Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem «Institut für angewandte Sozialwissenschaft (infas)» kommt zum Schluss, dass die Sorgen um die Zukunft von Menschen in Deutschland im Jahr 2020 zugenommen haben. Insbesondere Jugendliche unter 30 Jahren beklagten deutlich öfter Zukunftsängste.
Für die Studie wurden 611 Personen im Laufe des Jahres 2020 insgesamt dreimal befragt. Dabei zeigte sich auch, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt im Sommer sogar grösser war als zu Jahresbeginn. Ab dem Sommer sank der Zusammenhalt jedoch wieder auf das Niveau vom Jahresanfang zurück. Dr. Kai Unzicker, Soziologe, Senior Project Manager der Bertelsmann Stiftung und Leiter der Studie, sagt dazu:
«Wir sehen, dass in der Krise der Zusammenhalt zunächst trägt. Wahrscheinlich, weil nach dem Ende des ersten Lockdowns das Gefühl herrschte, das Schlimmste gemeinsam überstanden zu haben.»
Laut der Sudie sind die Zukunftssorgen und das Empfinden von Einsamkeit in der «Pandemie» bei den unter 30-Jährigen besonders stark ausgeprägt. Zwei Drittel der Befragten äusserten im Dezember 2020 Zukunftssorgen, während es in den anderen Altersgruppen etwa zwischen 20% und 40% waren. Laut den Forschern ist die soziale Isolation bei jungen Menschen die Ursache dafür. Noch sei jedoch ihre Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen erstaunlich hoch, doch es bestehe die Gefahr,
«dass soziale Isolation, der Verlust gemeinschaftlichen Erlebens und eingeschränkte Zukunftsoptionen die Stimmung kippen lassen und sich langfristig in Politikverdrossenheit und im schlimmsten Fall in einem (weiteren) Abdriften an die politischen Ränder manifestieren.»
Paradoxerweise ist gerade in dieser Altersgruppe sowie in der Altersgruppe der über 75-Jährigen die Zustimmung zu den Corona-Massnahmen am höchsten. Was die Jüngeren anbelangt, könnte es womöglich mit dem durch den Sozialisierungsprozess entstehende grössere soziale Druck bei Kindern und Jugendlichen zusammenhängen. Stephan Vopel, Soziologe und Direktor der Bertelsmann Stiftung folgte daraus hingegen:
«Ich sehe darin einen starken Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität durch die jüngere Generation.»
Genau vor diesem Missverständnis des Begriffs «Solidarität» warnte letzten Februar in der Sendung Talk im Hangar 7 der deutsche Neurobiologe Gerald Hüther (wir berichteten). Er sagte, dass Menschen auch zusammenhalten, wenn man sie in Angst und Schrecken versetzt. Doch das sei keine richtige Solidarität, sondern einfach nur ein Zusammenhalten, um ein Problem gemeinsam zu lösen. Diese Menschen würden nachher jedoch wieder auseinanderfallen.
Laut der Studie nehmen 44% der Befragten mit geringer Bildung und prekärer sozioökonomischer Lage die deutsche Gesellschaft als zerstritten war, während es bei den Gutverdienenden nur 22% sind. Auch 42% der befragten 45- bis 59-Jährigen halten die Gesellschaft für Zerstritten. Dies führe dazu, auch die Massnahmen eher kritisch zu sehen und weniger Vertrauen in die Bundesregierung zu haben. Bei der Zufriedenheit mit der Demokratie besteht ebenfalls eine Diskrepanz zwischen dem Bildungsniveau der Befragten, indem die geringer Gebildeten weniger zufrieden sind mit dem politischen System als die gut Gebildeten. Kai Unzicker sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) warnend:
«Wenn es nicht gelingt, die extrem Belasteten in ihrer prekären Lage ökonomisch abzusichern und die Menschen insgesamt wieder besser im demokratischen Prozess mitzunehmen, droht die Spaltung der Gesellschaft in einem Ausmass, das der Bundesrepublik bislang unbekannt war.»