Horst D. Deckert

Widerstandsrecht im Unrechtsstaat?

«Das Widerstandrecht fällt nur in Betracht, wenn sich die Staatsgewalt schwerste und systematische Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen lässt, die sich andersweitig nicht beheben lassen», schreibt Andreas Kley, Professor für Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Zürich, in seiner Arbeit «Rechtsstaat und Widerstand» aus dem Jahre 2001.

Jakob Dubs (1822-1879), der im Kanton Zürich und im Bund alle wichtigen Ämter innehatte, schrieb in seinem «Öffentlichen Recht der Schweizerischen Eidgenossenschaft», dass das Staatsvolk «nicht die Menschenrechte antasten, unmenschliche Gebote erlassen, unmenschliche Strafen androhen oder zufügen» dürfe. Trete dieser Fall aber trotzdem ein – wie durch die derzeitigen Covid-19-Massnahmen – so setze der Staat auf den Fuss der Gewalt, wo das Recht aufhöre. Mit diesem Moment wacht für die Bürger das «natürliche Recht der Selbsthilfe wieder auf, das Recht des Widerstandes beginnt, die Revolution wird zu einem berechtigten, ja unter Umständen selbst sittlich gebotenen Akte zum Schutze der Menschenwürde».

Dieses Recht sei ein unveräusserliches Grundrecht des Bürgers, «weil ohne dieses alle anderen Rechte wertlos seien. «Dabei versteht es sich von selbst, dass vorher die legalen Mittel der Abwehr erschöpft sein sollen», so Dubs.

Vor diesem Hintergrund müsste erst ein Urteil des Bundesgerichtes abgewartet werden. Damit wäre das letzte legale Mittel der Abwehr für die Bürger erschöpft. Gemäss Dr.iur. Philipp Kruse sei eine solche Beschwerde beim Bundesgericht bereits hängig. Auf seinem Telegram-Kanal schreibt Kruse nach einem ablehnenden Entscheid des Freiburger Kantonsgerichtes:

«Deshalb unsere Rügen vor Bundesgericht (nicht abschliessend): Gravierende Verletzung folgender Verfassungsbestimmungen (BV): Persönliche Unversehrtheit (BV 10 II); Recht auf besonderen Schutz des Kindeswohls (BV 11 I); Verletzung des Rechtlichen Gehörs (BV 29 II); der Richterlichen Unabhängigkeit (BV 191 c); Willkürverbot (BV 5 und 9) sowie Verletzung des Epidemiengesetzes: Art. 4 I lit. b und c; Art. 40 III EpG etc.»

Da besondere Gefahr im Verzug sei und ein überwiegendes öffentliches Interesse bestehe, müsste das Bundesgericht eine solche Verfassungsbeschwerde dringlich behandeln.

Das Recht auf Leben

Bereits Mitte Juni 2018 schrieb Andreas Kley in einer Kolumne für die NZZ:

«Mit der Unterfinanzierung der persönlichen Betreuung durch Ärzte und Pflegefachpersonen und der gleichzeitigen Überversorgung durch Apparatemedizin, Informatik und Pharma verletzt das schweizerische Gesundheitssystem die Menschenrechte. Betroffen sind die noch urteilsfähigen, alten Menschen, die einer solchen Behandlung entgehen wollen, wie auch die urteilsunfähigen Personen, die solchen Einrichtungen ausgesetzt sind. Bund und Kantone missachten damit das Recht auf (Privat-)Leben sowie das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (…) In der Schweiz verletzen Parlament und Bundesrat ihre Schutzpflichten grob, indem sie in Gesetzgebung und in der Finanzierung strikt am Grundsatz festhalten, dass die Ökonomie der Humanität vorgeht.»

Im Jahr 2020 ist das Parlament, als oberste Gewalt im Bunde, inmitten der Frühlingssession abgetaucht und hat das Heft alleinig dem Bundesrat überlassen. Auch das Parlament beschäftigt sich mit der Frage der Rechtmässigkeit dieser Massnahmen, welche auf drakonische Weise die Grundrechte der Menschen beschneiden. Kley hält das Vorgehen des Bundesrates in verschiedener Hinsicht für verfassungswidrig. Er kritisiert Juristinnen und Juristen, welche den Eindruck erwecken, die verfassungsmässige Ordnung sei nun in der Corona-Diktatur einfach suspendiert worden – ähnlich wie im Zweiten Weltkrieg. Doch dies treffe nicht zu, wird Kley in der Onlineausgabe der Weltwoche zitiert.

Alexander Ruch, Professor für öffentliches Recht an der ETH Zürich, nennt vier wesentliche Punkte aus dem Artikel 36 der Bundesverfassung für die Einschränkung von Grundrechten:

  • Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr.
  • Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.
  • Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein und daher geeignet, erforderlich und zumutbar.
  • Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar.

Die negativen Auswirkungen des Eingriffs dürften zudem nicht unverhältnismässig schwerer wiegen als die positiven Auswirkungen. Eingriffsmittel und Eingriffswirkung müssten in einem vernünftigen Verhältnis stehen, damit der Eingriff zumutbar sei.

Gemäss dem Analysebericht des wissenschaftlichen Konsortiums «Aletheia» seien diese Gründe für solch schwerwiegende Einschränkungen in Grundrechte allerdings nicht gegeben. Die Covid-19-Verordnung sei weder zumutbar, geeignet oder erforderlich, sondern vielmehr schädlich und verfassungswidrig.

Bundesverfassung und Epidemiengesetz

Als die Landesregierung am 13. März 2020 die Schulen geschlossen und grössere Veranstaltungen verboten hatte, stützte sie ihre Verordnung unter anderem auf Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung. Dieser Artikel ermächtigt den Bundesrat, «Verordnungen und Verfügungen zu erlassen, um eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen. Solche Verordnungen sind zu befristen». Nur drei Tage später führte die Landesregierung als weiteren Schritt Grenzkontrollen ein, liess Läden und Restaurants schliessen. Sie berief sich dabei nun nicht mehr auf Artikel 185 der Verfassung, sondern neu auf den Artikel 7 des Epidemiengesetzes EpG: «Wenn es eine ausserordentliche Lage erfordert, kann der Bundesrat für das ganze Land oder für einzelne Landesteile notwendige Massnahmen anordnen.»

Doch der Bundesrat habe weitreichende Covid-19 Verordnungen beschlossen, bei denen es nicht um Seuchenbekämpfung gehe, sondern um untergeordnete Themen wie: Arbeitslosenversicherung, politische Rechte oder Justiz. Diese Verordnungen würden sich explizit nicht auf das EpG, sondern auf Artikel 185 der Verfassung stützen. «Der Bundesrat bricht damit die Verfassung», sagt Kley. Denn Art. 185 Absatz 3 BV sei keine «Notstandsnorm» und erlaube es der Regierung nicht, ein Notrecht zu setzen und Gesetze abzuändern, so wie er es derzeit tue.

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