Wir leben in verrückten Zeiten. Während die angeblich „linksliberale“ Presse im Gleichschritt mit einer übergroßen Mehrheit im Bundestag tagein, tagaus den Krieg in der Ukraine durch Waffenlieferungen weiter eskalieren und verlängern will, mahnen Generäle zur Zurückhaltung und fordern Friedensverhandlungen um dem Sterben ein Ende zu setzen und eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur mit Russland aufzubauen, die die Gefahr eines Dritten Weltkrieges minimiert. Dies fordert unter anderem General a.D. Erich Vad, der von 2006 bis 2013 militärpolitischer Berater von Angela Merkel war. Und da wir in verrückten Zeiten leben, bekam Vad nicht die Gelegenheit, seine Forderungen im SPIEGEL, der ZEIT, der WELT oder einem Format der Öffentlich-Rechtlichen zu äußern, sondern „musste“ auf die nicht eben als sicherheitspolitisches Fachblatt bekannte Zeitschrift Emma ausweichen. Dafür muss man der Emma und Vad dankbar sein. Von Jens Berger
Wie konnte es eigentlich so weit kommen, dass die öffentliche Debatte zu allen Fragen rund um den Ukraine-Krieg eine derartige Schlagseite bekommen hat? Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine scheint es in den großen Medien nur noch eine erlaubte Position zu geben und das geht von der konservativen FAZ bis zur als links geltenden taz. Aus dem August 1914 ist von Kaiser Wilhelm II das Zitat „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche!“ überliefert. Historiker sprechen in diesem Zusammenhang von einer „Burgfriedenspolitik“. Einen solchen Burgfrieden gibt es heute offenbar auch. Medien und große Teile der Politik befinden sich mental im Krieg und ordnen diesem „höheren Zweck“ alles andere unter. Nur alternative Medien wie die NachDenkSeiten und erstaunlicherweise die Emma, als einziges eher „klassisches“ Medium, spielen dieses Spiel nicht mit.
Bereits im April ist die Emma samt ihrer Herausgeberin Alice Schwarzer mit einem Offenen Brief in die Offensive gegangen, der bis heute von fast einer halben Million Menschen unterzeichnet wurde. Der Offene Brief warnt vor der Gefahr eines Dritten Weltkriegs und fordert die Bundesregierung auffordert, sich für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg stark zu machen. Zu den Erstunterzeichnern gehörten damals unter anderem Antje Vollmer, Svenja Flasspöhler, Reinhard und Wolfgang Merkel, Reinhard Mey, Harald Welzer und Juli Zeh – viele von ihnen wurden daraufhin von den Medien massiv kritisiert und mussten sich in Talkshows wie „Markus Lanz“ rechtfertigen. Ja, manche Vergleiche hinken, aber die Stimmung ähnelt schon ein wenig an die öffentliche Kriegshysterie im Sommer 1914.
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Neben den – eindeutig zu wenigen(!) – Intellektuellen, gehörte jedoch erstaunlicherweise auch schon sehr früh ein anderer Berufsstand zu den Kritikern des politisch-medialen Hurra-Bellizismus – und zwar gestandene Ex-Generäle. Namentlich zu nennen sind dort vor allem der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat und eben Erich Vad. So paradox es klingt: Diese ehemaligen Generäle sind es, die im bürgerlichen Lager zusammen mit einigen wenigen Unternehmern, wie beispielsweise Wolfgang Grupp, die einzige wahrnehmbare Opposition zum Kriegskurs bilden. Und diese Opposition hat durchaus eine Bedeutung, da die Ex-Generäle, so viel darf man annehmen, zumindest wissen, wovon sie sprechen, während man Kriegstrommlern wie dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter die Kompetenz auf diesem Gebiet doch ganz klar aberkennen muss.
Doch kommen wir nun zum Emma-Interview mit General a.D. Erich Vad. Wenn Sie es noch nicht gelesen haben, holen Sie dies bitte nach. Natürlich ist nicht allem, was Vad sagt, bedingungslos zuzustimmen. Er ist bekennender Transatlantiker und das merkt man auch. Aber gerade eben deshalb sind seine Aussagen ja so wichtig. Von einem Friedensaktivisten erwartet man natürlich, dass er kritische Position zu Waffenlieferungen und einer Eskalation des Kriegs einnimmt – was seine Position selbstverständlich nicht abwerten soll. Vad ist jedoch kein Friedensaktivist, sondern ein General und er sagt genau das, was man eigentlich von einem ehemaligen hohen General eher nicht erwarten würde. Er mahnt und stellt Fragen; und zwar die entscheidenden Fragen. Was sind eigentlich die Kriegsziele der Bellizisten?
Will man mit den Lieferungen der Panzer Verhandlungsbereitschaft erreichen? Will man damit den Donbass oder die Krim zurückerobern? Oder will man Russland gar ganz besiegen? Es gibt keine realistische End-State-Definition. Und ohne ein politisch strategisches Gesamtkonzept sind Waffenlieferungen Militarismus pur.
Vads Kritik geht jedoch weiter, viel weiter. Im Interview geht es nicht nur um militärische und sicherheitspolitische Fragen, sondern auch um die Debattenlage und die politische und mediale Gemengelage in Deutschland. Und wenn Vad ausholt, klingt es fast, als sei er kein Ex-General und Merkel-Berater, sondern Gastautor der NachDenkSeiten.
Wir erleben weitgehend eine Gleichschaltung der Medien, wie ich sie so in der Bundesrepublik noch nie erlebt habe. Das ist pure Meinungsmache. Und zwar nicht im staatlichen Auftrag, wie es aus totalitären Regimen bekannt ist, sondern aus reiner Selbstermächtigung.
Getrieben ist Vad, und auch das ist bei seiner Biographie eher überraschend – oder gerade eben auch nicht? – von der Sorge, dass die vom Westen betriebene Eskalation eine Dynamik auslösen könnte, die in einem Dritten Weltkrieg endet.
Und die alles entscheidende Frage ist doch, wie man einen derartigen Konflikt mit einer kriegerischen Nuklearmacht – wohlbemerkt der stärksten Nuklearmacht der Welt! – durchstehen will, ohne in einen Dritten Weltkrieg zu gehen. Und genau das geht hier in Deutschland in die Köpfe der Politiker und der Journalisten nicht hinein!
Man kann nur hoffen, dass möglichst viele Menschen und vielleicht sogar einige Journalisten und Politiker seine Mahnung zur Kenntnis nehmen und anfangen, zu reflektieren. Leider hat die Friedensbewegung nur noch einen überschaubaren Einfluss auf die mediale und politische Meinungsbildung. Wenn es denn nun ausgerechnet Generäle seien sollten, die den Burgfrieden aufbrechen und die Vernunft in die Debatte bringen, so soll es uns recht sein.
Titelbild: Screenshot Emma