Horst D. Deckert

Ist der Corona-Denunziant doch kein Deutscher? In Japan haben sie sogar einen eigenen Namen: Jishuku Keisatsu

Der Autor dieser Zeilen ist nicht frei von Schuld im Zusammenhang mit dem Anprangern von Personen, die sich nicht an die Coronabeschränkungen halten. Im Gegenteil, covid-hypocrites.com lebt und bekommt täglich neue Einträge (derzeit über 260). Doch es gibt, wie ich meine, einen großen Unterschied zwischen mir und zu dem, was bei uns in Deutschland Nachbarn treiben, die auch im Dritten Reich (oder im Vierten zwischen Dresden und Schwerin) aufgeblüht wären – oder eben die sogenannten Jishuku Keisatsu in Japan, um die es gleich gehen wird.

Was mich beim Anprangern antreibt sind Heuchler in Politik und Medien, die dem Pöbel Beschränkungen auferlegen und sich selbst nicht daran halten. Es ist dringend angezeigt, diese Diskrepanz aufzuzeigen, da sie einen kritischen Bruch der Elite mit dem Rest des Planeten markiert. Seine Nachbarn dagegen zu verpfeifen, oder wie in Japan offenbar schon geschehen, dass mit Steinen nach vermeintlichen Coronaverbreitern geworfen wird, geht gar nicht.

In Anbetracht der weiterhin bestehenden Umstände mit einer Angstpolitik, mit der die Menschen gegeneinander aufhetzt werden, müssen wir leider mit dem schlimmsten rechnen. Angesagt sind chinesische Verhältnisse bei der staatlichen Unterdrückung der Bevölkerung – Pardon – ich meine natürlich des Virus, und japanische bei der rabiaten Verfolgung aller überall durch alle.

Es zeigt, wie die Welt allerorten zügig in eine Phase des selbstgerechten Furors eintritt. Der auf Ratio beruhende zivilisatorische Firnis könnte schneller abgekratzt sein, als wir uns vorstellen können. Jeder sollte sich für diesen Zustand wappnen.

 

Japan Times: Japans „Virenwächter“ gehen gegen Regelverstöße und Eindringlinge vor

 

In Japan geht eine ganze Armee von „Coronaviruswächtern“ bis zum Äußersten, um potenzielle Verbreiter von COVID-19 zu schikanieren. Sie stellen Regelbrecher an den „Internetpranger“ und überwachen Fernreisende, die sie als virusübertragende Eindringlinge in ihren Gemeinden betrachten.

Vigilantismus während einer Pandemie ist keine Besonderheit in Japan. Aus dem Ausland gibt es Berichte, dass Bürger Kontrollpunkte einrichten, um Reisende auszusperren, Reißzwecken auslegen, um Radfahrer abzuschrecken und „Bleibt draußen“-Schilder außerhalb von Dörfern aufzustellen.

Aber auch Japan hat seinen eigenen Anteil an Menschen, die sich zur Selbstjustiz berufen sehen. Unter dem Namen jishuku keisatsu (Selbstbeschränkungspolizei) überwachen diese selbstgerechten Personen aggressiv das Internet und machen Jagd auf Autos, die außerhalb der Präfektur des Nummernschilds unterwegs sind. Es ist ein kollektiver Versuch, all jenen hinterher zu stellen, die der Aufforderung zu Hause zu bleiben missachten und laut ihnen möglicherweise andere in Gefahr bringen.

Eines der jüngsten Beispiele ist die Hetze gegen eine Frau in den 20ern, die Anfang des Monats aus der Präfektur Yamanashi nach Tokio reiste, obwohl sie von den Behörden darüber informiert worden war, dass sie positiv auf COVID-19 getestet worden war. Ein weiterer Grund, der die Öffentlichkeit gegen sie aufbrachte bestand in der Tatsache, dass sie bei den Behörden zunächst falsche Angaben machte, um sich offensichtlich der Verantwortung für ihr Handeln zu entziehen.

Sie musste dafür teuer bezahlen: Das Internet war stinksauer über ihre Verantwortungslosigkeit und so wurde schnell ihr Konto bei Twitter durchforstet, um ihren richtigen Namen herauszufinden. Man brandmarkte sie als „coronaverbreitende Terroristin“, es wurden alte Fotos von ihr ausgegraben und ihr angeblicher Arbeitgeber wurde mit Beschwerdeanrufen überhäuft.

Nicht alle der gesammelten Informationen über die Frau waren jedoch echt. Eine in Tokio ansässige Konditorei, die fälschlicherweise als ihr Arbeitgeber vermutet wurde, musste schließlich eine Erklärung auf ihrer Website veröffentlichen: „Wir erwägen rechtliche Schritte in Bezug auf die Rufschädigung, die durch unbegründete Informationen“ im Internet verursacht wurden.

Andere Beispiele sind die Präfekturen Tokushima und Iwate, in denen die Anfeindungen gegen Autofahrer mit Kennzeichen anderer Präfekturen zugenommen haben. Die Polizei berichtet von Fällen, in denen Autos mit Nummernschildern von außerhalb der Präfektur von den selbsternannten Wächtern beschattet und verwüstet wurden, und deren Fahrer sie mit Beschimpfungen bedacht haben. Die Behörden riefen die Einheimischen zur Besonnenheit auf.

In der Mie Präfektur gab es einen Fall, bei dem jemand Steine auf das Haus eines COVID-19-Patienten geworfen und die Wände mit Graffiti verunstaltet hat. Ein kleiner Süßwarenladen in Chiba erhielt letzten Monat einen Drohbrief, in dem stand: „Zieht keine Kinder an. Schließt den Laden“, obwohl der Laden schon lange vor der Ausrufung des Ausnahmezustands den Betrieb eingestellt hatte.

Ein ähnliches Plakat mit der Forderung auf Schließung wurde Berichten zufolge im letzten Monat von Unbekannten an die Tür eines Tokioter Lokals geklebt, wobei scheinbar die Tatsache außer Acht gelassen wurde, dass auch dort der Betrieb bereits gemäß der Aufforderung der Stadtregierung heruntergefahren wurde.

Ein 29-jähriger Mann, der sich auf Twitter als „Internetwächter“ bezeichnet, sagte, dass sogar er von einigen dieser Fälle von Belästigung und Diskriminierung von COVID-19-Patienten erschreckt sei. Insbesondere der Fall aus Mie habe ihn schockiert.

„Sie haben offensichtlich die Grenze überschritten“, sagte der Mann mit dem Spitznamen Ishihara, der seinen richtigen Namen nicht nennen wollte.

Gleichzeitig meinte Ishihara allerdings auch, dass er in gewisser Weise deren Motivation versteht und davon ausgeht, dass sie vielleicht das Gefühl hatten, das Gesetz in die eigenen Hände nehmen zu müssen, weil es in Japan „rechtliche Schlupflöcher“ gibt – einschließlich eines Mangels an rechtlichen Möglichkeiten, um stadtweite Abriegelungen anordnen zu können, wie es im Ausland der Fall ist.

„Ich denke, dass diese Bürgerwehren zum Teil deshalb entstanden sind, weil die Gesetzeslage unzureichend ist“, sagte er.

Mafumi Usui, Professor für Sozialpsychologie an der Niigata Seiryo Universität, stimmt dem zu. Der Selbstjustiz liegt seiner Meinung nach nicht nur die Angst vor dem Virus zugrunde, sondern auch der Wunsch, Regelbrecher zu „bestrafen“.

„Sie sind wirklich davon überzeugt, dass sie das richtige machen, und dass sie da für Gerechtigkeit sorgen, wo auf Polizei und Gesetze kein Verlass ist“, sagt er. Nach dieser Logik hätten sie zum Beispiel die Frau aus Yamanashi nicht als Zielscheibe betrachtet, um sie zu schikanieren, sondern als echte Bedrohung für die Gesellschaft erkennt, was es zu ahnden gilt, sagte er.

Obwohl diese Art der Selbstjustiz wegen Covid-19 nicht auf Japan beschränkt ist, fügte Usui hinzu, könnte hier auch der tief in der japanischen Kultur verankerte Kollektivismus und der Gruppendrucks mit von Bedeutung sein.

„Es könnte eine Denkweise im Spiel sein, die besagt: ‚Warum kannst du nicht zu Hause bleiben, wie alle anderen auch? Warum kannst du dich nicht an Regeln halten?‘“, sagte er.

Das Phänomen der massiven Attacken im Internet habe es schon lange vor COVID-19 gegeben und sei nun mit dem erhöhten Stress und der Verunsicherung durch das Virus wieder hochgekommen, sagt der freie Journalist Koichi Yasuda, der ein Buch zum Thema Internetpranger geschrieben hat.

Es ist wahrscheinlich, dass diejenigen, die die Frau aus Yamanashi an den Pranger stellten, nicht von einem erhabenen Gerechtigkeitssinn angetrieben wurden, sondern einfach nur Schadenfreude empfanden, weil sie „einen gemeinsamen Feind fanden, gegen den sie sich zusammenrotten konnten“ und als Ergebnis „ihre eigene aufgestaute Angst ablassen konnten“, sagte er. Die anonyme Natur solcher Internetmobs ermutigt sie oft zu ihren Aktionen, meinte Yasuda.

Die Behörden fordern die Einwohner weiterhin dazu auf, sich ruhig zu verhalten, um weitere derartige Fälle zu verhindern.

Von Anfang an hatte etwa die Präfektur Tokushima aktiv eine Politik verfolgt, die den von außerhalb kommenden Verkehr minimieren sollte. Dazu wurden etwa Autos mit fremden Kennzeichen an Kontrollpunkten angehalten. Gouverneur Kamon Iizumi sagte auf einer Pressekonferenz im letzten Monat, dass diese Politik „eine zu starke Botschaft“ an die Bewohner sendet, nachdem sich Beschwerden über Schikanen gegen Fahrer mit Kennzeichen von außerhalb der Präfektur häuften.

„Es ist nicht so, dass die Einwohner von Tokushima allein sicher sind und all jene von außerhalb gefährlich“, sagte Tokushimas Bürgermeisterin Sawako Naito auf derselben Pressekonferenz. „Diskriminierung und Spaltung sind etwas, das unsere Stadt niemals tolerieren kann. Es ist nicht die Zeit für uns, sich gegeneinander zu wenden“, sagte sie.

Quelle Titelbild

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