Horst D. Deckert

Die Inzidenz muss weg!

Bevor wir Sie Hans-Jürgen Bandelts scharfsinnigem Text (in Auszügen) überlassen, eine Begriffserklärung: Die Inzidenz gibt an, wie häufig neue Infektionen in einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Raum auftreten. Die «Sieben-Tage-Inzidenz» gibt an, wieviele Einwohner pro 100’000 einen positiven PCR-Test hatten). Und jetzt der emeritierte Mathematikprofessor Hans-Jürgen Bandelt:

Leider äußern das selbst kritisch denkende Virologen und Medizinstatistiker nicht in der nötigen Schärfe. Es reicht nicht zu sagen, dass der Inzidenzwert keine sinnvolle Richtschnur sei. … Nein, der törichte Inzidenzwert muß auf jeden Fall weg und stattdessen bräuchte es unverfälschte wirkliche Kenngrößen des Infektionsgeschehens. Die gibt es allerdings derzeit in Deutschland nicht.

Wenn man von Inzidenz sprechen will, dann muss der traditionelle Bezug eben die Untersuchungsmenge von potentiell Erkrankten sein. Die könnte hier die Menge der überhaupt in dem Untersuchungszeitraum PCR-Getesteten sein, sofern man dem Grundirrtum erliegen will, dass ein positiver Test eine Erkrankung anzeigte.

Wenn jedoch die Positivenrate kennzeichnend sein soll für das Infektionsgeschehen, so müsste die wöchentliche Stichprobe, die dem PCR-Test unterworfen wird, repräsentativ sein. Repräsentative Erhebungen wurden schon seit fast einem Jahr angemahnt, aber nicht eine vom Robert-Koch-Institut (RKI) bislang auf den Weg gebracht.

Es müsste das Hauptaugenmerk auf die Rate bezüglich klinisch manifester CoViD-19 Erkrankungen gerichtet sein und insbesondere auf schwere Verläufe und wirkliche CoViD-19 Todesfälle. Mit solchen Erhebungen hapert es, weil ein positiver PCR-Test schon bei einem Krebs- oder Herzinfakt-Patienten oder gar einem Unfallopfer über die „Diagnose“ CoViD-19 entscheidet. Ein Schwindel, der – ohne zusätzlichen politischen Druck – allein durch finanzielle Anreize von der Klinik über die Leichenschau bis in den Sarg bzw. die Urne wie von selbst abläuft.



Der Inzidenzwert von 50, der weitgehend aus der Luft gegriffen wurde, sollte den Gesundheitsämtern angeblich erfolgreiche Kontaktverfolgung ermöglichen.
Man kann jedoch nicht durch den PCR-Test entscheiden, wer wen angesteckt haben könnte. Und außerdem hintertreibt die Verzögerung den vorgeblichen Zweck: Wenn Symptomlose ihre potentielle Infizierung mehrheitlich bereits mehr als zwei Wochen zuvor hatten, so entwickelt diese Mehrheit keine Erkrankung mehr und wird daher nicht ansteckend sein.

In oder um Berlin wurden pro Positivfall 5 bis 15 Menschen in Quarantäne geschickt, laut Recherche zweier Journalisten. Wiederum wird dabei Infizierung mit Erkrankung verwechselt. Wer dauerhaft symptomlos bleibt, ist nicht krank, auch wenn er wochenlang den Makel des Infiziertseins trägt. Die Quarantäne wurde manchmal aufrechterhalten, bis ein negatives Ergebnis des PCR-Tests vorliegt. Hier ist – im Lichte des alten Infektionsschutzes betrachtet – das Prinzip der Quarantäne pervertiert worden!

Ampelsysteme (z.B. von Rot über Orange zu Gelb und schließlich Grün) vermengen und gewichten ganz Unterschiedliches: einerseits angeblich überbordende Belastung des Gesundheitssystems durch mutmaßliche CoViD-19 Fälle und andererseits willkürlich gesammelte PCR-Positivzahlen von überwiegend Gesunden aus einer nicht näher definierten Stichprobe. Das ist unzulässig, weil so Infektion wieder als Krankheit gelten würde. Solange ein Test im besten Fall nur zwei Schnipsel aus dem RNA-Genom von SARS-CoV-2 in Gesunden ansteuert und nicht die Ursache einer klinisch manifesten Krankheit klärt, ist der Test nichts wert – und so sieht es ja inzwischen auch die WHO.

Testen

Der Bezug beim Inzidenzwert, die Bevölkerungsgröße, ist grundfalsch, da nur ein völlig beliebiger Bevölkerungsanteil PCR-getestet wird – in Deutschland waren es seit 25. Juni 2020 wöchentlich nur 0,5% bis 2% der Bevölkerung. Im letzten Jahr hatte es dagegen in Luxemburg regelrechte Ausbrüche von Massentests gegeben. Man schien dort wohl dem Glauben anzuhängen, man könne so das SARS-CoV-2-Infektionsgeschehen wegtesten. Das hat sich nicht erfüllt.

Quelle: https://ourworldindata.org/coronavirus-testing#how-many-tests-are-performed-each-day

Die FAZ hielt im November 2020 Luxemburg ernsthaft für einen Corona-Hotspot in Europa und dichtete: „Die höchste Infektionszahl pro Einwohner in Europa, aber nur lasche Maßnahmen“. Stattdessen hätte der Journalist – statt vorgefasste Meinungen zu äußern – mal nachdenken und den Testverlauf in Luxemburg im Vergleich zu anderen europäischen Statten recherchieren sollen.

Am 31. Januar 2021 wurde in Dänemark zehnmal (!) und in Luxemburg sechsmal soviel getestet wie in Deutschland bzw. der Schweiz, jeweils relativ zur Bevölkerungsgröße. In diesem Jahr liegen beim Testen die Länder vorne, die offiziell PCR-Tests und Antigentests nebeneinander nutzen: Am 7. Februar hat Österreich Luxemburg in Sachen Testwahn überholt. Im Februar hat die Slowakei alle mit Abstand geschlagen: Allein vom 1. bis zum 21. Februar wurden mehr Tests durchgeführt, als es Einwohner gibt. Damit testet die Slowakei 500 Mal relativ soviel wie Bangladesh, ein Land, das eine relativ konstante Testrate seit Juli 2020 hat.

Die Hypertesterei hat Konsequenzen für die absoluten „Fallzahlen“: Hätte man seinerzeit bei der alten Teststrategie in Deutschland zehnmal mehr getestet, so wäre wohl zumindest eine Verdopplung der Positivenzahlen und so auch der Inzidenzwerte erreicht worden. Da in Deutschland mit der neuen Teststrategie die Ergebnisse der Antigentests verheimlicht und Positivfälle mit PCR nachgetestet werden, bleiben die Positivenraten dauerhaft künstlich erhöht.

Der Stufenplan in den Dauerlockdown

Der willkürlich gesetzte Inzidenzwert von 50 war bislang die heilige Grenze zwischen Lockdown und Lockerung. Aber was macht man, wenn die Ende Februar in immer mehr Landkreisen unterschritten wird? Man senkt die Grenze ab: Die 35 ist längst über uns gekommen.

Aber darunter lauern schon die 20 und die 10, unter die uns wohl die Kanzlerin und die vorgeschickten No-CoViD Aktivisten unter Androhungen von Strafen drücken wollen, koste, was es wolle. Da ist die „fast Null“ der Zero-Covid Gemeinde nicht mehr weit, die gegebenenfalls einen Lockdown anstreben, totaler und radikaler, als wir ihn uns überhaupt vorstellen können.

Laut Bild-Zeitung gibt es bereits einen ausgearbeiteten Stufenplan im Bundeskanzleramt: Bei einem Inzidenzwert von 35 kann der Einzelhandel wieder bedingt und maskiert öffnen und die Schule schrittweise im Hygienemodus.

Sinkt der Wert auf 20, darf wieder ein bisschen Kultur stattfinden, aber noch kein Kino. Ist ein Wert von 10 unterschritten, kann wieder ins Kino gegangen und Sport betrieben werden und man darf mit bis zu zehn Personen im Restaurant speisen. Aber wann darf sich eine Fußballmannschaft wieder zusammen in einem Gasthof an einem großen Tische drängen? Erst bei einem Wert von fast Null? Also nie wieder? Faktisch wird im Stufenplan mit einer Salamitaktik versucht, die deutsche Bevölkerung auf eine No-CoViD-Strategie (oder besser gesagt: einen No-CoViD-Irrsinn) einzuschwören.

Letztlich sind es Allmachtsphantasien, die den Menschen eingeimpft werden, dass sie durch rituelle Handlungen und herben Verzicht, das Virus eindämmen und somit beherrschen könnten. Mittels Erzeugung nackter Angst werden sie dazu hindressiert. In den sozialen Medien und in Leserkommentaren kursiert seit Anfang Februar ein Warnstufenkatalog als realsatirische Doku, die ich hier modifiziert und erweitert aufnehme:

  • Inzidenz unter 100: Experten warnen dennoch vor Lockerungen.
  • Inzidenz unter 50: Für Entwarnungen ist es noch zu früh.
  • Inzidenz unter 35: Die gefährlichen Mutanten dürfen nicht aus den Augen verloren werden.
  • Inzidenz unter 25: Der Abwärtstrend hat sich abgeschwächt.
  • Inzidenz unter 20: Die Zahlen sind gut, aber kein Anlass zur Entwarnung.
  • Inzidenz unter 10: Das Ziel ist ein schnelles Absenken der Infektionszahlen auf Null.
  • Inzidenz unter 7: Kein Grünes Licht: Das Virus ist noch unter uns.
  • Inzidenz bei 0: Wir dürfen das Erreichte nicht gefährden.

Einen bundesweiten Inzidenzwert von nahe Null wird es selbst im Juni nicht geben. Denn dafür würde schon die kleine Falsch-Positiv-Rate von etwa 0,6 bis 1,4 Promille für den PCR-Test sorgen: bei z.B. einer Million PCR-Tests pro Woche wären dann 600 bis 1400 Positivfälle zu erwarten und damit ein Inzidenzwert von über 0,7 bis knapp unter 1,7.



Schon der Inzidenzwert 10 scheint unerreichbar zu sein angesichts der neuen Teststrategie.
Dafür sorgen eben genau die Antigentests, die wöchentlich millionenfach zur Anwendung kommen und die wenigen Positivfälle der PCR-Testung ausliefern. Die im privaten Bereich künftig möglichen Schnelltests verschärfen die Lage nochmals. Wenn faktisch der Bereich, aus dem potentielle PCR-Positive gefischt werden, künftig wöchentlich bis zu 20 Millionen Proben umfasst, dann besteht kaum eine Chance, unter den Inzidenzwert 10 zu kommen.

Inzidenzwert unter 10?

Ein Blick zurück: Wie hoch wäre denn der Inzidenzwert in der Kalenderwoche 11 des Jahres 2020 gewesen (9. bis 15. März), gegen deren Ende die Zunahme der berichteten Positivenrate in der ersten Welle in Deutschland am größten gewesen und damit die Drohkulisse am schlimmsten war? Es wurden in der KW 11 gerade mal 7582 Positivergebnisse vermeldet. Das entspricht dem Inzidenzwert von 9,1.

Schien zu jener Zeit noch Grünes Licht? Nein, im Gegenteil: Damals und davor wurde höllische Angst vor einer angeblichen neuen Seuche geschürt und verbreitet, allerdings garniert mit Verdopplungszeiten oder Reproduktionszahlen (R-Werte) – vor der Erfindung des Panik-Tools Inzidenzwert.

Der R-Wert wird immer wieder gern in den Medien explizit erwähnt, wenn er nach Ende der Epidemie beginnt, leicht um 1 zu pendeln und zufällig mal gerade über 1 gerät. Außerdem kann durch kurzfristige Erhöhung des Testumfangs dieser Effekt erzeugt bzw. verstärkt werden. Auf dem Grundniveau muss es um 1 pendeln, denn sonst müsste dieses Niveau Null sein und das Virus wäre ausgelöscht.

Angenommen, wir würden für 2021 ganz optimistisch ein Training im Fitnesstudio mit anschließendem Besuch eines Restaurants und einer späten Kinovorstellung bei einem Inzidenzwert von unter 10 (pro 100.000) als Jahreshighlight ins Auge fassen wollen. Dazu dürfte man innert einer Woche höchstens 8319 Positivtestungen erhalten, denn 8319/832 ist kleiner als 10. Tatsächlich war das im Jahre 2020 in Deutschland ununterbrochen von der KW 20 bis zur KW 33 der Fall gewesen. Da wurden allerdings noch keine Schnelltests als Vortests für die PCR-Testung eingesetzt.



Eine Partei in Deutschland hat nicht mitgedacht und nachgerechnet und „fordert einen sofortigen und konsequenten harten Lockdown über einen Zeitraum von etwa drei Wochen mit Schließung aller nicht lebensnotwendigen Produktionsbetriebe und Betriebsferien für die ganze Republik. Die Inzidenz muss unter zehn gedrückt, die Nachverfolgungskette wieder ermöglicht werden und mit breitester Impfung dann immunisiert werden“.

«Breitest» impliziert hier sicherlich Zwang oder Pflicht, denn so breit ist die Mehrheit nicht. Nein, es war nicht die CSU, die das gesagt hat, und es war auch keine Büttenrede, sondern stammt von einer Kleinstpartei, die sich marxistisch nennt und leninistisch dazu. In demselben Artikel der Roten Fahne kann man die folgende karnevaleske Äußerung lesen: „Der von Anfang an realistische Karl Lauterbach rechnet mit der dritten Welle im März mit den Mutationen aus Großbritannien und Südafrika und der Kombination von beiden. Er meint, es liege ‚an uns‘ wie stark sie sein wird. Das ist ein Wort! Echter Lockdown sofort!“

Es ist diese „AHA-Linke“, zu der sich schon im März 2020 mit ihrem unvergessenen Auftritt im Bundestag Katja Kipping bekannte, die offenbar im wirtschaftlichen Ruin von Soloselbstständigen, Kleinlädenbesitzern und ehemals florierenden mittelständischen Unternehmen ihren antikapitalistischen Kampf sieht. Dass nur die ganz Großen davon profitieren, blendet sie aus. „Unionsparteien und Linke vollziehen gemeinsam jenen autoritären Umbau der Gesellschaft, den man der AfD als Absicht unterstellt“.

Stiller Widerstand

Wenn ein Gesundheitsamtsleiter widerständige Worte in der Öffentlichkeit äußert, geht es breit in die Presse, und er wird versödert. Wenn er jedoch ganz still und unverdrostet dafür sorgt, dass nicht jeder Infektionsfall nachverfolgt wird, dämmt er die Fallzahlen ein und hält damit die Inzidenz niedrig. Er kann also durch unauffälliges Bremsen effektiv gegensteuern. Da sind ihm die mittelständischen Unternehmen und Kleinstunternehmen dankbar. Und auch die Allgemeinheit ist froh, nicht noch mehr durch rechtswidrige Unsinnsverordnungen drangsaliert zu werden.

Besser ist es, gemeinsam zu agieren: „In Berlin fordern sämtliche Amtsärzte, die Lockerungen der in der Corona-Gesundheitskrise geltenden Kontaktbeschränkungen nicht mehr an generelle Inzidenzwerte zu knüpfen“. Aber auch spezielle sind nicht besser: Die Inzidenz muss weg. Und nicht nur die.

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Prof. Dr. rer. nat. Hans-Jürgen Bandelt war 1990-2017 Professor für Mathematik an der Universität Hamburg

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