Horst D. Deckert

Tourismuszweig mit Zukunft: Impfurlaub ist auf dem Vormarsch

Seit Beginn der Corona-Krise überfluten die Mainstream-Medien ihre Leser und Zuschauer mit abstrusen Meldungen rund um das Virus-Geschehen. Und selbst wenn man denkt, schlimmer geht’s nimmer, wird man doch wieder überrascht. Denn die Grenzen des Irrsinns sind weit gesteckt.

So hat die Tageszeitung La Nación in Argentinien am 25. April Werbung für den Impftourismus in den Vereinigten Staaten gemacht. Im Konkreten für den in North Miami Beach in Florida. Der Bürgermeister der Stadt, Major Anthony F. DeFillipo, biete internationalen Urlaubern eine Impfung gegen Covid-19 an, berichtete La Nación. Das Vakzin von Pfizer sei sogar gratis.

DeFillipo habe bereits Gespräche mit einigen Konsulaten aufgenommen, wie mit denen von Peru, Kolumbien und Honduras. Gleichzeitig habe er seinen Bürgern versichert, seine Entscheidung werde nicht dazu führen, dass Einwohner auf Impfungen verzichten müssten. Den Impftouristen sicherte der Bürgermeister eine reibungslose Abwicklung zu: Mit Pass und der Adresse des jeweiligen Konsulats sei ein Impftermin schnell vereinbart. Das Touristenvisum werde denjenigen, die ausschliesslich wegen der Impfung kommen, nicht entzogen.

Einen Tag später liess sich auch das argentinische Medienportal Infobae – das laut Wikipedia seinen Hauptsitz in Buenos Aires hat, aber auch Nachrichtenbüros und Lokalausgaben in New York City, Mexiko City, Miami, Bogotá, São Paulo und Madrid betreibt –, auf das Thema ein. DeFillipos Botschaft sei «besonders den Lateinamerikanern gewidmet, die unter den verzögerten Impfkampagnen in ihren Ländern leiden», heisst es. Schliesslich sei dort in den meisten Fällen «noch nicht einmal das Gesundheitspersonal vollständig geimpft».

Von diesem «düsteren Panorama» seien die Vereinigten Staaten, wo «jeder Erwachsene, der es will, bereits geimpft ist», weit entfernt, urteilte Infobae. Nach Vorhersagen von Bill Gates werde es in den USA «in vier Monaten sogar einen deutlichen Überschuss» an Dosen geben.

Auch DeFillipo kam in dem Beitrag zu Wort. Infobae zitierte zu diesem Zweck aus einem Facebook-Interview, das er mit Andrés Julián, dem ehemaligen Bürgermeister von Rionegro in Kolumbien, und der Journalistin Lina Cuartas führte:

«Wir haben es getan und haben Tausende und Abertausende von Menschen durch unsere Tür kommen lassen.»

DeFillipos Ankündigung widerspreche jedoch den Aussagen des Gouverneurs des Bundesstaates Florida, Ron DeSantis, der wiederholt gesagt habe, dass nur Einwohner geimpft werden könnten, räumte Infobae ein.

Gouverneur DeSantis und Bürgermeister DeFillipo sind sich offenbar nicht einig. Doch in seinem Bestreben, North Miami Beach in ein Impf-Dorado zu verwandeln, steht DeFillipo nicht allein. Auch andere politische Entscheidungsträger haben die Zugkraft des Impftourismus erkannt. Laut Infobae führten Bundesstaaten wie Texas, Arizona und Louisiana die «uneingeschränkte Impfung» bereits ein. Ebenso wie Kalifornien, Colorado, Indiana, Iowa, Michigan, Nevada, New Mexico, Ohio, Tennessee oder Virginia.

Medizintourismus aus lateinamerikanischen Ländern ist in den USA nichts Neues, aber der Corona-Hype verleiht dem Sektor einen erstaunlichen Schub. Der Mangel an Covid-19-Impfungen in Mittel- und Südamerika hat die Zahl der Lateinamerikaner, die in die Vereinigten Staaten reisen, in die Höhe getrieben.

«Das ist ein bisher nie gesehenes Phänomen. Vielleicht wird es in anderthalb Jahren an Intensität abnehmen, wenn es in der ganzen Welt einen besseren Zugang zu Impfstoffen gibt», wurde Jorge Baruch zitiert, Master in Global Health Policy Science und Leiter der Travel Clinic an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko (UNAM).

Der Konsul von Honduras reagierte als erster auf DeFillipos Angebot, was Infobae mit einem Auszug aus dessen Twitter-Account belegte: «Danke an den Bürgermeister Anthony DeFillipo für seine Hilfe.» Details, wo, wie und mit welchen Dokumenten sich Bürger aus Honduras in North Miami Beach impfen lassen können, wurden gleich mitgeliefert.

Ein Tourismuszweig mit Zukunft?

Wer sich eingehender mit dem Thema Impftourismus beschäftigt, kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Schon Anfang März berichtete das deutsche Medienportal Focus in Bezugnahme auf die Zeitung Welt: «Impfung im Pauschalurlaub – Erster Anbieter nimmt Impf-Reisen ins Angebot.» Der norwegische Reiseveranstalter World Visitor werbe damit, «als erster Veranstalter konkrete Impfreisen» durchzuführen. Drei Touren seien geplant:

«Kurztrips nach Moskau oder St. Petersburg, Impfung in Russland mit anschliessendem Urlaub in der Türkei und einen dreiwöchigen Kuraufenthalt in der Nähe der russischen Hauptstadt.»

Doch damit nicht genug: Am 21. April widmete sich das Redaktionsnetzwerk Deutschland dem Thema «Impfurlaub unter Palmen». RND tat kund: «Am Strand liegen, Cocktails schlürfen und nebenbei gegen Corona geimpft werden: Immer mehr Länder werben um Impftouristen.» So war zu erfahren, dass neben Russland und Serbien, die nicht gerade «Traumziele der Deutschen» seien, jetzt auch die Malediven und Kuba entsprechende Angebote planen.

Auf den Malediven will man den Tourismus mit dem sogenannten 3V-Programm ankurbeln: besuchen, impfen, Urlaub machen. Beginnen soll die Initiative, sobald alle Einwohner der Malediven, mit einer Gesamtbevölkerung von 540’000 Menschen, vollständig geimpft sind. Derzeit müssten Touristen der Malediven vor der Einreise einen negativen PCR-Test und einen Nachweis über die Hotelbuchung vorlegen. Es werde jedoch erwartet, dass diese Anforderungen durch das Impfprogramm geändert werde.

Das Corona-Impfurlaub-Business scheint Zukunft zu haben, selbst wenn das Internet-Portal Univison Miami-Ft. Lauderdale bereits am 25. April behauptete, Bürgermeister DeFillipo habe seine Meinung über die kostenlose Impfung für lateinamerikanische Urlauber aufgrund der Kontroversen, die seine Aussagen hervorriefen, schon wieder geändert. Auch Infobae ruderte schnell zurück und verkündete, der Bürgermeister habe «einen Rückzieher» gemacht.

Anekdote am Rande: Das Nachrichtenportal Infobae änderte dafür einfach den Titel des am 26. April erschienenen Online-Artikels und passte den Inhalt an. Auch das Erscheinungsdatum wurde flugs vom 26. auf den 25. April zurückverlegt, was die Daten des Links belegen.

Wer sich selbst überzeugen möchte, hier der Original-Link: https://www.infobae.com/america/eeuu/2021/04/26/el-alcalde-de-north-miami-beach-ofrece-vacunar-gratis-a-los-turistas-internacionales-que-viajen-al-sur-de-florida/. Wie man sieht, ist der 26. April als Erscheinungsdatum angegeben, der Titel lautete: «Der Bürgermeister von North Miami Beach bietet kostenlose Impfungen für internationale Touristen an, die nach Südflorida reisen.» Doch wer den Link am 27. April anklickte, fand zu seiner Überraschung diesen Titel: «Bürgermeister von North Miami Beach macht einen Rückzieher, nachdem er internationalen Touristen, die in seine Stadt reisen, kostenlose Impfungen angeboten hat.» Als besondere journalistische Glanzleistung muss aber vor allem das Zurücksetzen des Datums gewertet werden.

Das internationale Medien-Panorama kann zweifelsohne einige Verwirrung stiften. Denn selbst Univison gab zu, dass die Presse in Ländern wie Argentinien schon seit geraumer Zeit die Werbetrommel für den Impftourismus in Florida rührt. Auch in den sozialen Netzwerken werde mit Enthusiasmus darüber berichtet.

So oder so – sollte es mit North Miami Beach nicht klappen, könnten Impf-Begeisterte auch an den Persischen Golf in die Vereinigten Arabischen Emirate fliegen, wo laut dem Zürcher Finanz-News-Portal Inside Paradeplatz die edle Variante des Impftourismus lockt. Schon Mitte März liess das Online-Medium wissen:

«Längst sind die Reichen dieser Welt für einen Paketpreis von 50’000 Euro für drei Wochen in die Arabischen Emirate geflogen. Dort sind zwei Impfungen gegen Covid in einem Luxushotel Teil der Reisespesen. Wer Geld hat, wartet nicht mehr auf die staatliche Zuteilung.»

Fazit: Schlimmer geht’s in Corona-Zeiten eben immer …

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