Horst D. Deckert

Hohe Todeszahlen wegen falsch dosiertem Medikament?

In Großbritannien läuft seit März die nach eigenen Angaben weltgrößte Studie über mögliche Therapien für Covid-19.(1) Hier gab es erbitterte Kämpfe und Intrigen zwischen Experten, Forschungseinrichtungen und Fachmagazinen. Und natürlich – wie es sich für einen guten Krimi gehört – jede Menge Leichen. Täter ist allerdings nicht ein heimtückisches Virus, sondern offensichtlich Dummheit.

In der Recovery-Studie geht um die Erforschung, welche Medikamente oder Behandlungsmethoden bei Covid-19 helfen. Der Name Recovery leitet sich ab aus: Randomised Evaluation of COVID-19 Therapy. Es nahmen über 11.000 Patienten aus 175 Krankenhäusern in Großbritannien daran teil. Im Laufe der Zeit wurden viele verschiedene Medikamente untersucht.

Ergebnisse bisher

Für drei getestete Medikamente liegen bisher Abschlussberichte vor.

  • Dexamethason, ein entzündungshemmendes Glucocorticoid, hilft gemäß dem Abschlussbericht (nur!) bei künstlich beatmeten Patienten: Es wurden in dieser Studie 30% weniger Tote gezählt.(2)
  • Lopinavir-Ritonavir, ein Mittel gegen HIV-Infektionen, hilft offenbar nicht. Es wurden 4% mehr Tote als in der Kontrollgruppe beobachtet.(3)
  • Hydroxychloroquin (HCQ) hilft gemäß des Abschlussberichtes ebenfalls nicht. Hier wurden sogar 11% mehr Tote als in der Kontrollgruppe beobachtet.(4)

Hydroxychloroquin (HCQ)

Das Medikament Hydroxychloroquin verdient besondere Beachtung: Hier gibt es Forschungsergebnisse, die sich diametral widersprechen. Für die eine Seite ist HCQ das Wundermittel schlechthin, für die andere Seite ist die Behandlung mit HCQ kriminell.

Hydroxychloroquin und sein Verwandter Chloroquin werden seit vielen Jahren erfolgreich gegen Malaria eingesetzt.

Es gab schon früh mehrere wissenschaftliche Studien mit positiven Ergebnissen bei der Vorbeugung und Behandlung einer Infektion mit SARS-CoV-2.(5)

Eine Studie weist den Nutzen von frühzeitiger Kombinationstherapie mit Zink, HCQ und Azithromycin (ein Antibiotikum) nach. Hier wurde sogar eine fünf mal (!) geringere Sterblichkeit als in der Kontrollgruppe beobachtet!6

Umso mehr überrascht das negative Abschneiden in Recovery. Die HCQ-Studie wurde sogar vorzeitig abgebrochen, ein potentieller Hinweis auf schädigende Wirkungen.(7)

Mehr noch: Bei einer Studie mit Chloroquin in Brasilien verstarben am sechsten Versuchstag elf Patienten. Die Studie wurde daraufhin sofort abgebrochen.(8)

Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hatte zuerst eine Notzulassung (emergency use authorisation) für die Behandlung von Covid-19 mit HCQ erteilt. Dann wurde eine offizielle Warnung ausgesprochen und dann kurze Zeit später (Mitte Juni) die Zulassung komplett zurückgezogen.(9)

Was war da los?

Wie kann ein- und dasselbe Medikament einerseits Leben retten und andererseits Tote verursachen? Höhepunkt war vielleicht ein Artikel in der angesehenen Zeitschrift „The Lancet“: Eine große Studie mit 96.000 Covid-19 Patienten stellte nach der Behandlung mit Chloroquin bzw. HCQ Herzrhythmusstörungen und ein erhöhtes Risiko fest, im Krankenhaus zu versterben.(10) Nachfolgend kam es zu heftigen Protesten in der wissenschaftlichen Community, die Zahlen seien nicht nachvollziehbar.(11) Mit der Folge, dass der Artikel 13 Tage nach Veröffentlichung wieder zurückgezogen wurde (retracted). Im Grunde dauert diese Auseinandersetzung bis heute an.

Die Auflösung und der Skandal

Die Auflösung des Gegensatzes ist denkbar einfach: Die Dosis macht das Gift. Schauen wir uns die Dosierung von HCQ in der Recovery-Studie an.

Es wurden in den ersten 24 Stunden 2400mg, und danach an den Tagen 2-10 jeweils bis 800mg HCQ täglich verabreicht. Da die Halbwertszeit im Körper ca. einen Monat beträgt, haben sich im Körper der Probanden insgesamt etwa 9200mg (=9,2g) HCQ angesammelt.(12) Die tödliche Dosis HCQ (Einmaldosis) für den Menschen liegt je nach Quelle und Körpergewicht bei ca. 2000–4000mg (2–4g). Todesursache sind meist Herzrhythmusstörungen.(13, 14)

Wie bitte?

Ja. In der Recovery-Studie wurden Dosen verabreicht, die hart am tödlichen Grenzwert oder sogar darüber lagen.

Wie sieht es bei anderen Studien aus?

In der erwähnten abgebrochenen brasilianischen Studie wurden ebenfalls sehr hohe Dosen verabreicht: Insgesamt 12 Gramm Chloroquin.(8)

Die WHO führt die internationale sogenannte „Solidarity“ Studie durch. Der HCQ-Teil wurde am 4. Juli abgebrochen. Zumindest in Kanada und Norwegen wurden hier ebenfalls sehr hohe Dosen verabreicht: 8,8 Gramm HCQ.(15)

Wie konnte es zu diesen katastrophalen Fehlbehandlungen in mehreren Studien – und wahrscheinlich darüber hinaus – kommen?

Und wieso wurden die Studien nicht früher abgebrochen?

Zusätzlich zu wissenschaftlichen Studien16 gab schon am 3. April eine fachlich fundierte Stellungnahme(17) und am 27. April eine offizielle Warnmeldung des deutschen Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte.(18)

Auf die Frage, wie er auf die Dosierung gekommen sei, antwortete einer der Leiter der Recovery-Studie, Professor Martin Landray, in einem Interview, das sei die Dosierung die bei der Amöbenruhr verwendet würde.(19) Nur: HCQ wird normalerweise nicht bei Amöbenruhr eingesetzt!(20)

Professor Christian Perrone vermutet, Landray habe Hydroxychloroquin mit Hydroxychinolin verwechselt – einem komplett anderen Medikament.(21) Dazu passt auch die folgende Interview-Passage:

„FranceSoir: Gibt es im Vereinigten Königreich eine Höchstdosis für HCQ?

Landray: Ich müsste nachsehen, aber sie ist viel größer als die 2400 mg, etwa sechs- oder zehnmal so hoch.“ („I would have to check but it is much larger than the 2400mg, something like six or 10 times that.“)(19)

Nein, Herr Landray! Die Dosis, die Sie ihren Patienten verabreicht haben, ist schon die Grenze zur tödlichen Dosis! Und haben Sie auf Kontraindikationen wie Herzrhythmusstörungen und Favismus geachtet?(22)

In Frankreich – aber offenbar nur dort – war das Thema auf den Titelseiten, mit dem Vorwurf krimineller Handlungen: „Oxford, Recovery et Solidarity: Overdosage in two clinical trials with acts considered criminal?“ (FranceSoir)(23)

Fazit



Eine Aussage zu HCQ ist unwissenschaftlich, wenn keine Dosis mit angegeben wird.
(Die Notzulassung der FDA und die erwähnte Lancet-Studie lassen eine Dosisangabe vermissen.)

Es gibt viele Studien, die zeigen, dass HCQ – z.T. in Kombination mit anderen Mitteln, z.B. Zink – im frühen Stadium der Krankheit den Krankheitsverlauf und die Todesrate signifikant verbessert.(24, 25, 26) Die tägliche Dosis liegt hier im Bereich von 400-600mg.(17) Hohe Dosen von 2 Gramm und mehr in den ersten 24 Stunden sind unverantwortlich und gefährlich.

Wenn Sie oder nahe Angehörige erkrankt sind: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es gibt inzwischen ausgefeilte Therapieempfehlungen,(27) allerdings nicht vom Bundesministerium für Gesundheit oder dem RKI.(28)

Swiss Policy Research fasst es gut zusammen:

„Die angeblich oder tatsächlich negativen Resultate mit Chloroquin im Rahmen einiger Studien beruhten auf einem verspäteten Einsatz (bei Intensivpatienten), stark überhöhten Dosen (bis zu 2400mg/T), manipulierten Datensätzen (der Surgisphere-Skandal), oder Kontraindikationen.“(29)

Übersterblichkeit in einigen Ländern aufgrund von HCQ-Überdosierung?

In einigen Ländern wie Deutschland, Österreich, Finnland, Norwegen oder Dänemark gab es keine Übersterblichkeit im Vergleich zu den Vorjahren. Andere Länder hatten jedoch erhöhte Todeszahlen, obwohl es sich um das gleiche Virus handelt. Beispiele in Europa: Belgien, Frankreich, Italien, Niederlande, Spanien, Großbritannien.(30)

Ein Vergleich ist schwierig, da es viele Variablen gibt, vor allem die Altersstruktur und die Qualität der medizinischen Versorgung.

Aber könnte es sein, dass die HCQ Überdosierung ein wichtiger Faktor für die beobachtete Übersterblichkeit in einigen Ländern war?

Schauen wir uns den Zeitverlauf am Beispiel Großbritannien näher an, der Heimat der Recovery-Studie. In der Studie wurde vom 25. März bis 5. Juni HCQ in hohen Dosen eingesetzt. Euromomo ermittelte erhöhte Todeszahlen in UK (England) von Woche 12 bis 21. Das ist der Bereich 16. März bis 24. Mai.30 Die Zeiträume passen recht gut zusammen. Aber: Die Todeszahlen sind schon eine Woche vor dem offiziellem Start von Recovery gestiegen. Wurde schon vorher HCQ eingesetzt? Dieser Frage sollte nachgegangen werden.

Autorin Rebecca Weisser ist sich sicher, dass 40.000 der 42.000 Covid-19 Todesfälle in Großbritannien hätten vermieden werden können:

„In Britain, where almost 42,000 people have died of Covid, the only thing randomised, controlled trials have achieved, is to blind people to the evidence that 40,000 of those deaths could have been avoided.“(21)

Quellen

1: https://www.recoverytrial.net

2: https://www.recoverytrial.net/results/dexamethasone-results

3: https://www.recoverytrial.net/results/lopinavar-results

4: https://www.recoverytrial.net/results/hydroxychloroquine-results

5: https://rclutz.wordpress.com/2020/08/05/the-real-hcq-story-what-we-now-know/

6: https://www.preprints.org/manuscript/202007.0025/v1

7: https://www.recoverytrial.net/news/statement-from-the-chief-investigators-of-the-randomised-evaluation-of-covid-19-therapy-recovery-trial-on-hydroxychloroquine-5-june-2020-no-clinical-benefit-from-use-of-hydroxychloroquine-in-hospitalised-patients-with-covid-19

8: https://www.dw.com/de/coronavirus-chloroquin-studie-wegen-todesf%C3%A4llen-in-brasilien-abgebrochen/a-53129832

9: https://www.bbc.com/news/world-us-canada-53054476

10: https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(20)31180-6/fulltext

11: https://www.palmerfoundation.com.au/182-professionals-from-25-countries-around-the-globe-raise-serious-concerns-with-the-lancets-anti-hcq-report/

12: https://www.palmerfoundation.com.au/who-solidarity-and-uk-recovery-clinical-trials-of-hydroxychloroquine-using-potentially-fatal-doses/

13: https://www.medintensiva.org/en-hydroxychloroquine-potentially-lethal-drug-articulo-S2173572717300577

14: https://www.aliem.com/hydroxychloroquine-toxicity/

15: https://www.palmerfoundation.com.au/who-solidarity-and-uk-recovery-clinical-trials-of-hydroxychloroquine-using-potentially-fatal-doses/

16: https://www.cmaj.ca/content/cmaj/early/2020/04/08/cmaj.200528.full.pdf

17: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Service/Presse/Corona/Hydroxychloroquin_Deutsch.pdf?__blob=publicationFile&v=3

18: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2020/RI-hydroxychloroquin.html

19: http://www.francesoir.fr/politique-monde/interview-exclusive-martin-landray-recovery-hydroxychloroquine-game-over-uk

20: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3758071/

21: https://www.palmerfoundation.com.au/bring-on-britains-corona-clowns-spectator-australia/

22: https://www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Hydroxychloroquin_3297#Kontraindikation

23: http://www.francesoir.fr/politique-monde/oxford-recovery-et-solidarity-overdosage-two-clinical-trials-acts-considered

24. https://www.palmerfoundation.com.au/hydroxychloroquine-and-the-burden-of-proof/

25: https://www.palmerfoundation.com.au/hydroxychloroquine-stories-as-it-happens-timeline/

26: https://hcqtrial.com/

27: https://aapsonline.org/CovidPatientTreatmentGuide.pdf

28: Stichworte Hydroxychloroquin, Zink oder Vitamin kommen nicht vor.

https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/Stakob/Stellungnahmen/Stellungnahme-Covid-19_Therapie_Diagnose.pdf?__blob=publicationFile

29: https://swprs.org/eine-covid-19-strategie/

30: Z-scores by country

https://www.euromomo.eu/graphs-and-maps

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