Horst D. Deckert

Mit dem neuen Ermächtigungsgesetz wird «bis in die Wohnzimmer» durchregiert

Der Ausnahmezustand erweist sich in der Politik der Gegenwart immer mehr als das herrschende Paradigma des Regierens. Deutlich sichtbar wird dies in Deutschland. Bereits mit der Änderung des sogenannten Infektionsschutzgesetzes Mitte November 2020 überspannte die deutsche Regierung den Bogen massiv. Doch nun will Bundeskanzlerin Angela Merkel die totale Kontrolle an sich reissen.

Der «Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite» verleiht der Exekutive Vollmachten, die ihresgleichen suchen. Mit dem Paragraphen 28b IfSG will Merkel künftig die Bundesländer und die Bürger noch weiter entmachten. Eingeführt werden soll nun «eine bundesweit verbindliche Notbremse ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100». Das heisst: Bundesländer, die mehr als 100 «Fälle» pro 100’000 Einwohner verzeichnen, werden künftig einheitlich lamgelegt – die Länderregierungen sollen dabei nichts mehr mitzureden haben.

Freizeiteinrichtungen, Restaurants, Märkte, Ladengeschäfte sollen dann in der entsprechenden Region geschlossen bleiben. Zwischen 21 und 5 Uhr herrschen Ausgangssperren. Doch damit nicht genug: Zahlreiche Grundrechte würden mit dem neuen Gesetz massiv eingeschränkt und teilweise gänzlich ausser Kraft gesetzt.

Ein Auszug aus dem Gesetzesentwurf:

«Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes), der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) werden eingeschränkt und können auch durch Rechtsverordnungen nach Absatz 6 eingeschränkt werden.»

Richter und Juristen üben scharfe Kritik

Dass der Inzidenzwert keinerlei Aussagekraft hat, ist längst bekannt. Mit dem willkürlichen Parameter kann die Bundesregierung aber – sollte das Gesetz tatsächlich durchkommen – künftig ohne weiteres in die Länder hineinregieren. Einzige Voraussetzung dazu: Es muss genügend getestet werden (wie wenig aussagekräftig die Tests sind, zeigte Corona-Transition bereits mehrfach auf).

Auf entsprechend scharfe Kritik stösst der neue Gesetzesentwurf. Beunruhigt sind gerade auch Juristen. Für Jens Gnisa, den ehemaligen Interessenvertreter von rund 17’000 Richtern in Deutschland, schiesst der Bund damit «deutlich über alle Verhältnismässigkeits-Grenzen hinaus.» Gnisa spricht von dem am «tiefsten in die Grundrechte» einschneidenden Bundesgesetz der letzten Jahrzehnte.

Dieselbe Auffassung teilt das Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte (KRiStA). Mit dem neuen Gesetz «würde ein Durchregieren bis in die Wohnzimmer der Menschen ermöglicht werden», so die KRiStA. Das Netzwerk kritisiert zudem auch den anvisierten Inzidenzwert, der wenig aussagekräftig sei. Noch drastischer spricht es die Medizinrechtsanwältin Beate Bahner aus: «Das Gesetz bedeutet die Beendigung aller Freiheiten, die komplette Vernichtung der Rechte und die endgültige Beseitigung der Demokratie.»

Grundrechtseinschränkungen sind kein Thema fürs SRF

Politiker der CDU, CSU, SPD und Grünen wollen das Gesetz noch diese Woche durch den Bundestag winken. Doch bereits jetzt steht fest: Zahlreiche Bürger und Demokraten werden gegen das zweite Ermächtigungsgesetz, wie es Kritiker nennen, demonstrieren. Schon am Dienstag versammelten sich Demokraten vor dem Bundestag, um gegen die beabsichtigten Vollmachten der Bundesregierung zu protestieren. In den kommenden Tagen sind weitere Demos in zahlreichen Bundesländern angesagt.

Pikant: Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) erachtet den neuen Gesetzesentwurf als wenig problematisch. Zwar weist SRF darauf hin, dass die Bundesregierung damit die Länder entmachten wird. Doch mit keinem einzigen Wort nennt der Staatssender die massiven Einschränkungen der Grundrechte, die mit dem neuen Gesetz einhergehen: «Ein grosser Wurf wird das Infektionsschutzgesetz nicht werden, vielleicht nicht einmal ein kleiner. Die Kanzlerin hat und gibt sich Mühe», schreibt Deutschland-Korrespondentin Bettina Ramseier.

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