Der Strafverteidiger Konrad Jeker äusserte sich unlängst in der Solothurner Zeitung über die Konstruktionsfehler des Epidemiengesetzes. Im Folgenden sein Kommentar:
An einem Sonntag im März 2020 haben die Ratsbüros von National- und Ständerat beschlossen, die laufende Session auf Grund der Coronavirus-Situation abzubrechen. Bereits am folgenden Montag hat der Bundesrat die ausserordentliche Lage erklärt, die ihn gestützt auf das Epidemiengesetz (EpG) ermächtigt, die notwendigen Massnahmen zum Schutz des Menschen vor übertragbaren Krankheiten anzuordnen. Das EpG ist vom Volk angenommen worden, aber es weist mindestens drei Konstruktionsfehler auf, die kaum öffentlich diskutiert wurden.
Der erste liegt darin, dass der Bundesrat selbst entscheiden kann, ob und wann er die ausserordentliche Lage beschliessen und sich selbst dazu ermächtigen darf, die verfassungsmässigen Rechte der Bürger ausser Kraft zu setzen. Davon können andere demokratisch gewählte Regierungen mit Machtambitionen nur träumen. Zwar könnte das Parlament den Bundesrat jederzeit stoppen. Aber wenn die Volksvertreter es vorziehen, sich im Ernstfall wegzuducken, dann fehlt diese Kontrolle.
Der zweite Fehler ist, dass der Bundesrat auch gleich selbst definieren kann, was notwendig ist. Der Lockdown war es vermutlich nicht, denn die Zahl der täglichen Neuinfektionen war bereits vorher schon wieder rückläufig. Das konnte der Bundesrat auf Grund der erheblichen Verzögerung vom Zeitpunkt der Ansteckung bis zur Auswertung der entsprechenden Meldung natürlich nicht wissen und es ist ihm auch nicht vorzuwerfen.
Was der Bundesrat aber wusste, ist, dass ihn das Gesetz nicht ermächtigt, Dutzende von Milliarden Franken, die er nebenbei bemerkt nicht einmal hat, in die Wirtschaft zu pumpen. Die Milliarden waren vielleicht notwendig, um die dramatischen wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns zu mildern. Das wird sich in der Nachschau noch zeigen. Möglicherweise wird aber dereinst in den Geschichtsbüchern stehen, der Bundesrat habe die Bevölkerung im Frühling 2020 doppelt geschädigt.
Zuerst habe er sie unter Strafandrohung zu Massnahmen gezwungen, die nicht notwendig waren und riesige (nicht nur wirtschaftliche) Schäden verursacht haben. Dann habe er den verursachten Schaden mit Geld zugeschüttet, das er der geschädigten Bevölkerung bzw. der nächsten Generation weggenommen hat, ohne dafür über eine rechtliche Grundlage zu verfügen. Dem Bundesrat wird man aber nie vorgeworfen werden können, er habe sich wie das Parlament einfach weggeduckt.
Der dritte Konstruktionsfehler ist nicht im Epidemiengesetz selbst angelegt, sondern in der Bundesverfassung. Diese verpflichtet nämlich die Gerichte, Gesetze auch dann anzuwenden, wenn sie verfassungswidrig sind. Auch die Coronaverordnungen des Bundesrats sind nicht anfechtbar. Die Justiz als dritte Gewalt im Staat kann daher den Bundesrat auch nicht stoppen. Er entscheidet vollständig autonom, wann er die ausserordentliche Lage nach EpG erklären will und welche Massnahmen er für notwendig hält. Das Land vertraut einfach darauf, dass der Bundesrat seine Macht nicht missbraucht. Gestoppt werden kann er nur durch das Parlament, aber das Parlament …