Horst D. Deckert

Wo bleibt die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Coronabeschränkungen?

Bei meinen bisherigen Diskussionsversuchen mit Anhängern (noch) drakonischerer Alltagsbeschränkung zur Bekämpfung des Coronavirus bin ich in hoher Regelmäßigkeit an der Mauer der “Menschenfeindlichkeit” abgeprallt. Das passierte immer dann, wenn ich die große Rechnung aufgemacht habe und beispielsweise die Opportunität ansprach zwischen toten Rentnern und depressiven Kindern und Jugendlichen, die auf Jahre nicht arbeits- und sozialfähig sein werden. Solche Vergleiche dürfe machen nicht machen, kam es mir dann stets entgegen, weil es menschenfeindlich sei, sich auch nur auf abstrakter Ebene vorzustellen, eine derart große Zahl an Toten zuzulassen.

Diese Reaktion kam mir bislang bereits so oft entgegen, dass ich sie tatsächlich als einen festen Bestandteil der Haltung für mehr Beschränkungen bezeichnen würde. In allen Fällen bin ich am Ende auf meiner Frage sitzen geblieben und musste mich über diese sture Reaktion wundern, bei der sich manch einer auf der einen Seite zwar unbedingt in die Debatte einmischen will, andererseits aber partout nicht bereit ist, sich die Gegenseite anzuhören, um im Zweifel deren Argumente zu entkräften. Im Gegenteil, sofort wurde nud wird immer noch dicht gemacht.

Ich vermute, dass Personen mit einer solchen Haltung in erster Linie emotional von der Krise bewegt werden und sie mit diesem Abwehrreflex die eigene Psyche zu schützen versuchen. Es impliziert, dass sie unbewusst zwar durchaus die negativen Konsequenzen ihrer Haltung erahnen können, sie jedoch nicht Lage sind, mit den Konsequenzen daraus klar zu kommen.

Unabhängig davon, aus welcher Richtung dieser Drang kommt und ob er medial befördert wird, oder es sich um eine häufig anzutreffende natürliche Reaktion handelt, ist klar, dass man mit einer solchen Totalverweigerung gegenüber den genauso unangenehmen wie notwendigen Abwägungen keinen Staat machen kann. Eine wichtige Frage dagegen ist, ob sich wenigstens der Staat mit diesen unangenehmen Abwägungen beschäftigt. Jedoch scheint auch dort der rationale Teil des Gehirns von Corona in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein.

 

Alle wissen es, niemand beachtet es: Es sterben (fast) nur Rentner

 

Ich selbst würde mich in der Thematik nicht einmal als ein harter Gegner der Maßnahmen bezeichnen, oder gar als ein Leugner des Virus und seiner Gefährlichkeit. Kurz nach dem Bekanntwerden der ersten großen statistischen Analyse der Toten in Wuhan vor inzwischen gut einem Jahr habe ich sogar in kritischer Weise darauf hingewiesen, dass die Altersstruktur der Coronatoten wie die Faust aufs Auge der deutschen Rentenlücke passt. Darin enthalten war die Befürchtung, dass es der Regierung womöglich gelegen kommen könnte, der infektionsbedingten Selektion einen etwas zu freien Lauf zu lassen. Denn auf diese Weise könnte sie sich mit der bestehenden Finanzierungslücke in den Renten- und Pensionskassen des Landes ohne einen Finger zu rühren eines chronischen finanziellen Problems entledigen.

Aufgrund dieses bedeutenden finanzwirksamen Aspekts der Pandemie ist es meines Erachtens sicher, dass eine ehrliche und rein(!) volkswirtschaftliche Gegenüberstellung von Beschränkungen auf der einen Seite und dem Nichtstun gegenüber der Verbreitung des Virus auf der anderen, unzweifelhaft heraus käme, dass letzteres die billigere Option wäre. Doch viel mehr noch, ich bin der Überzeugung, dass selbst unter Ausblendung dieser moralisch mehr als zweifelhaften Teilrechnung am Ende nicht viel übrig bliebe, was für die Beschränkungen sprechen würde.

 

Klare Opportunitäten

 

Mit durchschnittlich zehn Jahren verlieren deutsche Coronatote zwar sehr viel Lebenszeit, jedoch würden selbst gänzlich ohne Maßnahmen wahrscheinlich nicht mehr als 0,4% der Gesamtbevölkerung am Virus sterben (bis dato starben knapp 0,1%). Gänzlich ohne Maßnahmen müsste jeder Mensch in Deutschland durchschnittlich ziemlich genau zwei Wochen (14,6 Tage) an Lebenszeit einbüßen. Im Einzelfall mag es zwar sehr viel mehr sein. Doch im Vergleich zum Verlust an Lebenszeit aufgrund der psychologischen Folgen des Eingesperrt seins, aufgrund des Wiedererwerbs verlorener Einnahmen und Ersparnisse, sowie aufgrund der Unmöglichkeit für Kinder, in den wohl bedeutsamsten Jahren ihr Sozialleben zu erlernen und so weiter, hinterlassen die zwei Wochen Verlust ohne Maßnahmen gegen Corona kaum den Eindruck, als seien sie dramatischer als die Versuche, deren Verlust zu verhindern.

Das eklatante Missverhältnis der von der Politik gegangenen Opportunität in Relation zu ihren Alternativen tritt genau dann ganz besonders zu Trage, wenn man sie ins Verhältnis zu den 353,3 Milliarden Euro an “haushaltswirksamen Maßnahmen” setzt, welche alleine die Bundesregierung zur Abmilderung der negativen wirtschaftlichen Folgen aufgrund der Beschränkungen bereitstellen will. Abgesehen davon, dass es noch weitere Regierungsebenen mit eigenen Budgets gibt, entsprechen alleine die Bundesausgaben wegen Corona pro Kopf 4.253 Euro. Auf jeden durchschnittlich verlorenem Lebenstag entfallen damit pro Person 303 Euro und auf ein Jahr hochgerechnet ergibt sich ein Preis von 106.000 Euro für jeden Deutschen.

Zum Vergleich: Das pro Kopf BIP Deutschlands lag 2019 bei 41.508 Euro und sank im letzten Jahr wegen der Beschränkugnen um fast 1.500 Euro. Der hochgerechnete Realwert der geplanten finanzwirksamen Regierungsmaßnahmen entspricht damit dem 2,6-fachen des eigentlichen BIP. Berücksichtigt man in dieser Gegenüberstellung überdies alle Coronatoten, die trotz der Maßnahmen gestorben sind, dann landen wir beim Faktor 3,6 für den Barwert aller coronabezogenen Ausgaben des Bundes relativ zum BIP. Alleine schon daraus wird meines Erachtens deutlich, dass der gegangene Weg auf einer geradezu dramatischen Milchmädchenrechnung beruhen muss.

Noch deutlicher wird es mit einem Szenario ohne jegliche Maßnahmen, in dem im Gegenzug den Hinterbliebenen von nachweislichen(!) Coronatoten eine Entschädigungspauschale von 100.000 Euro ausbezahlt wird. Im Schlimmstfall müssten in diesem Szenario mit Kosten von bis zu 35 Milliarden Euro gerechnet werden. Rein zufällig entspräche dies fast genau einem Zehntel dessen, was die Bundesregierung zur Abmilderung der negativen Folgen der Beschränkungsmaßnahmen auszugeben plant. (Bezieht man den Alters- bzw. Rentnerfaktor mit ein, dann wären die Entschädigungszahlungen sogar mindestens kostenneutral.)

Daraus lässt sich schließen, dass für die Pandemiebekämpfung selbst in der konservativsten aller Betrachtungsweisen ein exorbitant überhöhter Preis bezahlt wird. Mehr noch, das Missverhältnis deutet an, dass sehr wahrscheinlich jede Opportunität gesellschaftlich vorteilhafter wäre als jene, die gegangen wird. Aus dieser Perspektive ist denn auch kaum verwunderlich, dass einige regierungskritische Kommentatoren heute das Totenglöcklein für Deutschalnd läuten.

 

Überall das gleiche Schweigen

 

Diese für jeden halbwegs intelligenten Menschen eigentlich offensichtlichen Zusammenhänge werden jedoch gänzlich ignoriert oder augenblicklich als Nazidenke zur Seite geschoben, sobald sie jemand einmal anzusprechen wagt. Keine Regierung der westlichen Welt, weder auf oberster Ebene, noch regional, hat bislang eine derartige Kosten-Nutzen-Rechnung vorgelegt. Das fällt allmählich auf, nun da die negativen Folgen ganz langsam zu immer mehr Menschen durchdringen, die aufgrund der Coronamaßnahmen ihre davor prosperierende Existenz verloren haben oder kurz davor stehen.

Die Inexistenz von öffentlich einsehbaren Regierungsanalysen zur Frage von Kosten und Nutzen der Coronamaßnahmen, wie auch die Abwesenheit einer öffentlichen Debatte darüber, deutet darauf hin, dass den politisch und medial Verantwortlichen offenbar sehr klar sein muss, wie die Rechnung ausgehen würde. Oder wie ein Ideologieexperte beim Wall Street Journal meint:

„Wären die Beschränkungen kosteneffektiv, dann sollte ein Regierungsdokument in der Lage sein, dies zu beweisen. Keine Regierung hat bislang ein solches Dokument erstellt, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass den Verantwortlichen völlig klar ist, welches Ergebnis herauskommen würde.“

Dieser Satz stammt zwar von einem gelernten Geisteswissenschaftler, allerdings erklärt er seine zunehmenden Zweifel an der politischen Kompetenz in der westlichen Welt durchaus konsistent. So ist kaum irgendwo zu beobachten, wie trotz der Zunahme der Informationsqualität über den Virus im Verlauf des letzten Jahres eine politische Reaktion folgte, die interpretiert werden könnte als eine Konsequenz aus dem besseren Verständnis über den Virus und seiner epidemischen Eigenschaften. Jede autonom regierte Region, die sich um etwas kausale Konsistenz bemüht, wie derzeit beispielsweise Texas, das die Pandemie für beendet erklärte, wird sofort in heftigster Weise medial angegriffen wird, um es möglichst zurück auf Linie zu bringen.

Die Ausnahme von Anfang an in der globalen Pandemie bildete das dauerhaft kritisierte Schweden. Einige linke Mainstream Blätter – die das linksliberale System des Landes davor kaum höher loben konnten – betitelten den dortigen Weg mitunter gar als ein „Experiment für Menschenopfer“, als handele es sich um einen Rückfall in das 8. Jahrhundert vor Christus.

Inzwischen wissen wir, dass Schweden heute bei den Toten nicht weniger schlecht dasteht als der Rest der EU. Ganz ähnlich stechen auch die global wenig beachteten Georgia oder South Daktota in keinster Weise aus dem Pulk der übrigen 48 Bundesstaaten der USA heraus, obwohl es dort kaum Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona gab.

Alle statistischen Werte zeigen heute, über ein Jahr nach Beginn der Pandemie und des Kampfes dagegen, dass die Maßnahmen unabhängig von ihrer Dramatik und spezifischen Ausprägung kaum eine Wirkung zeigten im Hinblick auf ihren ursprünglichen Zweck einer „Abflachung der Kurve“. Was die Maßnahmen aber eindeutig hinterließen ist eine Schneise der wirtschaftlichen Zerstörung, die uns noch lange beschäftigen wird. Also uns alle, außer Schweden und das Paar an Abweichlern in den USA.

Quelle Titelbild

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