Horst D. Deckert

Vom Kriegsverbrechen bis zur Versöhnung: Das unfassbar große Leid der Sudetendeutschen

In den Kleinstädten Saaz & Postelberg im Sudetenland fand im Sommer 1945 ein furchtbares Verbrechen an der deutschsprachigen Zivilbevölkerung statt. Nun arbeitet ein bahnbrechendes Werk diese lange unter den Tisch gekehrte fürchterliche Geschichte detailliert auf.

Kurz nach Kriegsende fand das jahrzehntelang schwerste ethnisch motivierte Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung in Europa statt. Binnen weniger Tage wurden im Juni 1945 mindestens 763 Sudetendeutsche ermordet, das Schicksal weiterer 1.500 Menschen ist bis heute nicht geklärt. Eine erst nach zwei Jahren durchgeführte Untersuchung wurde mit dem Einmarsch der Sowjets ein weiteres Jahr später jäh beendet. Erst nach der Wende wurden die Taten erneut untersucht, viele Fragen bleiben offen. Im über 500 Seiten starken, im Leipziger Tschirner & Kosova-Verlag erschienenen Sachbuch “Was geschah in Saaz und Pöstelberg im Juni 1945?” enthüllen bisher geheime Dokumente und bewegende Zeitzeugenberichte das ganze Ausmaß der damaligen Grausamkeit. Der Historiker Jiri Padevet, der das Vorwort beisteuert, kommt zum Schluss, dass die Taten heute “unzweifelhaft als Völkermord” gelten würden.

Wissenschaftliche und vollständige Aufarbeitung des Unrechts

Das Buch besteht aus drei Abschnitten. Der erste beleuchtet die historische Dimension, einschließlich einer Abschrift der Originalprotokolle der Untersuchung aus dem Jahr 1947. Im zweiten Teil erinnern sich zwölf Zeitzeugen an die Gräueltaten. Der dritte Abschnitt wiederum zeigt, dass sich das Buch nicht nur gegen das Vergessen richtet – er widmet sich ganz dem Prozess der Aussöhnung zwischen Deutschen & Tschechen; eine Aufgabe, die auch dadurch bekräftigt wird, dass sämtliche Beiträge in diesem hochwertig gestalteten Werk in beiden Sprachen abgefasst sind. Es handelt sich um eine der wohl vollständigsten Aufarbeitungen des auch in Deutschland oft tabuisierten Unrechts, das den Volksdeutschen und damit den Familien Millionen Heimatvertriebener widerfuhr. Interessant ist dabei, dass Herausgeber Andreas Kalkhoff nicht nur Publizist und Historiker ist, sondern ein Nachkomme einer gebürtigen Saazerin ist. Auch seine vier Mitarbeiter haben familiäre Verbindungen in die nordböhmische Stadt. Das Resultat kann sich sehen lassen – und besticht ebenso mit fachlicher Expertise wie auch mit einem würdevollen Herangehen an dieses heikle historische Thema, die nicht nur Fachkreise beeindrucken wird. Kaufempfehlung!

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