der Zukunft genauso wenig Interesse am Lernen der Lektionen aus der Vergangenheit haben werden. Sie werden erst neue Imperien schaffen und dann werden sie diese wieder zerstören. Denn sie werden wie die Herrscher früher und heute ebenso glauben, dass sie über der Geschichte stehen, und dass sie etwas besonderes sind und daher erfolgreich sein werden.
Die einzige Lehre: Koffer packen!
Wenn es etwas aus der Geschichte von Imperien zu lernen gibt, dann ist es die Einsicht, dass sich deren Herrscher nicht von ihren Bestrebungen abbringen lassen. Sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne stürmen völlig ungeachtet irgendwelcher Einwände oder Revolten durch die eigenen Bürger einfach immer weiter.
Wenn ein Imperium einmal die finale Stufe erreicht hat, dann kehrt es nicht wieder zurück. Es liegt dann in der Paliativabteilung und wartet nur noch auf das schmerzhafte Ausspielen finalen Phasen vor Eintreten des Todes. An diesem Punkt ist das Ausharren für den Einzelnen extrem töricht, in der Hoffnung, dass sich der Niedergang irgendwie doch noch umkehren wird. Ab diesem Punkt sollte man dem Beispiel der Chinesen, Römer und vielen anderen folgen und sich für einen anderen Ort als Lebensmittelpunkt entscheiden.
Quelle Titelbild