Horst D. Deckert

«Schon politischer Dissens kann als Terrorismus eingestuft werden»

Die «Freunde der Verfassung» haben mit Nils Melzer über das Anti-Terror-Gesetz gesprochen, über das am 13. Juni in einer Volksabstimmung befunden wird. Melzer ist Diplomat, lehrt als Professor Völkerrecht in Genf und Glasgow und ist seit 2016 UNO-Sonderberichterstatter für Folter. Er hat kürzlich das Buch «Der Fall Julian Assange» über die Hetzjagd gegen den WikiLeaks-Gründer publiziert (Corona-Transition berichtete).

Im PMT-Gesetz (Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus) ist unscharf definiert, wer konkret als Gefährder gilt. Diese Verwässerung der Rechtsformulierungen droht viel Interpretationsspielraum bei der praktischen Auslegung des Gesetzes zu gewähren. Gegner des Gesetzes sprechen deshalb vom «Willkürparagraphen».

Das Gesetz wurde unter anderem von universitären Rechtsexperten und Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Melzer spricht sich ausdrücklich für die Bekämpfung von Terrorismus aus. Er habe während seiner beruflichen Laufbahn Kollegen durch Bombenanschläge verloren.

Nils Melzer (1:43):

«Aber man muss wissen, wer der Gegner ist, was man bekämpft, und hier fängt das Problem an beim PMT (…) der Terrorismus darin wird einfach falsch definiert.»

Im PMT werde Terrorismus definiert als die Absicht, die staatliche Ordnung zu beeinflussen oder zu ändern. Nun, die staatliche Ordnung zu beeinflussen, sei der Wesenskern der direkten Demokratie, so Melzer. Er spricht hier politische Instrumente wie Volksinitiativen oder Referenden an.

Das PMT sage aber, man möchte die staatliche Ordnung beeinflussen oder ändern, indem man entweder eine schwere Straftat androhe oder begehe oder Furcht und Schrecken verbreite. Es nehme zwei Elemente, die zusammengehörten, auseinander, so Melzer.

Melzer (3:17):

«Lassen wir die Straftaten mal beiseite. Wenn Sie ein politisches Ziel erreichen wollen, und jetzt Furcht und Schrecken verbreiten, dann reicht das schon. Dort ist die Frage: Wo ist die Grenze? Wenn es keine Straftat mehr braucht, nicht einmal eine drohende Straftat, reicht es wenn ich jetzt sage, ich verbreite Angst vor den Fremden.»

Nach den Buchstaben des PMT reiche dies schon, so Melzer. Er verweist als weiteres Beispiel auf die Umweltaktivisten. Wenn man die politische Ordnung ändern möchte, mit dem Argument, man zerstöre sonst die Umwelt und die Natur, genüge dies nach dem PMT, um dies als Furcht und Schrecken zu werten.

Er wolle nicht die Absicht unterstellen, dass dadurch Menschen kriminalisiert werden sollen, aber die Frage sei, warum man das Gesetz dann so definiere, so Melzer. Man definiere zum Beispiel Geschwindigkeitsüberschreitungen auch nicht mit «zu schnell fahren», sondern setze die Grenze unmissverständlich.

Um Terror zu bekämpfen, würden Formulierungen im Schweizerischen Strafgesetzbuch ausreichen, so Melzer. Darin würden bereits Vorbereitungshandlungen (z.B. Materialbeschaffung, Rekrutierung), für alles was wirklich Terrorismus sein könnte (Gewaltverbrechen, Anschläge usw.), als strafbar taxiert.

Melzer (6:14):

«Aber wenn wir natürlich nicht Gewaltverbrechen meinen, sondern einfach politischen Dissens, dann haben wir ein anderes Problem. Dann geht es nicht mehr um Terrorismus.»

Es reiche dann schon aus, dass jemand potenziell gefährlich werden könnte, so Melzer. Man brauche also nicht einmal mehr konkrete Verdachtsmomente. Dies erlaube eine grosse Machtfülle bei der Bundespolizei. Dies führe zu Missbrauch und Willkür, was man auch in anderen Ländern sehe.

Melzer erachtet das Gesetz als besonders problematisch, wenn sich die politische Lage anspannt, so wie gegenwärtig in der Covid-Situation. Wenn sich politische Gruppierungen formieren, könne das Gesetz dazu gebraucht werden, diese zu bekämpfen, weil es eben nicht um Gewaltverbrechen gehe.

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