Horst D. Deckert

Warum chinesische Frauen keine weiteren Kinder möchten

Jahre nachdem ich gemeinsam mit meiner Mutter China verlassen hatte, fand ich den wahren Grund für unser Exil heraus. Ein Nachbar hatte meine Mutter angezeigt, weil sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war. Sie bekam einen Besuch von örtlichen Beamten, die sie vor die Wahl stellten: Sie konnte entweder selbst zur Abtreibungsklinik fahren oder aber sie würden sie selbst dorthin bringen. Meine Mutter entschied sich für die dritte Möglichkeit: Ein Umzug nach London zu ihrem Mann, der zu dieser Zeit in Großbritannien arbeitete. Im August 2004, als sie im sechsten Monat schwanger war, ließ sie ihre Familie und Freunde in Nanjing zurück. Mein Bruder wurde später im Jahr im Kingston Hospital von London geboren.

Andere Familien hatten weniger Glück. Pekinger Demographen waren besorgt, dass die Nahrungsmittelproduktion nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten würde und es waren längst nicht nur die Chinesen, die sich Sorgen darüber machten. Der Westen war auf die „Bevölkerungsbombe“ der Welt fixiert, wobei China ihres Erachtens das Epizentrum dieser Entwicklung darstellte. Als Deng Xiaoping 1980 die Ein-Kind-Politik einführte, gratulierte ihm die Washington Post zur Abwendung der Katastrophe.

Inzwischen jedoch herrscht eine ganz andere Panik unter Chinas Herrschenden. Im Jahr 1970 hatte die durchschnittliche chinesische Frau sechs Kinder; heute hat sie noch 1,3 und damit weit unter den für den Bevölkerungserhalt notwendigen 2,1 Kindern. In Kürze, vielleicht noch in diesem Jahrzehnt, wird Chinas Bevölkerung ihren Höhepunkt erreichen, um danach dauerhaft zu schrumpfen. Peking hat erkannt, dass sein auf Konsum und billigen Arbeitskräften basierendes Wirtschaftswachstum daher bald nicht mehr funktionieren wird.

Aus diesem Grund wurde die Ein-Kind-Politik vor fünf Jahren abgeschafft und die Kinderzahl auf zwei erhöht. Doch die Geburtenrate ist hartnäckig niedrig geblieben. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der Neugeborenen auf dem niedrigsten Stand seit der Großen Hungersnot 1961. Diese Woche gab Peking bekannt, dass Ehepaare nun drei Kinder haben dürfen.

Alles verlangen, aber nichts geben

Dieser Umschwung aber kommt zu spät und wird sehr wahrscheinlich nicht reichen. Mehrere hundert Millionen chinesische Kinder haben keine Geschwister. Die Existenz von Brüdern und Schwestern war lange Zeit lediglich etwas, das aus synchronisierten amerikanischen Sitcoms bekannt war, die so fremd und exotisch auf Chinas Kinder wirkten, wie deren blaue Augen und blondes Haar. Ich selbst bin mit dem Gedanken aufgewachsen, dass es schlichtweg unchinesisch ist, mehr als ein Kind zu haben. Viele in meiner Generation sehnen sich gar nicht mehr nach einer großen Familie, da es sich um etwas handelt, das wir nie erlebt haben. Gleichzeitig gibt es für die bestens ausgebildeten jungen Frauen in China mehr in ihrem modernen Leben als die Mutterschaft.

Hinzu kommt, dass der Kindererziehung in China eine Erpressung innewohnt. Junge Eltern sind heute nicht mit jenen Problemen konfrontiert, die ihre Großeltern ertragen mussten: Vornehmlich Hunger und die Kulturrevolution. Doch das enorme Wirtschaftswachstum im Land bringt auch seine eigenen Probleme mit sich. Der staatliche Bildungssektor in China ist klein, so dass gut ein Drittel aller Kinder privat unterrichtet wird. Das Schulgeld jedoch ist teuer – ganz zu schweigen von den Englisch- und Mathe-Nachhilfestunden, dem Musik- und Tanzunterricht und den vielen Sportvereinen, die ebenfalls Geld kosten. Für Eltern aus der Mittelschicht besteht ein immenser sozialer Druck, sich in dieser Hinsicht mit anderen zu messen. Die Multiplikation dieses Erziehungswettbewerbs mit drei ist für die allermeisten kaum vorstellbar.

Ein weiterer Ausschlussfaktor stellt das unerbittliche Arbeitsleben dar. Das berüchtigte „996-Regime“, das sich auf „9 Uhr morgens bis 21 Uhr abends, sechs Tage die Woche“ bezieht, breitet sich zunehmend von Chinas Technologiesektor auf andere Branchen aus. Als familienfreundlich ist das kaum zu bezeichnen.

Entsprechend gab es kein Lob, als die Nachricht über die neue Politik in dieser Woche die Runde machte, vielmehr explodierten die chinesischen sozialen Medien geradezu vor Wut. „Gebären ist nicht das Problem, das Aufziehen ist es“, wetterte ein Nutzer auf Weibo. „996 ist das beste Verhütungsmittel“, kommentierte ein anderer.

Chinas umgedrehte Alterspyramide

Das Ein-Kind-Experiment hat zu seltsamen Familienstrukturen geführt. Die meisten Millennials haben zwei alternde Eltern und vier Großeltern. Sie sind konfrontiert von einer umgedrehten Alterspyramide bestehend aus alten, pflegebedürftigen Angehörigen. Dennoch sind Pflegeheime immer noch verpönt in China. Die allgemeine Erwartungshaltung besteht darin, dass sich jeder mit seinem Einkommen um seine eigene Familie kümmert. Bis 2050 werden schätzungsweise 40 Prozent aller Chinesen im Ruhestand sein, während auch die Lebenserwartung kontinuierlich steigt. Viele Paare mit Kinderwunsch beklagen sich darüber, dass sich die Pflege ihrer Angehörigen zu stark belastet, als dass sie überhaupt darüber nachdenken könnten, eigene Kinder zu haben.

Die Tragödie besteht darin, dass selbst jene (wie meine Mutter), die in den frühen Tagen von Chinas Wirtschaftsboom weitere Kinder wollten und sich auch hätten leisten können, keine bekommen durften. Jetzt aber ist es für viele dieser Frauen zu spät. Für junge Paare dagegen, die voll im Arbeitsleben stehen, schließen der auf ihnen lastende Druck des modernen Lebens eine große Familie aus.

Das Politbüro versprach, im Rahmen des Politikwechsels die Schulgebühren zu senken, die Bedingungen für den Mutterschaftsurlaub zu verbessern und die Bedingungen für Frauen am Arbeitsplatz zu verbessern. Von begrenzten Arbeitszeiten oder bezahlbarem Wohnraum war allerdings nicht die Rede.

Wenn sich die Dinge in China ändern, dann geht es meist sehr schnell. In der kurzen Lebensspanne meines Bruders hat es eine 180-Grad-Wende gegeben. Nachdem man jahrzehntelang Kinder als das Problem angesehen hat, haben chinesische Politiker eine neue Botschaft: Fortpflanzung ist Patriotismus. Das Problem damit besteht aber darin, dass viele Chinesen damit ganz und gar nicht einverstanden sind.

Jennifer Zeng: Wird die KP die Menschen bald zum Kinderkriegen zwingen?

Die Kommunistische Partei Chinas (KP) verkündete am 31. Mai, dass Familien in China künftig drei Kinder haben dürfen. Diese plötzliche Änderung der Bevölkerungspolitik hat viele Menschen fassungslos gemacht; und die Öffentlichkeit begann zu fragen: Wird die KP die Menschen bald zum Kinderkriegen zwingen? Und wenn ja, in welcher Weise?

Tatsächlich veröffentlichte der chinesische Professor Nie Shengzhe bereits im Jahr 2018 einige seiner Vorschläge dazu. In einem Artikel vom 15. Mai 2018 schrieb Nie, dass China die Bevölkerungskontrolle „übertrieben“ habe und es deswegen bald zu einer dramatischen Situation kommen würde: Die Gesamtbevölkerung werde auf 500 Millionen Menschen fallen, von denen 450 Millionen alt sein werden.

Er sagte, dass zu diesem Zeitpunkt sogar jüngere Kompaniebefehlshaber in der Armee etwa 50 Jahre alt sein werden. Die Frage für ihn war, wie geht man damit um? Hier die Übersetzung seiner Worte:

[Wir] müssen uns auf die Führung der Partei verlassen. Nur die starke Parteiführung kann dieses Problem lösen.

Erstens sollten jene Parteikader die Führung übernehmen, die selbst zwei, drei oder vier Kinder haben, während gleichzeitig Parteikader mit mehreren Kindern vorrangig gefördert werden müssen.

Zweitens sollte das Zentralkomitee der Partei den Verkauf von Kondomen und Verhütungsmitteln streng kontrollieren und Krankenhäusern das Durchführen von Abtreibungen verbieten.

Die Propagandaabteilung der Partei sollte Propagandasprüche wie etwa „Mehr Kinder bringen viel Segen“ oder „Eins ist zu wenig, zwei sind nicht genug, drei sind gut, vier sind das Beste“ einführen.

Wenn Parteimitglieder oder Kader im gebärfähigen Alter beim Sex zu Verhütungsmitteln greifen, sollte dies als eine Verletzung der Parteidisziplin erachtet werden.

Je mehr Parteimitglieder und Kader Kinder bekommen, desto aktiver ist das rote Gen in der Bevölkerung, desto mehr wird sich die politische Qualität der Bevölkerung verbessern. Je mehr Nachkommen von Parteimitgliedern und Kadern es gibt, desto weniger politische Probleme wird es geben.

Nur so können wir als Nation die Katastrophe des kollabierenden Bevölkerungsrückgangs vermeiden, und China kann die Norm von 800 Millionen Menschen mit einer wissenschaftlichen und vernünftigen Altersmischung der Bevölkerung und Arbeitsteilung aufrecht erhalten.

Für „Made in China“ braucht es Menschen, für die Wiederbelebung von Wissenschaft und Technologie braucht Menschen, der Schutz des Landes braucht Menschen… mit einem so großen Land wie unserem benötigen wir eine gewisse Mindestbevölkerung.

Nur dann, wenn Chinas Bevölkerungsreservoir bei 800 Millionen liegt (mindestens sollten es 600 Millionen sein), kann die chinesische Nation von Wiederbelebung und Fortschritt sprechen!

Laut Baidu ist Nie Shengzhe Vorsitzender der Changjiang Civil Education Foundation, Vizepräsident der Tao Xingzhi Research Association of China, Executive Director, Professor und Doktorvater des Suzhou Research Institute der Sichuan University, Adjunct Professor des Harbin Institute of Technology (School of Civil Engineering), der Tongji University (School of Humanities), der Shanghai Normal University , Visiting Professor der Shanghai Theatre Academy.

Er ist Direktor des Redaktionsausschusses der vierteljährlich erscheinenden akademischen Zeitschrift Chinese Art Series, erster stellvertretender Vorsitzender des Holzstruktur-Komitees der Chinese Academy of Architecture, rotierender Präsident der China Wood Structure Industry Alliance (Wood Structure Industry Branch), ständiges Mitglied der Chinese Chemical Society und Mitglied der American Chemical Society.

Wie gesagt: Die KP ist totalitär bis ins Mark und auch ein gutes Pfund rassistisch. Daher ist das neue Programm fast schon zum Erfolg verdammt. Die Untertanen Pekings können einem wirklich Leid tun.

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