Horst D. Deckert

Russin organisiert in der Schweiz Flüchtlingshilfe für Ukrainer

«Ich lebe seit acht Jahren in der Schweiz – in einem kleinen Dorf in der Nähe von Zürich. Meine russische Heimat habe ich schon vor 21 Jahren (…) verlassen», berichtet Natalja Petrowa (Pseudonym) gegenüber der Weltwoche. Die Russin organisiert in der Schweiz die Flüchtlingshilfe für Ukrainer. Dafür könnte ihr in Russland das Gefängnis drohen. Deshalb publiziert die Weltwoche ihren richtigen Namen nicht.

Ihr Mann sei Pole. Sie hätten zwei Kinder im Primarschulalter. «Die Ereignisse in der Ukraine machen mich tief betroffen. Im ersten Moment schämte ich mich für meine Heimat», erzählt Petrowa. Putin stehe sie schon lange kritisch gegenüber:

«Ich schaltete jedes Mal den Fernseher aus, wenn sein Kopf zu sehen war. Das erste Mal, dass ich nicht sofort weggezappt habe, war bei seiner Rede, in der er am 23. Februar die Separatistengebiete Luhansk und Donezk als Volksrepubliken anerkannte.»

Zunächst sei sie darüber einfach sprachlos gewesen, so Natalja Petrowa: «Dass er aber nur einen Tag später seine Truppen in die Ukraine schicken und schreckliches Leiden unter der Zivilbevölkerung verursachen würde, hätte ich nie gedacht.» Das entstandene Leid in der ukrainischen Bevölkerung mache sie tief betroffen. Für sie sei sofort klar gewesen, dass sie helfen wolle:

«Dabei habe ich zu der Ukraine keinen direkten Bezug – das dachte ich wenigstens. Erst im Verlauf unserer Aktion habe ich erfahren, dass meine Ururgrossmutter aus der Ukraine stammt.»

Sie habe Freundinnen in der Schweiz, die ebenfalls wie sie aus der ehemaligen Sowjetunion stammen, erzählt Petrowa. «Es sind Frauen aus Russland, Kasachstan, Kirgisien, Weissrussland – und aus der Ukraine.» Sie habe sie aufgerufen, Güter des täglichen Bedarfs zu sammeln und zu spenden. Die Solidarität in der Schweiz berühre sie:

«Die Schlafsäcke und Power-Riegel habe ich in der Decathlon-Filiale in Dietlikon gekauft. Zufälligerweise war der Verkäufer aus dem Kosovo – er wusste genau, was Krieg und Flucht bedeuten –, und er sagte zu mir: ‹Ich kenne das Gefühl, vor dem Krieg wegzurennen›. So erhielten wir einen grosszügigen Rabatt.»

Die gesammelten Güter würden sie mit eigenen Transportfahrzeugen nach Polen fahren. Viele Freiwillige würden mitmachen: Chauffeure, Lagerbetreuer, Helfer vor Ort. «Dass ich selber aus Russland stamme, macht meine Situation als Helferin etwas kompliziert. Denn die Aktion kann mir als Heimatverrat ausgelegt und mit bis zu zwanzig Jahren Lagerhaft bestraft werden», weiss Petrowa. Ihren richtigen Namen könne sie deshalb nicht preisgeben.

«Der Kreml liest überall mit. Und unlängst wurde eine Liste mit 22 Landesverrätern publiziert. Die meisten von ihnen sind regimekritische Journalisten.»

Angst habe sie nicht. Aber es sei ihr wichtig, den Krieg nicht zu unterstützen. «Wir wollen jenen helfen, die unverschuldet und am meisten unter diesen Aggressionen leiden: Kinder, Mütter, ältere Menschen.» Wie es weitergehe, wisse sie nicht, so Petrowa. «In einem demokratischen Land würden die Menschen auf die Strasse gehen und sich gegen die Machthaber auflehnen. Aber in Moskau wird das kaum geschehen.»

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