Horst D. Deckert

World Happiness Report 2020: Die Pandemie drückt aufs Gemüt.

Der World Happiness Report wird jährlich vom Sustainable Development Solutions Network der Vereinten Nationen veröffentlicht und versucht, die Lebenszufriedenheit in verschiedenen Ländern der Welt zu vergleichen. Der Bericht basiert auf willkürlichen statistischen Erhebungen und nicht auf repräsentativen Befragungen zum subjektiven individuellen Befinden der Menschen.

Die Bewertungskriterien sind selektiv und lassen wichtige Faktoren, wie z.B. politische Zustände, unberücksichtigt. Der diesjährige Bericht geht besonders auf die Auswirkungen der Pandemie ein und folgt weitgehend dem offiziellen Corona-Narrativ. So vertreten die Autoren die Position, dass strenge und weitreichende Massnahmen zur Unterbindung des Infektionsgeschehens notwendig und zielführend sind. Wir haben die Zusammenfassung des Reports ins Deutsche übersetzt.

Einleitung d. Redaktion, CS

World Happiness Report 2020

2020 war ein Jahr wie kein anderes. Dieser Bericht hält fest, wie es den Menschen auf der ganzen Welt während der Pandemie ergangen ist. Unser Ziel war zweierlei: Erstens, die Auswirkungen von Covid-19 auf die Lebensstruktur und -qualität der Menschen festzuhalten; und zweitens, zu beschreiben und zu bewerten, wie Regierungen weltweit mit der Pandemie umgegangen sind. Insbesondere versuchen wir zu erklären, warum einige Länder so viel besser abgeschnitten haben als andere.

Die schlimmste Auswirkung der Pandemie waren die 2 Millionen Todesfälle durch Covid-19 im Jahr 2020. Mit dem Anstieg der weltweiten Todesfälle um fast 4% geht ein gravierender Verlust an sozialem Wohlstand einher; es bedeutet grössere wirtschaftliche Unsicherheit, Angst, Störungen in allen Lebensbereichen und für viele Menschen Stress und Herausforderungen für die psychische und physische Gesundheit.

Zufriedenheit, Vertrauen und Todesfälle im Covid-19-Jahr

Die Daten der Gallup World Poll werden für Europa durch die separaten Eurobarometer-Umfragen und mehrere nationale Umfragen bestätigt: Die Situation hat sich im Jahr 2020 gegenüber 2017-2019 in einzelnen Ländern stark verändert, aber nicht so stark, dass sich die Rangfolge wesentlich verändert hätte. Die gleichen Länder bleiben an der Spitze. Insgesamt legten die Menschen eine überraschende Widerstandsfähigkeit an den Tag.

Das erste Covid-Jahr wirkte sich stärker auf den Bereich der Emotionen als auf die Lebenszufriedenheit aus: Die emotionale Lage verschlechterte sich während des Lockdowns stärker, erholte sich aber schnell, wie grosse Stichproben von Daten aus Grossbritannien zeigen. Weltweit betrachtet gab es keine allgemeine Veränderung bei den positiven Affekten, aber einen etwa 10-prozentigen Anstieg der Anzahl Menschen, die sagten, sie seien am Vortag besorgt oder traurig gewesen.

Vertrauen und die Fähigkeit, sich auf Andere verlassen zu können, sind wichtige Stützen für die Lebenszufriedenheit, insbesondere angesichts von Krisen. Das Gefühl, dass man seine verlorene Brieftasche zurückbekommt, wenn sie von einem Polizisten, einem Nachbarn oder einem Fremden gefunden wird, wird als wichtiger für das Glücksempfinden eingeschätzt als Einkommen, Arbeitslosigkeit oder grössere Gesundheitsrisiken.

Der Faktor Vertrauen ist besonders bedeutsam, um die deutlichen Unterschiede in den internationalen Covid-19-Todesraten zu erklären: Diese waren in Amerika und Europa wesentlich höher als in Afrika, Ostasien, Australien und Ozeanien.

Fast zur Hälfte sind die Unterschiede in den Sterberaten auf die Altersstruktur der Bevölkerung zurückzuführen (Covid-19 ist für alte Menschen viel tödlicher); darauf, ob das Land eine Insel ist; und auf die Infektionsrate in den jeweiligen Nachbarländern zu Beginn der Pandemie. Unabhängig von den anfänglichen Umständen bestand die effektivste Strategie gegen Covid-19 darin, die Ausbreitung auf null zu bringen und so zu halten. Länder, die diese Strategie verfolgten, hatten Todesraten nahe null und konnten zweite Sterbewellen vermeiden.



Folgende Faktoren erwiesen sich als erfolgreich in der Bekämpfung von Covid-19:

  • Vertrauen in öffentliche Institutionen. Bei vertrauenswürdigen öffentlichen Institutionen war es wahrscheinlicher, dass sie die richtige Strategie wählten und die Bevölkerung die erforderlichen Massnahmen unterstützte. So war beispielsweise die Sterberate in Brasilien viel höher war als in Singapur, wo ein stärkeres öffentliches Vertrauen vorherrscht.
  • Einkommensungleichheit. Diese verhält sich teilweise wie ein Stellvertreter für soziales Vertrauen und erklärt 20% des Unterschieds in den Sterberaten zwischen Dänemark und Mexiko. Ein weitere Möglichkeit, soziales Vertrauen zu eruieren, ist die Rückgabeerwartung für verlorene Geldbörsen, die von Nachbarn oder Fremden gefunden werden. Je grösser das soziale Vertrauen, desto weniger Todesfälle.
  • ob das Land die Lehren aus früheren Pandemien (z.B. SARS) gezogen hatte.
  • ob die Regierung von einer Frau geführt wird.

Was wir von Ostasien lernen

Fallstudien über Ostasien, Australien und Neuseeland zeigen uns, inwiefern test and trace, Isolierung und Reiseverbote dazu beitrugen, das Virus unter Kontrolle zu halten. Wir analysierten auch die Reaktionen der BürgerInnen und fanden heraus, dass die Strategien ihre Wirkung besser entfalten können, wenn die Menschen willfährig sind (wie in Ostasien) oder eher freiheitsorientiert (wie in Australien und Neuseeland). In Ostasien, wie auch anderswo, zeigte sich, dass sich die allgemeine Stimmungslage verbesserte, wenn die Regierung spürbar handelte.

Der Erfolg der asiatisch-pazifischen Länder, die Zahl der Todesfälle niedrig zu halten, war nicht mit grösseren wirtschaftlichen Kosten verbunden. Tatsächlich hatten die Länder mit den meisten Todesfällen auch die grössten Rückgänge im BIP pro Kopf (r = 0,34). Wir hatten 2020 also keine Wahl zwischen Gesundheit und erfolgreicher Wirtschaft. Der Weg zum Erfolg in beiden Punkten führte über das schnelle, entschlossene Eingreifen ins Infektionsgeschehen (Tests, Rückverfolgung und Quarantäne der Gefährdeten) sowie über persönliche Hygiene (einschliesslich Masken) und die Isolation von internationalen Reisenden.

In Festlandchina und anderen ostasiatischen Regionen führte der Anstieg der täglichen Fallzahlen zu geringerer Zufriedenheit bzw. grösserer negativer Betroffenheit in der Bevölkerung. Strengere Mobilitätskontrollen und social distancing-Massnahmen konnten diesen Effekt jedoch erheblich ausgleichen.

Anfang 2020 waren die ostasiatischen Länder aufgrund ihrer früheren Pandemie-Erfahrungen besser vorbereitet, um zu handeln. Mitte 2020 war die internationale Beweislage jedoch eindeutig — man muss das Virus unterdrücken. Aber im Sommer öffnete sich der Westen und erlebte eine zweite Infektionswelle, die genauso schlimm war wie die erste.

Die asiatisch-pazifische Erfolgsstrategie

Die asiatisch-pazifische Region erzielte im Vergleich zur nordatlantischen Region bemerkenswerte Erfolge in der Pandemiekontrolle, mit weitaus niedrigeren Sterblichkeitsraten und einer erfolgreicheren Implementierung von nicht-pharmazeutischen Interventionen (NPIs, z.B. Grenzkontrollen, Gesichtsmasken, social distancing, ausgedehntes Testen, Kontaktverfolgung und Quarantäne).

In dieser Weltregion konnten NPIs erfolgreich umgesetzt werden, weil sie sowohl von oben nach unten funktionierten, indem die Regierungen eine strenge Kontrollpolitik vorgaben, als auch von unten nach oben, indem die Öffentlichkeit die angeordneten Massnahmen mittrug.

Die individualistischere Kultur der nordatlantischen Länder und die relative Lockerheit ihrer sozialen Normen könnten zu einer geringeren öffentlichen Unterstützung für NPIs beigetragen haben. Das Beharren auf «persönlicher Freiheit» und die Forderung nach Privatsphäre in den nordatlantischen Ländern führten dazu, dass manche Menschen zögerten, Massnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens — z.B. die Ermittlung von Kontaktpersonen — zu befolgen.

Auch der Mangel an wissenschaftlichen Kenntnissen in der Bevölkerung der nordatlantischen Länder hat zum Scheitern einer effektiven Pandemiebekämpfung beigetragen, da die Öffentlichkeit die Epidemiologie der Pandemie nicht versteht und anfällig für falsche Informationen und fake news ist.

Psychische Gesundheit in der Pandemie

Die psychische Gesundheit litt nicht nur unter der Pandemie, sondern auch unter den daraus resultierenden Lockdowns. Der Ausbruch der Seuche führte in vielen Ländern zu einem starken und unmittelbaren Rückgang der psychischen Gesundheit. Die Schätzungen variieren je nach verwendetem Massstab und Land, aber die Ergebnisse sind bemerkenswert ähnlich. So stieg die Zahl der gemeldeten psychischen Probleme in Grossbritannien im Mai 2020 um 47%.

Die schnelle Verschlechterung der psychischen Gesundheit betraf am stärksten jene Gruppen, die häufiger an psychischen Problemen leiden — Frauen sowie junge und ärmere Menschen. Somit verstärkten sich bestehende Ungleichheiten beim psychischen Wohlbefinden.

Auf den anfänglich drastischen Niedergang der durchschnittlichen psychischen Gesundheit folgte zwar ein erheblicher Aufschwung; jedoch nicht zurück auf den Ausgangswert. Ein signifikanter Anteil der Menschen (22% in Grossbritannien) war anhaltend und signifikant in schlechterer psychischer Verfassung als vor Covid.

Der Bedarf an psychischer Fürsorge ist gestiegen, gleichzeitig ist die Gesundheitsversorgung in vielen Ländern unterbrochen. Dies ist gravierend, insbesondere, weil die Pandemie wahrscheinlich bleibende Auswirkungen auf die jüngere Generation haben wird.

Positiv zu vermerken ist, dass die Pandemie das Thema psychische Gesundheit wie nie zuvor ins Licht der Öffentlichkeit gerückt hat. Dieses gesteigerte öffentliche Bewusstsein kann der zukünftigen Forschung und der dringend notwendigen Verbesserung der Gesundheitsdienste zugute kommen.

Soziale Bindungen und Wohlbefinden

Social distancing und Selbstisolierung sind wesentliche Elemente der Covid-Politik. Sie stellten erhebliche Herausforderungen für den zwischenmenschlichen Austausch dar, der für unsere Zufriedenheit so entscheidend ist. Eine Abnahme des Verbundenheitsgefühls, Einsamkeit und weniger soziale Unterstützung führten zu einem Rückgang der Zufriedenheit bei vielen Menschen.

Bestimmte positive Funktionen erwiesen sich als hilfsreich, um das Gefühl der Verbundenheit zu bewahren: Dazu gehören Dankbarkeit, Lebensmut, bereits bestehende Beziehungen, ehrenamtliche Arbeit, Sport oder Haustiere sowie Aktivitäten, die für «flow» sorgen.

Gleichermassen stellten wir negative Faktoren fest, die sich als abträglich für das Wohlbefinden erwiesen: frühere psychische Erkrankungen, Gefühle der Unsicherheit und ein Mangel an geeigneter digitaler Vernetzung. Es ist klar, dass digitale Vernetzung hochwichtig ist und digitale Programme zur Förderung der psychischen Gesundheit vieler Menschen gefördert haben.

Arbeit und Wohlbefinden

Schätzungen zufolge ist das globale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 um etwa 5% geschrumpft, was die grösste Wirtschaftskrise seit einer Generation darstellt. In vielen Ländern blieben die offenen Stellen bis Ende Jahr ca. 20% unter dem normalen Niveau. Junge Menschen, Geringverdiener und Geringqualifizierte waren zudem häufiger von Arbeitsausfällen betroffen oder verloren ihren Arbeitsplatz ganz.

Nicht arbeiten zu können, hat sich negativ auf das Wohlbefinden ausgewirkt. Die Arbeitslosigkeit während der Pandemie hat mit dem 12%-igen Rückgang der Lebenszufriedenheit und einem 9%-igen Negativeffekt auf die affektive Befindlichkeit zu tun. Bei Nichterwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt liegen diese Werte bei 6,3% bzw. 5%. Während junge Menschen generell über ein geringeres Wohlbefinden berichten als andere Altersgruppen, belastet sie das Wegfallen der Arbeit weniger als die älteren Kohorten, was darauf hindeutet, dass sie möglicherweise optimistischer in Bezug auf ihre zukünftigen Arbeitsmarktchancen sind. In Ländern mit grösserer Arbeitsmarktsicherheit wurde das allgemeine Wohlbefinden weniger beeinträchtigt.

Für diejenigen, die weiterhin arbeiten konnten, sind die Auswirkungen unterschiedlich. In den USA ging die Zufriedenheit am Arbeitsplatz kurz vor der Erklärung des bundesweiten Notstands im März zurück, verbesserte sich aber schnell wieder. Dies deutet darauf hin, dass (a) glücklichere Arbeitnehmer eher ihren Arbeitsplatz behalten haben, (b) sich die Bezugsgruppen der Arbeitnehmer verändert haben oder (c) die Arbeitnehmer, die weiterhin beschäftigt waren, von vornherein eher in der Lage waren, von zu Hause aus zu arbeiten und daher weniger negativ betroffen waren.

Unterstützung vonseiten der Betriebsführung und Arbeitsplatzflexibilität sind während der Pandemie zu noch wichtigeren Faktoren für das Wohlbefinden am Arbeitsplatz geworden. Zielsetzung, Leistung und Lernen am Arbeitsplatz haben hingegen an Gewicht verloren. Die Bedeutung anderer Faktoren (Vertrauen, Unterstützung, Einbeziehung, Zugehörigkeit usw.) ist jedoch unverändert geblieben, was darauf hindeutet, dass Faktoren, die das Wohlbefinden am Arbeitsplatz in normalen Zeiten unterstützen, auch die Widerstandsfähigkeit in schwierigen Zeiten fördern.

Soziale Unterstützung kann vor den negativen Auswirkungen des Arbeitsausfalls schützen. In Grossbritannien war der negative Effekt auf die Lebenszufriedenheit bei einsamen Arbeitnehmern um 40% stärker ausgeprägt als zu Beginn. Beurlaubung hilft, kann aber die negativen Effekte des Arbeitsausfalls nicht vollständig kompensieren. Freigestellte Arbeitnehmer erlebten — auch ohne Einkommenseinbussen — einen signifikanten Rückgang der Lebenszufriedenheit im Vergleich zu denen, die weiter arbeiteten.

Die Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitswelt werden wahrscheinlich andauern. Erfahrungen aus vergangenen Rezessionen und frühe Forschungsergebnisse aus der aktuellen Pandemie deuten darauf hin, dass junge Menschen, die unter schlechteren makroökonomischen Bedingungen aufwachsen, im Erwachsenenalter eher nach finanzieller Sicherheit streben. Die Verlagerung zur Fernabeit wird wohl noch lange nach Abklingen der Krise anhalten. Sie wird Arbeitnehmern in der Zukunft mehr Flexibilität und Kontrolle über ihr Arbeitsleben ermöglichen, allerdings auf die Gefahr hin, das soziale Kapital am Arbeitsplatz zu verlieren.

Lang leben und gut leben: der WELLBY-Ansatz

Um sozialen Fortschritt zu bewerten und eine effektive Politik zu auszuarbeiten, müssen wir sowohl die Qualität als auch die Länge des Lebens erfassen. Gesundheitsökonomen verwenden hierzu das Konzept der qualitätsbereinigten Lebensjahre, aber sie berücksichtigen nur die gesundheitsbezogene Lebensqualität des einzelnen Patienten. Im well-being-Ansatz betrachten wir das gesamte Wohlbefinden, egal wer es erfährt und aus welchem Grund: Politische Entscheidungsträger sollten das Ziel haben, die Well-Being-Adjusted Life-Years (oder WELLBYs) aller Menschen zu maximieren.

Dieser Ansatz misst dem Geld im Verhältnis zum Leben einen geringeren Wert bei als üblich. Auch können wir damit den menschlichen Fortschritt messen, indem das durchschnittliche Wohlbefinden mit der Lebenserwartung multipliziert wird. Demgemäss stieg die WELLBY-Rate pro Person in den Jahren 2006-2008 und 2017-19 um 1,3%, was auf die höhere Lebenserwartung zurückzuführen ist, insbesondere in den weniger gesunden Ländern. Das heisst, dass die weltweite Ungleichheit zurückgegangen ist und auch 2020, trotz Covid-19, auf einem niedrigeren Level blieb.

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