Horst D. Deckert

«Putin hat reichlich Geld, um weiter zu kämpfen»

Jüngst verdeutlichte das Wall Street Journal, dass die Sanktionen gegen Russland sinnlos sind. Nun hat die New York Times sich ebenfalls ausführlich mit der Thematik beschäftigt und kommt zum selben Schluss. Wir veröffentlichen an dieser Stelle Auszüge aus dem Beitrag der Times.

Russland, das vom Westen gemieden wird, konnte im vergangenen Jahr seine starken Ölexporte nach Asien umlenken. (…) Die Strategie für Russland ging auf: Präsident Wladimir Putin behielt nicht nur die Einnahmen aus den Energieexporten, sondern steigerte sie nach offiziellen Angaben sogar noch.

Damit ist es Russland gelungen, im Schatten des Ölhandels möglicherweise noch mehr Geld in die Kassen fliessen zu lassen, das den Kriegsanstrengungen zugute kommen könnte. (…)

Ein Jahr nach Beginn des Krieges konnte Russland seine Ölgeschäfte aufrechterhalten. 2022 hat Russland seine Ölproduktion um 2 Prozent gesteigert und die Einnahmen aus dem Ölexport um 20 Prozent auf 218 Milliarden Dollar erhöht.

Dies geht aus Schätzungen der russischen Regierung und der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. Letztere Gruppe vertritt die wichtigsten Energieverbraucher der Welt.

Russlands Einnahmen wurden durch einen Ölpreisanstieg nach Kriegsbeginn und eine wachsende Nachfrage (…) begünstigt. Von diesen Trends haben auch westlichen Ölriesen wie Exxon Mobil und Shell profitiert, die für 2022 Rekordgewinne meldeten.

Auch mit Erdgas nahm Russland 138 Milliarden Dollar ein. Das ist ein Anstieg von fast 80 Prozent gegenüber 2021 (…).

Nach einem Einbruch im Dezember (…) haben sich die Exportmengen der wichtigsten russischen Rohölsorten nach Angaben der IEA inzwischen ebenfalls erholt.

Letzte Woche erklärte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die russischen Ölexportmengen durch die Ölpreisobergrenze von derzeit 60 Dollar pro Barrel wahrscheinlich nicht beeinträchtigt werden. Der IWF geht davon aus, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 0,3 Prozent wachsen werde.

Dies, nachdem sie 2022 um 2,2 Prozent geschrumpft sei. Damit schätzt der IWF die russische Wirtschaft dieses Jahr besser ein als die britische und deutsche Wirtschaft, deren Prognosen laut dem Währungsfonds schlechter aussehen.

Russland ist es gelungen, die Auswirkungen der westlichen Massnahmen abzufedern, indem es die Rohölexporte nach China, Indien und in die Türkei umleitete. Russland konnte dabei auf Ölhäfen an drei verschiedenen Meeren, umfangreiche Pipelines und eine grosse Tankerflotte zurückgreifen.

Auch konnte sich Russland einen beträchtlichen inländischen Kapitalmarkt zunutze machen, der von westlichen Sanktionen abgeschirmt ist.

Dadurch konnte der Kreml innerhalb weniger Monate die jahrzehntelangen Strukturen des weltweiten Ölhandels umgestalten. Russlands Ölexporte nach Indien beispielsweise sind seit Beginn des Krieges um das Sechzehnfache gestiegen. Sie beliefen sich im Dezember auf durchschnittlich 1,6 Millionen Barrel pro Tag, so die IEA.

«Russland ist nach wie vor eine starke Kraft auf dem globalen Energiemarkt», sagte Sergey Vakulenko, ein Energiewissenschaftler bei Carnegie Endowment for International Peace, einer Forschungsgruppe in Washington.

«Es ist nicht einfach, sich einem so grossen Akteur entgegenzustellen, und das wird nicht an einem Tag geschehen.»

Russland fördert zwar weiterhin rund 10 Millionen Barrel Öl pro Tag – und ist damit nach den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien der drittgrösste Produzent der Welt. Trotzdem: Die europäischen Sanktionen und die am 5. Dezember beschlossene Preisobergrenze haben in letzter Zeit die Export-Einnahmen des Landes geschmälert.

Im Dezember beliefen sich die russischen Ölexporteinnahmen auf 12,6 Milliarden Dollar. Das sind fast 4 Milliarden Dollar weniger als ein Jahr zuvor, wie die IEA schätzt.

Das liegt vor allem daran, dass die russischen Ölgesellschaften einer schrumpfenden Zahl von Käufern immer grössere Preisnachlässe einräumen müssen.

Dieser Trend scheint sich fortzusetzen. Wie das Finanzministerium am Montag mitteilte, sind die Einnahmen der russischen Regierung aus der Öl- und Gasförderung und den Exporten im Januar um 46 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat gesunken.

Laut dem Energiedatenunternehmen Argus Media hat sich die Differenz zwischen den Preisen für Brent und Ural, der wichtigsten russischen Rohölsorte, im Januar auf etwa 40 Dollar pro Barrel vergrössert. Vor dem Krieg betrug dieser Unterschied nur wenige Dollar.

Das russische Finanzministerium hat den Rückgang der Öleinnahmen eingeräumt und letzte Woche mitgeteilt, dass der Durchschnittspreis für Ural im Januar 49,50 Dollar pro Barrel betrug. Dies entspreche fast der Hälfte des Vorjahrespreises. Das Ministerium verwendet den Ural-Preis zur Berechnung seiner Steuereinnahmen aus Ölexporten. (…)

Einige Ölexperten meinen jedoch, dass die hohen Preisnachlässe für russisches Öl zum Teil eine Illusion sein könnten.

Der russische Ölexperte Vakulenko zeigte anhand von Zolldaten aus Indien auf: Lokale Importeure zahlen für russisches Rohöl fast den gleichen Preis wie für Brent-Rohöl. Eine von der New York Times durchgeführte Analyse mit denselben Daten ergab ähnliche Ergebnisse.

Dies sei darauf zurückzuführen, dass zumindest ein Teil des Preisabschlags (…) von den russischen Exporteuren und Zwischenhändlern eingesackt wurde, die den Käufern in Indien einen höheren Preis in Rechnung stellen. Dies zumindest ist die Erklärung von Vakulenko.

Die Einnahmen werden der russischen Regierung nicht direkt in Form von Steuern zufliessen, sagte Tatiana Mitrova, eine russische Ölexpertin am Center on Global Energy Policy der Columbia University. Da die russischen Exporteure wahrscheinlich enge Verbindungen zum Kreml haben, könnte ein Teil des Geldes dennoch die Kriegsanstrengungen unterstützen, sagte sie.

«Es handelt sich um eine komplette Blackbox an Geldern», sagte sie. Experten sind sich einig: Die Zukunft der russischen Öleinnahmen wird längerfristig von den globalen wirtschaftlichen Kräften bestimmt, die sich der Kontrolle der westlichen Sanktionsvollstrecker und der russischen Steuerhinterzieher entziehen.

Sie sagen, dass die weltweiten Ölpreise trotz der zunehmenden Undurchsichtigkeit des Handels der wichtigste Faktor dafür bleiben werden, wie viel Geld der Kreml mit einem Barrel-Rohöl einnehmen wird.

Und das Schicksal dieses Preises hängt zu einem grossen Teil von Russlands Verbündetem China ab (…). Im Dezember erreichten Chinas Rohölimporte einen Rekord von 16,3 Millionen Barrel pro Tag, so die Schätzungen von Kpler, einem Unternehmen, das den Energietransport verfolgt. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, wird dieser die weltweite Ölversorgung belasten und dem Kreml zugute kommen.

Ein weiterer Faktor, der den Aufwärtsdruck auf die Ölpreise verstärkt: Die OPEC plus, ein Bündnis aus Russland und der Organisation erdölexportierender Länder, hat am vergangenen Mittwoch erklärt, dass sie die restriktiven Förderziele des vergangenen Jahres beibehalten wird.

Dadurch wird die Ölversorgung bei steigender Nachfrage weiter belastet. Russland scheint inzwischen in der Lage zu sein, die unmittelbaren Auswirkungen der westlichen Ölsanktionen aufzufangen, so Felix Todd, Analyst bei Argus Media.

Nach Ansicht von Experten kann Russland in den nächsten Jahren etwaige Finanzierungslücken bei der Ölförderung mit Hilfe seines Nationalen Vermögensfonds schliessen, den es aus vergangenen unerwarteten Energiegewinnen angehäuft hat und der rund 150 Milliarden Dollar wert ist.

Die russische Regierung hat auch ihre Verteidigungs- und Sozialausgaben vor Haushaltskürzungen geschützt. Das bedeutet, dass selbst ein drastischer Rückgang der Öleinnahmen die Kriegsanstrengungen in absehbarer Zukunft nicht beeinträchtigen wird, so Alexandra Prokopenko, eine russische Wirtschaftsanalystin und ehemalige Beraterin der russischen Zentralbank. «Putin hat reichlich Geld, um weiter zu kämpfen», sagte sie.

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