Horst D. Deckert

Mátyás Kohán (Mandiner): „Deutschland dreht durch und das freut mich nicht“

Von Mátyás Kohán zum 1. Mai 2021

Die deutschen Rechtsparteien spielen die größte Wirtschaft Europas am hellichten Tag den Grünen in die Hände, damit sich Deutschland in ein einziges großes, abgehobenes Brüssel verwandeln kann.

Es gibt von uns Germanophilen vielleicht noch einige Exemplare im Land. Das ist eine unwillkürliche, rührselige Haltung, motiviert durch spiegelglatte Autobahnen ohne Tempolimit, angetrieben durch die angenehme Luft der VW-Innenräume, durch Cobra 11, Tatort, Beethoven, den Toten Hosen, Rainer Maria Rilke. Die Brot‑, Wurst- und Bierkultur leisten auch ihren Beitrag, genauso wie die üppige Luft der deutschen Häuser aus den Sechzigern bis Achtzigern, oder die harten und knusprigen deutschen Wörter, die dem Rachen entstammen und dem Gaumen und den Zähnen entlangklopfen. Oder das schlüpfrige Säuseln des Schwäbischen, das Dröhnen, Rollen und Verkneifen des Bayrischen, der bürgerliche Wohlstand, greifbar und nah.

Obwohl Ungarn in den letzten sechzehn Jahren nicht allzu viel Wertepolitik, Bündnispartnerschaft oder freundliche Wörter von der Bundesmutti erfahren durfte, war sie trotzdem imstande, Deutschland – manch eine arabische No-Go-Zone oder Windkraftwerk hin, AKWs her –

so zu bewahren, wie es ist. Berechenbar und präzise eigennützig, pragmatisch, ruhig, fadenscheinig, und durch freundliche Industriepolitik zähmbar.

Das geht aber dieses Jahr zu Ende. Angela Merkel scheidet aus, sie klettert herunter von der Mitte des großen deutschen politischen Schaukelbretts, wo sie bislang auf beide Beine anlehnend stabil zehn Grad nach links bog, und in sämtlichen anderen Teilen der Wippe bequeme Sitzplätze anbot. Die Büchse der Pandora wird nun korkenlos, und auch die Kolonien der Autoindustrie wird nichts mehr von der launischen Selbstsuche der Deutschen abschirmen.

Es ist nun mal so, dass dem bayerischen EVP-Häuptling Manfred Weber, den so manche Niederlagen etwas aus dem Gleichgewicht brachten, der deutsche politische Umfeld im Rahmen einer lebensunfähigen politischen Strategie, die den Mangel an rechtskonservative Politik als rechtskonservative Politik verkaufen will, nun erlaubte, seine eigene EP-Fraktion um 6,4 Prozent zu verkleinern – und dann die Wahl, den er mit dieser Strategie gewinnen wollte, auch noch zu verlieren. Es ist auch so eine Sache, dass ein Jahr voller pandemiebezogenen Bürgerschikane der Beliebtheit der jeweiligen deutschen Regierungspartei keinen Gefallen tut, und dass

es ausgerechnet die Grünen sind, die daraus am Ende der Aufschiebephase der globalen Klimapolitik Nutzen ziehen.

Was aber glatter Irrsinn ist: die Demoskopen bei INSA messen für die bisher exklusiv bayerische CSU bundesweit 14 Prozentpunkte mehr als für ihre Mutterpartei CDU (24 vs. 10 Prozent), was im Klartext etwa heißt, dass

die durch Merkel entwertete CDU in ihrer entmerkelter Form so gut wie keiner haben will –

und darauf ist die Antwort der geschäftsführenden deutschen Regierungspartei kein Versuch, Friedrich Merz, den einzigen Mann, der in der Partei in den letzten zehn Jahren etwas vorangetrieben hat, aufzubauen. Die Antwort ist auch nicht die Übergabe der Möglichkeit an den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, der sich zwar als grünster Rechter profiliert, zur rechten Zeit jedoch auch Sputnik V kauft.

Nein, der Antwort ist Armin Laschet – die Scheinevangelikerin Merkel als Scheinkatholik neu verpackt, ohne jeglichem Mutti-Appeal, jedoch mit kilometerlanger Erfahrung als Politikmakler. Währenddessen deklariert die AfD nach harten inneren Debatten, dass sie Deutschland aus der Europäischen Union herausführen möchte – und das war’s dann auch mit dem Auswahl an rechter Politik. Ist wirklich keiner da, die in der Lage wäre zu bemerken,

dass das konservative Volk weder ein Schar grün überpinselter Scheinchristen noch tatkräftigen Euroskeptizismus will, sondern – falls möglich – lieber doch für den gesunden Menschenverstand stimmen würde, der als Vakuum zwischen den beiden schwebt?

Nein, es ist keiner da – und darum werden die Grünen gewinnen. Wenn sie Wahlsieger werden, dann dadurch, wenn sie knapp auf Platz zwei ankommen, wird das ihr Wahlsieg sein.

Und dann eine Runde Applaus, denn es wird sich nach amerikanischem Vorbild die erste Aktivistenregierung Europas bilden, unter freundlicher Anführung der geistlich relativ bescheiden dotierten Annalena Baerbock, von der man nur erhoffen kann, dass sie Deutschland mit einer etwas höheren Trefferrate befehlen kann als ihrer eigenen stolpernden Zunge.

Die Rechtsparteien Deutschlands verlieren nach und nach an politischer Kompetenz und spielen die größte Wirtschaft Europas bei heller Tageslicht den Grünen in die Hände, um ganz Deutschland in ein großes, abgehobenes Brüssel zu verwandeln, eine launische, instabile, gewerbe‑, auto- und freiheitsfeindliche Ideenfabrik.

Sic transit gloria mundi – es wäre jedem besser gewesen, wenn Merkel die Migrationskrise von 2015 mit ihrem eigenen Rücktritt gelöst hätte, anstatt ihre Partei zu ruinieren.

Vergangene Woche machten sich bekannte deutsche Schauspieler unter dem Hashtag #allesdichtmachen gegen die komplett abhandene Lockdown-Kritik der deutschen Presse stark. Es ist in der Tat schauderhaft zu sehen, dass die Presse, die die auf künstliche Inzidenzwerte basierende Corona-Politik des Kabinetts Merkel in einem einzigen Phalanx verteidigt, durch die politisch ebenfalls wohl homogene Entertainment-Industrie dadurch aufmerksam gemacht werden muss, dass die Nachricht heilig ist – und eben nicht die Meinung der Medien.

Die Rollen sind in Deutschland vertauscht, die Presse treibt anstelle der Politiker Politik, und die Umfragen zeigen, dass die Meinung der Journalisten langsam in die Gesellschaft heruntersickert.

Dies wird zur politischen Kulturverlust führen, und das ausgerechnet in einem Land, der mit den anspruchsvollsten Politikdebatten des alten Kontinents zu zitieren war. Sinnentleerte Politiker und eine gleichgeschaltet alleskönnende Presse werden nicht mal in Deutschland eine Demokratie aufbauen können. Dieser Verdacht wird dadurch nur verstärkt, dass vielen deutschen Schauspielern, die nun gegen den Medien ihre Kampagne führen, die Kündigung droht – genauso wie den Torwarttrainer Zsolt Petry der Hertha BSC, der wegen seiner politischen Meinung gefeuert wurde.

Die mentale Lage der deutschen Politik ist, gelinde gesagt, lausig – und das veranlässt uns, uns endlich von unseren gehassliebten industriellen Kolonialherren abzutrennen. In seinen jungen Jahren wird das postmerkelsche Deutschland weder ein guter Verbündeter noch ein Orientierungspunkt. Es wird vor allem ein schwächelndes Aktivistenparadies sein – mit verrückten Launen.

Hier in den Kolonien müssen wir geduldig abwarten und ihm gute Besserung wünschen. Bis zu seiner Genesung ist jedoch der Appell auch an die deutschen Auslandspropagandamedien, die zurzeit in Mitteleuropa stationiert sind: #allesdichtmachen, bitte schön!

 

Der Autor, Mátyás Kohán, ist Redakteur für Außenpolitik bei der ungarischen Tageszeitung MANDINER.

Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel “Németország sajnos megőrült” bei MANDINER. Ins Deutsche übersetzt vom Verfasser und veröffentlicht bei UNGANREAL, unserem Partner in der EUROPÄISCHEN MEDIENKOOPERATION


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