Horst D. Deckert

Neue Gesetze über aktive Sterbehilfe sind für behinderte Menschen eine Gefahr

In immer mehr Ländern werden Gesetze eingeführt, normalisiert und erweitert, die es Ärzten erlauben, Menschen beim Selbstmord zu unterstützen. Zielt dies allein auf die Linderung unerträglicher körperlicher oder seelischer Leiden ab? Oder überwiegen andere Faktoren? Früher glaubte ich an Ersteres, aber meine neuerlichen Untersuchungen zum Thema legen nahe, dass Letzteres wahrscheinlicher ist.

Am 17. März 2021 trat in ganz Kanada «Bill C-7» in Kraft — ein neues Gesetz, das die Berechtigung zum ärztlich assistierten Tod (PAD, physician-assisted death) auf Menschen ausweitet, deren Tod nicht absehbar ist. «Bill C-7» vergrössert den Anteil der Bevölkerung, der für die medizinische Sterbehilfe in Frage kommt, erheblich.

Am 18. März verabschiedete Spanien ein Bundesgesetz, das dort erstmals PAD erlaubt; es gilt ab Juni 2021. In Neuseeland tritt im November der föderale «End of Life Choice Act» in Kraft. Und am 8. April hat das französische Bundesparlament darüber debattiert, ob es Sterbehilfe gesetzlich zulassen will. Die Mehrheit der Parlamentarier sprach sich für eine Legalisierung aus. Das Gesetz wurde jedoch nicht verabschiedet, weil man nicht genug Zeit hatte, die Tausenden von Änderungsanträgen abzuarbeiten, die von PAD-Gegnern vorgebracht wurden.

Der Unterschied zwischen Euthanasie und ärztlich assistiertem Selbstmord besteht darin, dass bei Letzterem der Patient darum bitten muss.

In Ländern wie Grossbritannien und Frankreich ist aktive Sterbehilfe illegal, aber die Mehrheit der Bevölkerung und der Ärzte befürworten sie. Daher führen in diesen Ländern viele Ärzte Euthanasie durch, ohne bestraft zu werden. Und es gibt einen erheblichen Druck, sie zu legalisieren.

Die Niederlande und Belgien waren die ersten Länder, die Euthanasie und ärztlich assistierten Suizid entkriminalisierten; 2002 traten die entsprechenden Gesetze in Kraft. Luxemburg hat seit 2009 ein ähnliches Sterbehilfegesetz. Alle drei Länder erlauben Menschen, sich PAD zu unterziehen, wenn sie eine schwere Krankheit, Behinderung oder psychiatrische Störung haben, unabhängig davon, ob ihr Tod unmittelbar bevorsteht oder nicht.

Seit einigen Jahren bereiten sich die Niederlande auf eine Abstimmung über die Legalisierung von PAD für «lebensmüde» Menschen ab 75 Jahren vor. Und die Anzahl derer, die sich in den Niederlanden und Belgien dem ärztlich assistiertem Selbstmord unterziehen, hat stetig und sehr deutlich zugenommen. Legal ist die Praxis ausserdem (landesweit oder in bestimmten Regionen) in Kanada, den USA, Australien, Deutschland und der Schweiz.

In den USA kann jeder Bundesstaat selbst über die Handhabung entscheiden. Bislang haben acht Bundesstaaten plus Washington D.C. die Praxis legalisiert. Auch in Australien entscheiden die Bundesstaaten; Victoria erlaubt PAD schon – am 1. Juli wird Westaustralien diesem Beispiel folgen.

In Kanada wurde der ärztlich assistierten Tod 2016 zum ersten Mal auf Bundesebene legalisiert. Nun erweitert der «Bill C-7» die PAD um mehrere Punkte:

  • es braucht nicht länger eine 10-tägige «Bedenkzeit» zwischen dem Zeitpunkt der Zustimmung und der Ausführung des PAD;
  • Menschen, die eine sehr schwere Krankheit oder Behinderung haben, deren natürlicher Tod aber nicht unmittelbar bevorsteht, dürfen PAD in Anspruch nehmen, solange sie bestimmte Bedingungen erfüllen (bisher kamen nur Menschen in Frage, deren natürlicher Tod absehbar war);
  • Ermöglichung des PAD für Menschen, die ihn erfolgreich beantragt haben, aber im Anschluss ihre Einwilligungsfähigkeit verloren haben;
  • ab 2023 ist PAD nicht mehr verboten bei Menschen, die ausschliesslich an einer psychischen Erkrankung leiden und keine anderen medizinischen Grunderkrankungen oder Behinderungen haben.

Regierungen und Massenmedien stellen all dies weitgehend so dar, als würden sie mehr Menschen das Recht auf Wahlfreiheit über ihr Lebensende zugestehen. Pro-PAD-Gruppen und Meinungsführer bedienen sich dafür positiver Begriffe wie «Recht auf Sterben» und «Tod in Würde».

Manche Institutionen (z.B. das Hastings Center in den USA) haben eine offene Pro-PAD-Position; andere einflussreiche Gruppen und Organisationen – zum Beispiel Wikipedia – positionieren sich subtiler, aber durchaus erkennbar, durch die Informationen, die sie der Öffentlichkeit zum Thema zur Verfügung stellen. Wenn gegen PAD argumentiert wird, dann zumeist aus religiösen Gründen.

Aber es gibt mindestens drei Fakten über ärztlich assistierte Sterbehilfe, die die meisten Menschen nicht kennen.

1. Die Ausweitung der PAD-Regeln ist eine ernsthafte potentielle Bedrohung für Menschen mit Behinderungen, Demenz und Alzheimer.

Denn was die überwiegende Mehrheit dieser Menschen will und braucht, ist gute Pflege und Dienstleistungen — diese werden aber zunehmend schwer zugänglich, besonders im Zeitalter von Covid. … Es gibt bereits dokumentierte Fälle, in denen Menschen mit Behinderungen unter Druck gesetzt wurden, sich einem PAD zu unterziehen. Deshalb sind viele Behindertenvertreter gegen eine Ausweitung der Praxis.

So äusserte sich etwa die führende Behindertenanwältin Catherine Frazee vor dem kanadischen Parlament sehr kritisch zum Fall des behinderten Jean Truchon aus Québec, dem erlaubt worden war, sich der Sterbehilfe zu unterziehen, obwohl sein Tod nicht absehbar bevorstand: Nicht die «unvermeidlichen Folgen der Behinderung» hätten Trunchon dazu gebracht, PAD zu beantragen — es seien vielmehr «die Entbehrungen des institutionellen Lebens» gewesen, die seinen Lebenswillen erstickten.

Und Krista Carr, Vizepräsidentin von Inclusion Canada befand eindringlich: «Dieses Gesetz muss gestoppt werden … Es wird das Leben von viel zu vielen Menschen mit Behinderungen beenden, die das Gefühl haben, dass sie keine anderen Möglichkeiten haben».

2. Die Altergrenze für PAD wird nach unten verschoben

2014 hat Belgien, als erstes Land, PAD auf 1-Jährige ausgeweitet. Auch in den Niederlanden ist seit 2002 die assistierte Tötung von Kindern, die als unheilbar krank gelten, bereits ab einem Alter von 12 Jahren gesetzlich erlaubt.

Die niederländische Regierung erwägt nun, dem Beispiel Belgiens zu folgen und das Mindestalter auf ein Jahr herabzusetzen. Dazu müsste nicht einmal das Bundesgesetzes geändert werden; die Anpassungen würden über das «Groningen-Protokoll» erfolgen: Das sind die Richtlinien, die 2004 für die Tötung von Neugeborenen und Säuglingen mit sehr schweren Krankheiten oder Missbildungen wie Spina bifida geschaffen wurden.

3. Es gibt eine erhebliche Kontroverse über assistierten Suizid bei Menschen, die eine psychiatrische Störung und keine anderen Erkrankungen haben.

Ärztlich begleiteten Selbstmord bei ausschliesslich psychisch kranken Menschen erlauben derzeit nur die Benelux-Staaten; im Rahmen ihrer ursprünglichen Sterbehilfegesetze. In Kanada ist dies bisher verboten, aber mit dem «Bill C-7» wird die Regelung ab 2023 aufgeweicht. …

Die American Psychiatric Association (APA) hat 2016 ihre Positionserklärung zur medizinischen Sterbehilfe veröffentlicht. Darin heisst es: «Die Auffassung der APA zur medizinischen Euthanasie lautet, in Übereinstimmung mit der Position der American Medical Association, dass ein Psychiater bei einer nicht-todkranken Person keine Intervention zum Zweck der Herbeiführung des Todes verschreiben oder ausführen sollte».

Und der «Code of Medical Ethics» der American Medical Association besagt, dass «ärztlich assistierter Suizid grundsätzlich unvereinbar mit der Rolle des Arztes als Heiler ist, schwer oder gar nicht zu kontrollieren wäre und ernste gesellschaftliche Risiken birgt. Statt sich in der Beihilfe zum Selbstmord zu engagieren, müssen Ärzte offensiv auf die Bedürfnisse von Patienten am Lebensende eingehen».

Man fragt sich natürlich, warum die Öffentlichkeit nicht über all diese Entwicklungen informiert wird. Stattdessen herrscht Eile, die medizinische Sterbehilfe im Namen der Menschlichkeit weltweit zu expandieren.

Originaltext (auf englisch)

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Rosemary Frei, M.A. in Molekularbiologie, ist freischaffende Schriftstellerin und investigative Journalistin. Die Australierin arbeitet seit 1988 als Autorin mit Schwerpunkt Medizin.

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