Italien drängt auf staatliche Kontrolle seiner 300-Milliarden-Goldreserven – ein Konflikt mit der Zentralbank eskaliert
Die italienische Regierung treibt laut einem Reuters-Bericht vom 27. November einen Gesetzentwurf voran, der dem Staat die formelle Eigentümerschaft über die gesamten Goldreserven des Landes zuschreiben soll. Mit über 2.452 Tonnen besitzt Italien die viertgrößten Goldbestände der Welt, deren Marktwert bei rund 300 Milliarden Euro liegt.
Bislang befinden sich diese Reserven im Besitz der Bank von Italien, einer institutionell unabhängigen Zentralbank innerhalb des Eurosystems. Die Regierung argumentiert, Gold sei ein „strategischer Vermögenswert“, über den der Staat im Falle einer finanziellen oder geopolitischen Krisensituation verfügen müsse. Die Zentralbank lehnt diesen Vorstoß ab – sie beruft sich auf ihre Unabhängigkeit und verweist darauf, dass eine politische Einflussnahme die Glaubwürdigkeit der Währungs- und Geldpolitik beschädigen könnte.
Die Auseinandersetzung ist brisant, weil sie ein grundlegendes Spannungsverhältnis offenlegt: Wem gehört das staatliche Gold tatsächlich – der Zentralbank oder dem souveränen Staat?
Warum Italien das Gold zurückhaben will
Die Beweggründe der Regierung gehen weit über symbolische Politik hinaus. Mehrere strategische Faktoren spielen eine Rolle:
1. Zentralbank-Unabhängigkeit verhindert staatlichen Zugriff
Die Goldreserven stehen zwar bilanziell für Italien, doch die Regierung kann nicht frei darüber verfügen. Die Bank von Italien ist der EZB verpflichtet, nicht der Regierung. In einer systemischen Krise – etwa einer neuen Eurokrise – hätte Rom praktisch keinen direkten Zugriff auf die Bestände. Mit einem Gesetz, das den Staat ausdrücklich als Eigentümer definiert, würde dieses Risiko beseitigt.
2. Absicherung für eine mögliche Währungsneuordnung
Ökonomen diskutieren seit Jahren offen über eine mögliche Neuordnung des europäischen Währungssystems. Italien besitzt eine der höchsten Schuldenquoten der EU. Sollte es zu einer Währungsreform oder einer Fragmentierung des Euroraums kommen, wäre Gold die einzige zuverlässige Deckung für eine nationale oder parallel laufende Währung.
Ohne direkten staatlichen Zugriff wäre Italien handlungsunfähig.
3. Internationale Debatte über eine Neubewertung von Gold
In den Vereinigten Staaten – darunter frühere Regierungsberater und Think Tanks – wird zunehmend über eine mögliche Neubewertung von Gold gesprochen, um das hoch verschuldete Finanzsystem zu stabilisieren. Eine solche Neubewertung könnte die Reserven Italiens schlagartig um ein Vielfaches aufwerten.
Für Rom wäre es ein erhebliches Risiko, wenn dieses Vermögen nicht eindeutig unter staatlicher Kontrolle steht.
4. Vorbeugung gegen eine mögliche Vergemeinschaftung von Goldreserven
In Brüssel kursieren seit Jahren Überlegungen, EU-weit staatliche Vermögenswerte – einschliesslich Gold – zur Besicherung gemeinsamer Schuldeninstrumente heranzuziehen. Programme wie der Wiederaufbaufonds haben gezeigt, wie schnell sich Haftungsarchitekturen verschieben können.
Mit einem klaren Eigentumsrecht will Italien verhindern, dass seine Goldreserven später als EU-Sicherheiten vereinnahmt werden.
5. Globale geopolitische Entwicklung
Während die USA, China und Russland ihre Goldbestände aufstocken oder strategisch nutzen, wäre es für Italien gefährlich, wenn das einzige realwirtschaftliche Aktivum unter supranationaler Kontrolle steht. Gold wird heute wieder als geopolitisches Machtinstrument verstanden.
Die italienische Regierung will nicht zum einzigen großen Goldhalter werden, der faktisch keinen Zugriff hat.
Was Reuters offenlegt – und was es bedeutet
Der Reuters-Bericht zeigt deutlich:
Es geht nicht um einen Verkauf von Gold. Es geht um Eigentum, Macht und Souveränität.
Dass Brüssel zu dem Thema schweigt, ist bemerkenswert. Ein Eingriff in die Eigentumsstruktur nationaler Goldreserven berührt unmittelbar die Architektur des Eurosystems. Der Konflikt zwischen Rom und der Bank von Italien könnte einen Präzedenzfall schaffen, der andere EU-Staaten ermutigt, ähnliche Schritte einzuleiten.
Die Auseinandersetzung ist damit nicht nur ein innenpolitisches Thema, sondern ein geopolitischer Warnschuss: Nationale Regierungen beginnen, sich auf mögliche strukturelle Verwerfungen im globalen Finanzsystem vorzubereiten.
Fazit
Italiens Vorgehen ist kein isolierter politischer Vorstoß, sondern Teil eines größeren strategischen Trends. Staaten sichern ihre realen Vermögenswerte, während die Schuldenberge wachsen, die geopolitischen Spannungen zunehmen und die Zukunft des Eurosystems offen ist.
Die italienische Regierung hat erkannt, dass Gold im Ernstfall nicht nur ein Finanzwert ist, sondern eine Frage der nationalen Handlungsfähigkeit.
Wer über das Gold verfügt, entscheidet im Zweifel über die Zukunft der Währung – und über die Souveränität des Staates.

