Horst D. Deckert

Szenen aus einem kaputten Land

Bonjour Tristesse Corona-Deutschland, Weihnachten ’21 (Symbolbild:Imago)

Was ist bloß aus diesem Deutschland geworden? So ähnlich muss es im Stalinismus gewesen sein, denke ich mir, während ich durch die trostlose Innenstadt gehe. Menschen huschen verstört an mir vorbei, mit sorgenvollen, verängstigten und leeren Gesichtern, soweit man sie unter den Masken erkennen kann. Gruppen afrikanischer Jungmigranten kreuzen im Wechsel mit FFP-maskierten Rentnern meinen Weg, ab und an ein orientalisches Kopftuchmädchen („4plus“ – ein Kind an jeder Hand, eines im Kinderwagen und eins im Bauch), gelegentlich auch mal ein alkoholisierter Landstreicher. Vorbei geht es an Ladenzeilen, wo der Leerstand allenfalls noch von Shisha-Bars, Dönerbuden und Handy-Reparaturshops durchbrochen wird. Auf den Marmorböden verwaister Passagen malt sich eingetrocknetes Erbrochenes wie ein Gemälde von Jackson Pollock hin, daneben gebrauchte Kondome und leere Wodkaflaschen. Und, immer wieder: getragene Masken.

Viele Gastronomen machen gerade wieder freiwillig dicht – oder sind schon insolvent. Zur atmosphärischen Abrundung fehlt nur hier noch ein Stromausfall. Passend wäre auch ein Muezzinruf. Lange wird man auf beides nicht mehr warten müssen, nirgendwo in Deutschland.

Nach Weihnachtsshopping oder Ausgehen ist keinem mehr zumute. Wo einst um diese Jahreszeit weihnachtliche Vorfreude und winterliche Geselligkeit an Glühweinständen ausgelebt wurden, wo die Restaurants zum Bersten voll waren und Einzelhandelsgeschäfte üppigste Umsätze machten, erstrecken sich jetzt leere Fußgängerzonen, durch die ein eisig-nasser Dezemberwind leere Pappbecher, Teststreifen, Maskenfragmente und abgerissene Tannenzweige treibt.

Mad-Max-Kulisse

Graffitis auf modrigen Bauzäunen, „FCKAFD“, „Nazis raus“, „Querdenker töten“, daneben verwitterte Werbeplakate für eine Fotoausstellung „Euer Rassismus” und irgendeine Fridays-for-Future-Demo vom September. Mancherorts stehen noch versiegelte Weihnachtsmarktbuden und Fahrgeschäfte in der Gegend herum, bereit zum Abtransport. Die einzigen Anlaufstellen, vor denen sich hier noch Menschenmassen drängen oder in langen Schlangen anstehen, sind Schnelltestcenter oder mobile Impfbusse.

Wie dieser postapokalyptischen Kulisse entrinnen, die etwas von „Mad Max“ oder „Escape from L.A.” hat – soll ich mich in eines der wenigen noch geöffneten Lokale und Restaurants flüchten? Schwierig – und eher frustrant: Die formalen Hürden, die selbst für Geimpfte mittlerweile zu nehmen sind, auch wenn sie lediglich einen Gin Fizz stürzen wollen –  sie sind aufwändiger das bürokratische Affentheater, das einst vor früheren Reisen in den Ostblock nötig war. Digitaler Impfnachweis. Tagaktueller Schnelltest. Kontaktdatenerfassung per App. Zeiterfassung des Aufenthalts. Gültiger Personalausweis. Korrekt sitzende Maske. Hier kommt Laune auf. Vor allem eingedenk der Tatsache, dass jeder Flüchtling, der es bis an Deutschlands Grenzen geschafft hat, künftig mit einem Bruchteil dieses Aufwands einreisen und die Segnungen des Sozialstaats in Anspruch nehmen kann. Der Ampel sei Dank.

Gestern ließ sich die die Kanzlerin für ihre „Verdienste“ um dieses Land feiern. Für sie soll’s rote Rosen regnen – während die Menschen immer mehr in die Verzweiflung getrieben werden. Doch Merkel hatte noch eine zynische Abschiedsbotschaft im Gepäck, die für mancheinen, der sie persönlich kennt, von ihrer genuinen Bösartigkeit zeugt: Die Deutschen sollen sich, so empfahl sie, „die Fröhlichkeit im Herzen bewahren“. Mir dämmert, woher das Erbrochene in der Passage stammt.

Ähnliche Nachrichten