Horst D. Deckert

Immer längere Schlange vor Essensausgabe in Mailand

Seit Monaten wiederhole sich im Viale Toscana in Mailand tagtäglich dieselbe Szene, berichtet das italienische Nachrichtenportal Fanpage.it. Eine hunderte Meter lange Schlange auf dem Bürgersteig vor der Essensausgabe für Bedürftige der 1898 gegründeten privaten karitativen Organisation Pane Quotidiano (Tägliches Brot). Es sind Menschen, die anstehen, um gespendete Lebensmittel zu erhalten.

Die Schlange der neuen Armen werde immer länger, je mehr Zeit vergehe und die Auswirkungen der Pandemie spürbarer würden. Fanpage.it hat nun schon zum zweiten Mal Interviews mit Angestellten und «Gästen» geführt, um deren Stimmen und Stimmungen einzufangen.

Quelle: Fanpage.it

Das erste Mal waren die Journalisten kurz vor Weihnachten 2020 dort. Damals kamen etwa 3’000 bis 3’500 Menschen am Tag, an Feiertagen auch viele Kinder, da sie kein Schulessen bekommen konnten. Zudem kamen auch viele ältere Menschen, die mit ihrer mageren Pension nicht durchkommen, sowie Arbeitslose. Fabio Pedretti, der für Pane Quotidiano Freiwilligenarbeit leistet, sagte, dass die Zahl der Gäste seit der Finanzkrise im 2008 zugenommen habe und sie sich in den letzten sieben bis acht Jahren verdoppelt habe.

Vier Monate später ist das Team von Fanpage zurückgekommen, um zu sehen, ob sich die Situation geändert hat. Luigi Rossi, Vizepräsident von Pane Quotidiano, sagte dazu:

«In den letzten drei Monaten hatten wir einen Anstieg unserer Gäste von 3000 bis 3500 auf 3500 bis 4000, eine Zunahme von etwa 10% bis 15%. Doch ich befürchte leider, dass das eigentliche Problem erst im Herbst dieses Jahres zu beobachten sein wird, wenn das Kündigungsverbot aufgehoben wird und die Maßnahmen zur sozialen Abfederung enden werden. Die wirkliche Herausforderung für Pane Quotidiano wird in dieser Periode sein.»

Quelle: Fanpage.it

Ein etwa fünfzigjähriger Mann sagte, dass Leute aus allen sozialen Schichten anstehen würden und ergänzte:

«Ich bin jemand, der immer gearbeitet hat. Diesen Winter haben sie mich nicht arbeiten lassen und ich habe langsam wenig Geld in der Tasche. (…) Ohne diese Hilfe werde ich auf der Strasse enden. Ich bin kein Delinquent, ich kann nicht stehlen gehen. Wer bezahlt mir die Miete, wenn das Geld dafür fehlt?»

Ein anderer Mann, 55 Jahre alt, beklagte:

«Ich schlafe auf der Strasse. Ich bin so gekleidet, weil das die Kleidung ist, die ich erhalte. Ich habe keine Arbeit, ich habe nichts und bin gezwungen, für ein Stück Brot zu hierher zu kommen. Das ist nichts für mich.»

Laut einem weiteren Gast, würden viele Leute leiden, doch sie wagten es nicht, es in einem Interview zu sagen. Eine 25-jährige Frau sagt zum Schluss, dass sie hierher komme, um eine kleine zusätzliche Hilfe zu erhalten. Sie habe wegen der «Pandemie» die Wohnung und die Arbeit verloren, und lebe deswegen in einer Notunterkunft. Vor der «Pandemie» habe sie noch nie Unterstützung benötigt.

Wenn das Bruttoinlandprodukt auch kein zuverlässiger Indikator ist für den Wohlstand in einer Gesellschaft, so ist es in Italien im Jahr 2020 doch um beträchtliche 8,9% gesunken. Und das in einem Land, das schon vor der «Pandemie» in finanziellen Nöten war. Die öffentlichen Schulden erreichten in Italien im Jahr 2020 2’569 Milliarden, was 155,6% des BIP entspricht, im Gegensatz zu 134,6% des BIP im Jahr 2019.

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