Die AfD hat bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Duell „Alle gegen Einen“ mit geringen Abstrichen dasselbe Ergebnis geholt wie 2016.
Götz Kubitschek bei Sezession
Sie ist mit 23 Abgeordneten im Landtag vertreten. Das sind zwei weniger als bisher, aber da man in der ersten Legislaturperiode Abgänge verkraften mußte, kann man quantitativ unverändert weiterarbeiten. Groß ist der Unterschied dort, wo es um die Eroberung von Direktmandaten ging. Nur im Wahlkreis Zeitz verteidigte man es, alle anderen gingen an die CDU verloren.
Das hat Vorteile: Die Kandidatenliste, die dieser nicht einfache Landesverband ausgehandelt hatte, ist nicht durch Überraschungssieger aus dem Gleichgewicht geraten. Die Verhältnisse sind klar – man kennt sich, keine Seite kann unzufrieden sein.
Es hat der AfD, die einen sehr engagierten Straßenwahlkampf führte, geschadet, daß man sie in den Wochen vor der Wahl zu einem Kopf-an-Kopf-Konkurrenten der CDU hochgeschrieben und zugleich als extremistisch gebrandmarkt hat. Der kleine Zwerg, der jedem Wähler in der Wahlkabine auf der Schulter sitzt, hat nicht zu Mut und Veränderung geraten, sondern das geflüstert, was CDU-Ministerpräsident Haseloff wie ein Mantra wiederholte: keine Experimente.
Experimentierfreudig waren die Männer und unter ihnen die jüngeren. In der Altersgruppe der 18 bis 44jährigen ist die AfD die stärkste Kraft. Das war bereits bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst 2019 so.
Die Angst vor einem historischen Ereignis, nämlich erstmalig die AfD zur stärksten Kraft in einem Bundesland gemacht zu haben, ließ zigtausend Wähler zur CDU wechseln. Daß die Parteien, die aufgrund dieser panischen Wanderung verloren, der CDU dennoch gratulierten und ihren Wählern demokratische Reife attestierten, ist ein weiterer Beleg für die Einheitsfront der Altparteien gegen den einzigen echten Opponenten der wiederum einheitlichen Politik der anderen.
Der CDU gelang es außerdem im Verbund mit den angstpolitisch tätigen Medien, Nichtwähler zur Wahl zu motivieren. Der AfD, die sich auf Augenhöhe mit der CDU wähnte und damit kokettierte, gelang das nicht.
Und noch ein paar Punkte: Die Grünen – bedeutungslos in den kleineren Städten, auf dem platten Land sowieso – fuhren Achtungserfolge nur in den linksspießigen und studentischen Vierteln in Halle und Magdeburg ein. Die Linke – im Niedergang, auf verlorenem Posten konkurrierend mit den Grünen im städtischen Milieu – mußte bereits 2016 an die AfD einen Teil ihrer Wähler abtreten und gewann ihn nicht zurück.
Prozentanteile CDU/AfD: in manchen Wahlkreisen zwischen 60 und 70 Prozent, stets verbunden mit dem Votum, daß die CDU federführend bleiben müsse. Einen klareren Regierungsbildungsauftrag gibt es kaum, er erinnert an Zeiten einer großen Koalition, die zwei Drittel der Wähler abdeckte.
Bloß wird es für diejenigen, die „keine Experimente“ wählten, nun leider so kommen, daß die im Anti-AfD-Konsens gefangene CDU extrem experimentierfreudige Kleinparteien (SPD, GRÜNE, FDP) mit in die Regierung holen und damit dem Wählerwillen gerade nicht entsprechen wird.
Diesen Vorgang, der in grotesker Form vor allem in Sachsen zu beobachten war und ist, hielt die Wähler indes nicht davon ab, die CDU so stark zu machen, wie sie jetzt abschnitt. Auch auf Bundesebene setzt sich ja der Trend fort, mit Laschet jemanden zum Kanzler zu machen, der vermeintlich Stabilität und Mitte verkörpert, jedoch eine Partei ins Rennen führt, die unter Merkel dieses Land stärker umgebaut und destabilisiert hat als jede andere Regierung zuvor.
Die AfD hat trotz dieses für sie günstigen Umstands ihr Wählerpotential auf starken 22 Prozent zwar halten, es aber nicht ausbauen können. Es ist ihr nicht gelungen, diejenigen Wähler zu gewinnen, die das AfD-offene Viertel der CDU ausmachen und gegen die oben als Wählerauftrag angesprochene schwarz-blaue Koalition nichts einzuwenden hätten.
Warum haben diese Wähler dennoch wieder CDU gewählt?
These: Die Instabilität, die Unruhe, die Unordnung, in die Deutschland gerät, wird durch eine verschwenderische Betreuungs- und Sozialpolitik so abgefedert, daß sich die Durchschnittsbürger noch nicht in der Substanz bedroht sehen. Selbst dann, wenn sie den großen Umbau wahrnehmen, hat weder eine nennenswerte Anzahl Abstriche in der Lebensplanung und -gestaltung zu machen noch fallen die Abstriche dort, wo sie gemacht werden müssen, existentiell spürbar aus.
Der als Möglichkeit wahrnehmbare Verlust an Sicherheit, Ordnung und Stabilität hat noch keine Entsprechung dort, wo fast jeder mit staatlicher Unterstützung sogar über die Wellen, Einschränkungen und Lockdowns hinweggehoben wurde.
Es gibt nicht nur auf der linken Seite, sondern auch von rechts formuliert einen Opferpopulismus, der kurzfristig erfolgreich sein mag, langfristig aber eine Falle ist und schlechte Eigenschaften weckt: Leuten einzureden, sie seien Opfer und hätten einen Anspruch darauf, daß mit staatlicher Hilfe und Regelung im Grunde alles so bleibe, wie es ist, zerstört das Selbstbewußtsein, die Selbstrettungskraft und die Widerstandsbereitschaft.
Die Kreativität beschränkt sich dann nämlich auf den Ruf nach dem Staat und auf die Suche nach Opferanwälten. Man fordert ausgleichende, abmildernde, absichernde, fütternde Institutionen, setzt auf den Staat als den Betreuer, der im Großen zwar experimentieren mag, aber diejenigen, die die Opfer seiner Experimentierfreude sein könnten, ins betreute Leben, Arbeiten, Wohnen, Konsumieren und Denken mitzunehmen habe.
Daß man auf diese Weise die Macht der Betreuer über die Betreuten noch steigert, ist evident. Wer wählt schon seine Betreuer ab? Und welcher Betreuer würde sich selbst abwählen? Andersherum gesagt: Ist nicht am Ende derjenige an der Wahlurne und in der politischen Auseinandersetzung widerständig, der kein Betreuungsverhältnis eingegangen ist oder wenigstens das daraus entstehende Abhängigkeits- und Bändigungsverhältnis durchschaut?
Kurzum: Den Leuten geht es unter den Maßnahmen einer CDU-geführten Regierung nicht schlecht. Man ahnt wohl den großen Umbau, aber man kann sich abgesichert, konsumierend, maulend darin einrichten, kann einen inneren und äußeren Zaun um das eigene Leben ziehen, hat Handlungsspielräume, kriegt die Mittel in die Hand, um sich abzulenken und zurechtzukommen. Das ist extrem klug eingrichtet, das mag auf Kosten der Zukunft geschehen, aber im Moment verfängt es eben.
Da die AfD es an einem engagierten und wahrnehmbaren Wahlkampf nicht hat fehlen lassen, darf man konstatieren: Sie hat mit ihrer Protesterzählung ausgereizt, was möglich war.