Was in Großbritannien beginnt, endet nicht an seinen Grenzen.
Die folgenden „Empfehlungen“ der britischen Times Crime and Justice Commission betreffen formal nur das Vereinigte Königreich – doch sie sind Teil eines globalen Trends: Gesichtserkennung, digitale ID, Abschaffung klassischer Gerichtsverfahren und umfassende Datenkontrolle. Was heute auf der Insel diskutiert wird, wird morgen in Brüssel, Berlin oder Paris in anderer Form Gesetz. Denn die zentralen Elemente – Überwachung, Kontrolle, Automatisierung – sind überall dieselben.
Wer glaubt, das sei ein britisches Sonderthema, unterschätzt, wie international solche Agenden längst abgestimmt sind.
Tschüss Geschworenenprozesse, hallo digitale ID: 10 „Empfehlungen“ der Kommission für Kriminalität und Justiz
Von Kit Knightly
Die Times Crime and Justice Commission wurde im vergangenen Jahr ins Leben gerufen mit dem Auftrag,
die Zukunft der Polizei und des Justizsystems zu überdenken – angesichts der Messerkriminalität, einer Ladendiebstahl-Epidemie, der wachsenden Bedrohung durch Cyberkriminalität, Sorgen über die Polizeikultur, Rückständen bei Gerichtsverfahren, Problemen mit der Prozesskostenhilfe und überfüllten Gefängnissen.
Und heute ist dieser lang angekündigte, strahlende Tag gekommen, an dem die Ergebnisse vorgestellt werden. Der weiße Rauch steigt auf, und wir dürfen nun das Ergebnis ihrer langen Mühen bestaunen.
Wie soll also alles wieder in Ordnung kommen?
Werfen wir einen Blick auf die vollständige Liste – mit ein paar hilfreichen Anmerkungen:
- Einführung eines universellen digitalen ID-Systems zur Betrugsbekämpfung, Eindämmung illegaler Einwanderung und Verhinderung von Identitätsdiebstahl
Digitale ID für alle! Sie soll jedes Problem lösen! Dieses Thema wurde bereits bis zum Erbrechen diskutiert, es war klar, dass es hier auftauchen würde.
- Gezielte Überwachung von Wiederholungstätern und Kriminalitätsschwerpunkten mittels Datenanalyse, um Ladendiebstahl, Raub und asoziales Verhalten zu bekämpfen
Das bedeutet Überwachung. „Daten“ meint dabei deine persönlichen Daten, die sie von sozialen Medien und anderen Plattformen erhalten werden.
- Einsatz von Echtzeit-Gesichtserkennung und anderen KI-Werkzeugen zur Effizienzsteigerung und Leistungsverbesserung der Polizei
Auch hier war klar: Gesichtserkennung musste vorkommen. Was genau „andere KI-Werkzeuge“ bedeuten, bleibt vage – und genau das ist vermutlich gewollt. „Effizienz“ ist dabei das Schlagwort, das hier alles trägt – insbesondere, um das technikaffine Publikum anzusprechen.
- Einführung einer Zulassungspflicht für Polizeibeamte, mit Re-Zertifizierung alle fünf Jahre, zur Verbesserung der Kultur und Förderung von Professionalität
Das ist das Feigenblatt für die „andere Seite“. Bis hierhin ging es nur um mehr Macht für Polizei und Justiz – dies hier simuliert ein wenig Rechenschaft und soll das Ganze ausgewogen wirken lassen.
- Einrichtung von Opferbetreuungszentren mit einer einheitlichen digitalen Fallakte als durchgängige Informations- und Beratungsquelle
Wie Punkt 1 – eine weitere Anwendung zur Förderung der digitalen Identität. Praktisch als Verkaufsargument eingearbeitet.
- Einführung eines neuen Zwischengerichts mit einem Richter und zwei Staatsanwälten zur Beschleunigung der Rechtsprechung und Verkürzung der Verfahrensdauer
Es geht einzig und allein darum, das Schwurgericht abzuschaffen. Das ist seit Jahren geplant, und sie finden immer wieder neue Ausreden, es durchzusetzen.
- Ein „gesunder Menschenverstand“-Ansatz bei der Strafzumessung, mit mehr Transparenz zur Haftdauer, Anreizen zur Resozialisierung und verstärktem Einsatz von Hausarrest
Was das konkret bedeuten soll, ist unklar. Der Begriff „gesunder Menschenverstand“ in solchen Dokumenten sollte immer misstrauisch machen. Gleiches gilt für „erweiterte Anwendung von Hausarrest“.
- Mehr Autonomie und Rechenschaftspflicht für Gefängnisdirektoren mit Fokus auf Rehabilitation sowie Gründung einer Hochschule für Strafvollzugsbeamte und Bewährungshelfer
Was das genau heißt, bleibt diffus. Es könnte auf mehr Arbeitsprogramme in Gefängnissen hinauslaufen – ähnlich wie in privaten Gefängnissen in den USA – oder einfach nur eine nichtssagende Floskel zwischen den wichtigeren Punkten sein.
- Beschränkung sozialer Medien für unter 16-Jährige zum Schutz vor Kriminellen und extrem gewalttätigen oder sexuellen Inhalten
Völlig erwartbar – und ebenso unehrlich. Wie schon unzählige Male festgestellt: Diese Regelung führt in der Praxis dazu, dass jeder Nutzer sein Alter verifizieren muss. Also: Adieu, Online-Anonymität.
Erstaunlich ist, dass dieser Bericht, der angeblich schon vor über einem Jahr erstellt wurde, so exakt in die aktuelle politische Debatte über Jugendliche passt. Das lässt drei Möglichkeiten zu:
- Der Bericht wurde in letzter Minute angepasst, um sich in die gegenwärtigen Diskussionen einzufügen.
- Alles wurde im Voraus geplant, um eine bestimmte Agenda durchzusetzen.
- Es ist alles purer Zufall.
…und wir werden wohl nie erfahren, was davon zutrifft.
- Anhebung des Mindestalters für Strafmündigkeit auf 14 Jahre, im Einklang mit neuen Erkenntnissen der Neurowissenschaft
Und wir enden mit einer unscheinbaren Bemerkung, deren tiefere Bedeutung noch nicht abzuschätzen ist. Es könnte ein freundlicher Ausgleich zur vorherrschenden Härte sein – oder ein trojanisches Pferd für etwas Dunkleres. Wir werden es sehen.
So. Das ist die Liste. Und so werden wir angeblich alles wieder in Ordnung bringen.
Wir schaffen das Schwurgericht ab.
Wir beseitigen die Anonymität im Internet und reglementieren den Zugang zu sozialen Medien.
Wir führen Gesichtserkennungstechnologie ein.
Und wir machen die digitale Identität zur Pflicht.
Kurz gesagt: Die sehnlich erwarteten „Empfehlungen“ laufen exakt darauf hinaus, was man seit Jahren vorbereitet hat. Keine Überraschungen. Keine Umwege. Nur altbekannte Agenda – jetzt mit neuem Deckmantel.
Manche mögen jetzt einwenden: „Na und? Diese Kommission hat doch keine Macht.“
Ein berechtigter Einwand – wäre Macht nicht längst zur Illusion geworden.
Denn der Lordkanzler hat bereits angedeutet, dass einige dieser Vorschläge höchstwahrscheinlich bald Gesetz werden.
Wollen wir raten, welche?
Fazit:
Was als Reform daherkommt, ist in Wahrheit ein massiver Umbau des Rechtsstaats. Die Geschworenen verschwinden, persönliche Daten werden zur Waffe, Anonymität wird kriminalisiert – und all das unter dem Vorwand von Effizienz, Sicherheit und „gesundem Menschenverstand“.
Großbritannien mag der Vorreiter sein, doch die Blaupause liegt längst auch in den Schubladen der EU-Kommission. Wer jetzt noch glaubt, diese Entwicklungen beträfen nur andere Länder, wird bald aufwachen – mit einer digitalen ID in der Hand und einem Algorithmus im Nacken.
Quellen:
What is The Times Crime and Justice Commission? Its aims explained
Bishop Rachel responds to the Times Crime and Justice Commission Report
MA contributes to landmark Times crime and justice commission report
The Times Crime and Justice Commission: A Comprehensive Review of Britain’s Criminal Justice System