Horst D. Deckert

Überleben lernen am Beispiel von Erfahrungen aus dem Jugoslawienkrieg

Zwischen 1992 und 1995 herrschte in Jugoslawien ein Bürgerkrieg. Das Leben in dem damals relativ wohlhabenden Vielvölkerstaat glitt schnell in die Katastrophe ab. Vor allem im mittig gelegenen Bosnien-Herzegovina brach in kurzer Zeit alles zusammen. Die Menschen mussten selbst für ihr Überleben sorgen. Aus dem von den Betroffenen damals gewonnenen Erfahrungsschatz lässt sich lernen, um eine mögliche zukünftige Krise besser überleben zu können. Ein Bosnier schrieb seine Erlebnisse auf, nachdem er die Zeit des Krieges in einer Kleinstadt mit 6.000 Einwohnern verbringen musste und mit viel Glück überlebt hatte.

 

Plötzlich brach alles zusammen

 

Die feindliche Armee schnitt die Versorgung der Ortschaft ab. Für ein ganzes Jahr konnte niemand mehr raus oder rein. Somit war auch die Versorgung mit Waren wie etwa Benzin oder medizinischen Gütern unmöglich. Nachdem auch die Versorgung mit Wasser und Elektrizität unterbrochen war, wurden die Menschen urplötzlich um 100 Jahre zurückgeworfen.

Auch eine Polizei gab es keine mehr, während das eigene Militär aufgrund der feindlichen Belagerung nicht zu der Stadt durchdringen konnte. Es herrschte Anarchie, bei der die Familien völlig auf sich gestellt waren und die Nachbarschaften sich gegenseitig beschützen mussten.

Da in offiziellen Verlautbarungen stets beteuert wurde, dass alles unter Kontrolle sei, war kaum eine Familie vorbereitet auf das, was kommen sollte. Nur wenigen standen Lebensmittel für mehr als eine Woche zur Verfügung, kaum eine Familie verfügte über Schusswaffen, mit denen sie vom Hunger getriebene Einbrecher verjagen konnten.

 

Nach einigen Wochen wurde es schlimm

 

Den ersten Schock konnten die meisten zunächst abfedern. Die Menschen brauchten die Reserven auf und tauschten bei Bedarf das Tafelsilber für Nahrungsmittel und andere Mittel des täglichen Bedarfs. Die Menschen standen zu diesem Zeit noch immer unter dem Eindruck, dass sich die Situation schnell wieder bessern würde. Daher haben sie nicht langfristig gedacht, sondern waren darauf eingestellt, die kurze Durststrecke zu überwinden.

Nachdem es jedoch nicht besser wurde, mussten die ersten ihr Überleben mit Diebstahl und Raub sichern. Gleichzeitig verlor der Ort jegliche medizinische Versorgung, da die Reserven aufgebraucht waren und sich kaum noch Personal fand, das bereit war, sich um Kranke zu kümmern. Wer sich ernsthaft verletzte, der hatte kaum eine Chance auf ein Überleben, da selbst normale Behandlungen unerschwinglich wurden.

Wer einen Garten hatte, konnte sich daraus etwas ernähren und war nicht auf den Schwarzmarkt angewiesen. Tauben und Ratten standen auf dem Speiseplan, das verdreckte Wasser machte viele krank. Nach drei Monaten gingen in der Stadt erstmals Gerüchte von Hungertoten um. Der Winter verschlimmerte die Lage. Nachdem die Menschen den letzten Baum gefällt hatten, mussten sie ihre Möbel verheizen.

 

Tauschhandel und körperliche Stärke ersetzten das Geld

 

Gewöhnliches Geld wurde nutzlos, der Tauschhandel kam auf. Die Starken unter den Verzweifelten setzten sich mit Gewalt durch und holten sich ohne Rücksicht das, was sie brauchten. Viele Frauen gaben sich für eine Mahlzeit her. Vor allem Mütter sicherten auf diese Weise das Überleben ihrer Kinder.

Die Überlebenswahrscheinlichkeit war deutlich größer für Großfamilien. Alleinstehende hatten keine Chance. Wer nicht über ein enges Netzwerk verfügte, war schnell ausgespäht und schutzlos den Räubern ausgeliefert.

Wohlstand vor der Belagerung, ein großes Haus oder Bekanntheit war plötzlich nicht nur nutzlos, sondern schädlich. Für die Hungrigen handelte es sich dabei um Indikatoren, dass es dort etwas zu holen gibt. Das beste ist, wenn das eigene Haus unauffällig ist. Zur Straße hin sollte es möglichst so wirken, als gäbe es dort nichts zu holen.

 

Lehren aus dieser Zeit

 

1. Bewegen in der Stadt

Selbst Kleinstädte sind zu einem Gutteil anonym. Sobald sich die Krise manifestiert werden daher auch Straßen in der Stadt gefährlich, die man in der Vergangenheit oft frequentiert hat. Daher sollte möglichst alles, was man braucht im nahen Umfeld zu finden sein. Wichtig dafür sind vor allem Grünflächen, da sie sich als Garten eigenen. Weiträumig auseinander lebende Familien sollten sich rasch an einem Ort sammeln, denn nur in direkter Nähe kann das bestehende Vertrauensnetz ausgenutzt werden. Mit Nachbarn sollte man ein gutes Verhältnis pflegen.

Entsteht die Notwendigkeit, einen weiter entfernten Bereich zu erreichen, darf man niemals alleine, niemals unbewaffnet und immer nur Nachts gehen. Falls es zu größeren Zerstörungen kam, sollte man für solche Besorgungen auf das Auto verzichten, da Trümmer die Straße versperren könnten. Wenn, dann eignen sich Zweiräder, deren Verlust unterwegs allerdings einkalkuliert werden muss.

2. Brennstoffversorgung

Ohne die Versorgung mit Elektrizität und fossilen Brennstoffen bleibt nur noch Holz zum kochen, für Wärme und für Licht. Da dies für alle Einwohner gilt, werden Bäume schnell zur Mangelware, wenn keine ausgedehnten Wälder in direkter Nähe erreichbar sind. Neben Nahrung und Sicherheit gehört die Versorgung mit Energie zu den drängendsten Problemen. Dies ist vor allem im Winter der Fall. Wer sich vorbereiten kann, der sollte für die kalte Zeit einen Gasherd mit vollen Gasflaschen als Reserve halten.

3. Praktische Fähigkeiten und immer auf Nummer Sicher

Bei einem völligen Abbruch der Versorgung wird selbst den am besten vorbereiteten irgendwann die Mittel ausgehen. Seine Fähigkeiten dagegen verliert man nicht – oder nur dann, wenn die Fähigkeit beispielsweise eine funktionierende Hand voraussetzt und diese verletzt ist. Daher sollte man auf sich achten und stets den vorsichtigen Weg nehmen.

Wer Reparieren kann, handwerkliche Fähigkeiten hat, oder über medizinische oder chemische Kenntnisse verfügt, der wird diese gegen Waren tauschen können. Dabei gilt die Regel, dass je wertvoller jemand für die Gemeinschaft ist, desto sicherer ist derjenige auch.

Nicht nur umfassende Kenntnisse können das Überleben sichern. Auch Kleinigkeiten können es, etwa die Fähigkeit, Schlösser zu knacken. Ebenso können sich Kommunikationsdienste als sehr wertvoll erweisen, etwa wenn jemand stets eine Verbindung „nach draußen“ bereitstellen kann. Nicht zu unterschätzen ist die Möglichkeit einer Speicherung von potenziellem Wissen in Form von Büchern zu Hause im Regel, aus denen man bei einem Stromausfall zumindest tagsüber etwas nützliches lernen kann.

4. Vorbereitung

Hoch im Kurs stand während der Belagerung alles, was das Überleben sicherte. Als Faustregel lässt sich feststellen, dass etwas umso teurer ist, je seltener es benötigt wird, dafür bei Bedarf aber umso bedeutender ist. Bei Alltagswaren wiederum ist es genauso wichtig, den eigenen Bedarf decken zu können, wie auch Tauschwaren zur Verfügung zu haben. Hier sind einige Dinge, die sich während der Belagerungszeit als überaus wichtig und wertvoll erwiesen haben:

 

  • Nahrungsmittel, die haltbar sind und kalt gegessen werden können
  • Hygieneartikel, bei Kleinkindern Windeln
  • Desinfektionsmittel, medizinische Handschuhe und Masken für medizinische Notfälle
  • Antibiotika und Material für die Erste Hilfe
  • Müllsäcke und Schaufeln, damit sich kein Müll ansammelt
  • Waschmittel und Bleiche
  • Kerzen und Batterien für Licht
  • Alkohol, Feuerzeuge, Feuersteine und Seife auch für den Tauschhandel
  • Einweggeschirr, falls kein sauberes Wasser vorhanden ist
  • Benzin und sonstige Brennstoffe
  • Waffen und Munition

 

Nicht in der Liste enthalten und dennoch mindestens genauso wichtig für das erfolgreiche Überleben einer tiefgreifenden Krisenzeit sind Mut, Hoffnung und Liebe. So lange diese nicht verloren sind, wird es auch wieder besser werden.

Quelle Titelbild

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