Horst D. Deckert

Virologen kritisieren Gesundheitsminister Spahn

«Wir sind in Deutschland, was die molekulare Überwachung des Coronavirus angeht, wirklich miserabel», zitiert tagesschau.de Prof. Hartmut Hengel, Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Freiburg: «Wir sequenzieren ohne repräsentative Probenerfassung auf dem Niveau eines Entwicklungslandes.»

Stein des Anstosses ist die unzureichende Kontrolle möglicher Corona-Mutationen in Deutschland. So durchläuft in Grossbritannien standardmässig jeder 15. positive Corona-Test eine Genom-Sequenzierung, also eine Analysemethode, die den Bauplan des Virus analysiert, um mögliche Veränderungen zu ermitteln.

In Deutschland wurde hingegen nur knapp jeder 900. Positivtest entsprechend analysiert. So ist es möglicherweise kein Wunder, dass im Robert-Koch-Institut (RKI) bis zum Ende der vergangenen Woche lediglich vier Fälle der neuen Mutation dokumentiert waren, in Grossbritannien hingegen bereits mehrere tausend Fälle. Wäre die neue Mutation in Deutschland ausgebrochen, hätte nach Ansicht Hartmut Hengels viel Zeit vergehen können, ohne dass sie bemerkt worden wäre.

Bereits im November 2019 hatte die Gesellschaft für Virologie gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie einen warnenden Appell an den Gesundheitsminister geschickt. Darin erklärt sie, ein «ministerielles Eingreifen» von Jens Spahn (CDU) sei «unausweichlich geworden», da ein beträchtlicher Teil der aktuell berufenen Expertenlabore seine Aufgaben nicht mehr erfüllen kann. Bei einem Ausbruchsgeschehen fehlten deshalb «die Möglichkeiten der molekularen Surveillance», also der Überwachung mittels eines genetischen Fingerabdrucks. Aus dem Schreiben zitiert tagesschau.de: «Die finanzielle Ausstattung vieler nationaler Referenzzentren und Konsiliarlabore durch das Bundesgesundheitsministerium ist seit vielen Jahren völlig unzureichend, intransparent und erfolgt auf stereotype Weise durch Pauschalbeträge». Notwendige Untersuchungen könnten «nicht abgerechnet werden und unterbleiben daher in vielen Fällen».

Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, lobt das Virusmonitoring der Briten und der Dänen. Eine ebenso starke Virenüberwachung wie in Grossbritannien liesse sich seiner Ansicht nach auch in Deutschland sehr schnell organisieren. Eine Untersuchung würde etwa 50 Euro kosten, also genau so viel, wie die Krankenkassen heute für jeden PCR-Test ausgeben. Streeck hält es darüber hinaus für sehr wichtig, neben Coronaviren auch andere Viren im Auge zu behalten.

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