Horst D. Deckert

Wie ein friedlicher Montagsspaziergang „geframed“ wird

Friedliche Atmosphäre: Montagsspaziergänger vorgestern in der Heidelberger Altstadt (Foto:privat)

Wiederholt berichtete Ansage.org schon über Erlebnisse der Corona-Spaziergänge und Protestaktionen aus Heidelberg, da sich die dortigen Erfahrungen als besonders mustergültig für das erweisen, was derzeit überall in Deutschland passiert. Das gilt auch wieder für den vorgestrigen Spaziergang vom 7. Februar in Heidelberg – und insbesondere das, was von Seiten der Staatsgewalt dazu veröffentlicht wurde:

Zwei Personen wurden (…) als ‚Lenker‘ der Demonstration ausgemacht. Gegen sie wird wegen des Verdachts ermittelt, gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben. Einer von ihnen hatte zudem ein Messer und Drogen einstecken (…). An der Ecke Hauptstraße/Kettengasse griff aus bislang unbekannten Gründen ein Teilnehmer Polizeibeamte an”, heißt es im Polizeibericht über den Spaziergang von Montag in der Heidelberger Innenstadt.

Liest man diese die wahren Begebenheiten doch arg verkürzende Schilderung, könnte man glatt auf seltsame Gedanken kommen und meinen, hier hätten sich suspekte, gewalttätige oder gar hochkriminelle Subjekte zusammengerottet, um Straftaten zu begehen. Und dass eben dieser verzerrende Eindruck beabsichtigt ist, kann durchaus unterstellt werden. Was aber passierte eigentlich in Wahrheit? Wie war es denn wirklich? Hierzu der nachfolgende Erlebnisbericht.

Beabsichtigtes Zerrbild

Gegen 18 Uhr am Montagabend versammeln sich die ersten Bürger nach und nach finden sich immer mehr Fußgänger auf dem Bismarckplatz ein und bleiben dort stehen: Einzelpersonen, kleine Grüppchen und auch größere Gruppen. Mindestens 400 Spaziergänger werden die Polizisten später zählen (es waren wohl mehr). Das „Anti-Konflikt-Team” der Polizei ist natürlich auch wieder vor Ort. Sie alle gemeinsam, Spaziergänger und Polizeibeamte, setzen sich um 18.30 Uhr in Bewegung.

Zuerst geht es durch die Hauptstraße; gemächlich und friedlich bewegt sich der fröhliche, aber ruhige Zug voran. Ein Kanadier, der die Fahne seines Landes über die Köpfe der Mit-Spaziergänger wehen lässt, fällt diesmal besonders auf: Er demonstriert seine Solidarität mit den kanadischen Truckern, die derzeit zu Tausenden vor allem in Ottawa, der Hauptstadt des zweitgrößten Landes der Erde, gegen das dortige Impfregime der Regierung Trudeau protestieren.

Nach Durchschreiten der gesamten Hauptstraße kommt die Masse am Marktplatz an – und dort wird friedfertige Stimmung, die eher an ein Happening erinnert, jäh zerstört: Auf dem Marktplatz sind Kastenwagen quergestellt, aus dem Lautsprecher plärrt eine barsche Stimme, dass dies eine „Versammlung” sei und man nach deren Leiter suche. Doch natürlich gibt es keine Versammlungsleiter, denn dies ist keine Versammlung: Hier haben viele Fußgänger haben einfach nur selbstbestimmt beschlossen, in eine Richtung zu gehen.

Spazierten staatliche Provokateure mit?

Der Zug weicht den Hindernissen (oder Schikanen?) aus und umrundet die Heiliggeistkirche. In Höhe der Kettengasse, vor einer polizeilichen Postenkette, gibt es plötzlich lautstarken Tumult. Später wird es von Seiten der Polizei heißen, eine Einzelperson habe einen Polizisten „angegriffen”. Von anderen Beobachtern bestätigt werden kann diese Darstellung jedoch nicht; so mancher fragt sich, ob sich nicht der eine oder andere Agent Provocateur unter die Reihen der Spaziergänger gemischt hat.

Die unbeschwerte Stimmung jedenfalls ist endgültig verflogen. Der Zug setzt sich wieder in die Untere Straße in Bewegung, wird aber an der Einbiegung in die Hauptstraße von zwei weiteren Polizei-Kastenwagen blockiert. Viele Spaziergänger gewinnen den Eindruck, dass hier ein Kessel gebildet werden soll. Die Spaziergänger weichen in Richtung Neckar aus, spazieren an der Bundesstraße 3 entlang und nach dem Marstall wieder hoch zur Hauptstraße. Dort stehen Motorradpolizisten. Als sie von einzelnen Spaziergängern freundlich angesprochen werden, verschwinden sie prompt auf ihren schweren Maschinen in Richtung hintere Hauptstraße.

Einige Spaziergänger heben an, das kleine Liedchen „Die Welle der Freiheit“ zu singen. Viele halten immer noch Kerzen oder kleine Blumen in der Hand, als Zeichen ihrer Friedfertigkeit. Am Bismarckplatz steht ebenfalls wieder ein halbes Dutzend Kastenwagen der Polizei. Als sich der Spaziergang (der nur noch lose als zusammenhängende Gruppe fortbesteht) auflöst, greift sich ein Trupp Bereitschaftspolizisten plötzlich zwei Fußgänger, die vorläufig festgenommen werden. Das „Messer”, von dem in dem späteren Polizeibericht die Rede ist, entpuppt sich dabei übrigens als Multitool-Werkzeug.

Konfrontation war klar gewollt

Klar ist: Im Gegensatz zu den Wochen zuvor hatte es die Polizei diesmal auf Konfrontation angelegt. Dass dafür aus Bruchsal Bereitschaftspolizei herangekarrt wurde, war wohl das deutlichste Zeichen dafür. Die Beamten taten mit ihren Blockaden am Marktplatz und in Höhe der Kettengasse dann auch genau das, was sie in den Augen der Ordnungsbehörden wohl tun sollte: Sie übte Repression aus. Die martialische Ausrüstung, der barsche Kommisston der Polizisten und die vielen sinnlos am Bismarckplatz herumstehenden Einsatzwagen sollten erkennbar die Spaziergangsteilnehmer einschüchtern.

Dass gegen friedliche Fussgänger solch ein völlig unverhältnismäßiger polizeilicher Aufwand getrieben wird, lässt tief blicken, vor allem was Nervosität und Gemütslage der politisch Verantwortlichen betrifft: Es ist die nackte Angst der Regierenden vor dem Volk, die sie zu solchen hanebüchenen Mitteln der Einschüchterung greifen lässt. Landesinnenminister Thomas Strobl sprach vorletzte Woche von 80.000 Montagsspaziergängern alleine in 400 Orten Baden-Württembergs; tatsächlich war diese Zahl wohl deutlich unterschrieben.

Jedenfalls werden es von Woche zu Woche mehr.

 

Dieser Beitrag erschien auch auf Conservo.

The post Wie ein friedlicher Montagsspaziergang „geframed“ wird first appeared on Ansage.

Ähnliche Nachrichten