Horst D. Deckert

Wurde Petra Pau als Kind von der Stasi als Spitzel missbraucht?

Gestern – oder eher heute in den frühen Morgenstunden – hat sich Hadmut Danisch auf seinem Blog wieder einmal mit Küchenpsychologie beschäftigt. Es ging um Petra Pau von der Linkspartei und ihre seit einigen Jahren bestehenden Stimmprobleme. Er verknüpfte diese mit dem durchaus hintersinnigen Gedanken, dass ihre Stimmbänder irgendwann nicht mehr bereit waren, die vielen Lebenslügen in die Welt zu kommunizieren, wie sie im sozialistischen Weltbild zwangsläufig auftreten.

Nachdem ihn ein Leser auf einige stimmliche Details der DDR-Lehrerausbildung aufmerksam gemacht hatte und dabei Paus ungewöhnliche Stimme ansprach, war meine Neugierde geweckt und ich habe mich bei YouTube auf die Suche nach vorher/nachher Videos gemacht. Zufällig bin ich dabei über etwas potenziell sehr verstörendes gestoßen.

 

Ein ARD Interview mit Passanten in Ostberlin aus dem Jahr 1978

 

Eines der Videos in der Vorschlagleiste neben Petra Paus Stimmbeispielen war ein kurzes Video betitelt mit „Interviews mit DDR-Bürgern zu den Errungenschaften des Sozialismus, 1978“. Da derlei kleine zeitgeschichtliche Schnipsel stets interessant sind, habe ich es mir kurz angesehen.

 

 

Ich kann nicht beurteilen, wann genau die Aufnahmen entstanden sind, vermute aber, dass es anlässlich eines FDJ-Aufmarschs in der Stadt war, da an einer Stelle im Hintergrund gehisste blaue FDJ-Fahnen zu sehen sind (0:20). Definitiv sicher ist, dass es auf dem Alexanderplatz war, was an einer der Hochhausfassaden erkennbar ist (0:18).

Der Reporter stellte Passanten aller Altersgruppen ein paar kurze Fragen nach den Errungenschaften des Sozialismus in der DDR: Was die Bürger gut fänden, inwiefern sie vom System profitieren und wo sie Verbesserungsbedarf sähen.

Die Antworten waren zumeist neutral bis positiv, einige spulten Propagandaversatzstücke ab. Ob sie das gesagte ernst meinten und was sie verschwiegen, ist wie immer eine andere Frage. Nicht weniger unbekannt muss bleiben, wie viele der Befragten zur Partei gehörten und welche tatsächlich nur zufällig vor die Kamera geraten sind. Anhand der Antworten lässt sich aber recht gut abschätzen, wer vermutlich dazu gehört hat und wer nicht.

 

Man achte auf die Blicke der Umstehenden

 

Während oberflächlich alles geordnet und zivilisiert abläuft, lässt sich die Perfidie des DDR-Systems dennoch an einigen kleinen Randdetails ablesen. Hierfür lohnt es sich, den Clip einige Male anzusehen und dabei auf die Umstehenden in Relation zum Gesagten zu achten.

Bei diesen handelt es sich vor allem um Jugendliche, die scheinbar dem natürlichen Verhaltensmuster neugieriger Kinder folgen und um die Kamera schwärmen. Betrachtet man das Verhalten einiger der Jugendlichen jedoch relativ zur gestellten Frage des Reporters, dann zeigt sich ein Muster, das bei Kindern alles andere als natürlich sein sollte.

Es sieht nämlich ganz danach aus, als würden einige von ihnen vor allem immer dann zur Kamera drängen, wenn die Frage nach dem Verbesserungsbedarf gestellt wird. Sie interessieren sich dabei aber weniger für die Kamera, sondern in erster Linie für den Interviewer und versuchen, näher an diesen heranzukommen. Achtet man auf die Gesichter, dann lässt sich ablesen, dass sie nicht schauen, sondern angestrengt zu hören versuchen, was der Mitbürger über die Mängel in der DDR zu sagen hat.

Aufgefallen sind mir dabei vor allem vier junge Menschen, drei Mädchen und ein Junge, wobei das rothaarige Mädchen rechts unten auf der Fotocollage durchaus auch ein Junge sein könnte. Manchmal erkennt man das nicht so recht, wenn der Bartwuchs oder sonstige Merkmale noch nicht präsent sind. Vielleicht einfach etwas intensiver hinsehen bei dem Kind, möglicherweise erkennt der ein oder andere dann das Geschlecht.

 

 

Interessant an dem rothaarigen Kind sind gleich mehrere Aspekte. Einmal lauscht es von den Zuhörern am intensivsten, jedenfalls deutet der Gesichtsausdruck darauf hin. Dann ist es vermutlich das jüngste unter den Kindern. Dem Anschein würde ich es bei 13 Jahren einordnen plus minus zwei Jahre. Nicht zuletzt trägt es eine Fahne bei sich, gehört also zum Aufmarsch und hat eine Funktion inne. Allzu viel Bedeutung hat letzteres allerdings nicht. Manch einem gibt man nur deswegen etwas in die Hand, damit derjenige sonst nichts anfassen kann.

Am wichtigsten aber ist, dass das rothaarige Kind gleich bei zwei Interviews mitlauscht. Einmal bei dem Interview, das oben auf dem Foto abgebildet ist (1:14) und dann noch ganz zu Beginn, bzw. beim zweiten Interview (0:17). Das Kind war das erste bei den Umstehenden und es begleitete den ARD-Reporter offenbar die ganze Zeit über.

Müsste ich spekulieren, dann war das Kamerateam zunächst alleine, wurde dann aber von einem zivilen Stasimitarbeiter entdeckt, der daraufhin sofort einige Kinderspitzel dorthin disponiert hat. (Der Stasimitarbeiter lässt sich übrigens an seiner unauffällig auffälligen Kleidung festmachen.) Die erste am Tatort der Berichterstattung war dann der kleine Rotschopf mit Fahne, siehe dieses Foto:

 

 

War das Mädchen Petra Pau?

 

Falls der Groschen noch nicht gefallen ist: Der Rotschopf sieht für mich aus wie Petra Pau.

Laut Biografie ist Pau Jahrgang 1963 und wuchs in Ostberlin auf. Zur Zeit des Interviews war sie entweder 14 oder 15 Jahre alt, und an dem Tag sehr wahrscheinlich auch in Berlin. Nicht weniger passt die Fahne ins Bild, da Pau vermutlich schon als Kind in die FDJ eintrat und dort in der Hierarchie vermutlich schon früh am aufsteigen war (siehe die spätere Karriere dort). Nicht jeder darf Fahnenträger werden.

Nur die Besten dürfen das – naja, und bei Bedarf noch die doppelten Linkshänder. Die herausragende Position von Pau lässt sich auch daran ablesen, dass die anderen Kinder mindestens drei Jahre älter waren als sie. Wer selbst schon einmal Kind war, der weiß um das Privileg, “mit den Großen” herumhängen zu dürfen.

 

Der Missbrauch von Kindern als System

 

Als die eigentliche Handlerin der Stasispitzelkinder sehe ich dabei nicht den jungen Mann mit Schnäuzer und Kunstlederjacke, sondern die bebrillte Arbeiterakademikerin am Ende des Clips. Vermutlich war sie es, die vom Stasi-Agenten kontaktiert wurde, woraufhin sie die kleine Petra vorschickte, um sich dann gemeinsam mit ein paar anderen ebenso auf den Weg zum Interview zu machen.

Mit ihrer Biografie und dem persönlichen Erfolg im Sozialismus (und dem Haarschnitt) bringt die bebrillte junge Dame alles mit, was es braucht, um junge Talente in angemessener Weise an ein Leben als Käfigwächter heranzuführen. Ich wüsste zu gerne, wer die Frau ist und was aus ihr wurde.

Für mich jedenfalls zeigt das Interview keine verhältnismäßig zufriedene DDR-Bürger, die umringt werden von neugierigen Kindern. Vielmehr lauert da ein Zwangsapparat unmittelbar unter der bunten Oberfläche, bei dem Kinder über den Winkelzug von Locken und Versprechungen in einer Weise zu scharfen Hunden abgerichtet werden, wie man es sonst nur beim organisierten Verbrechen oder Sekten erlebt.

Ob es am Ende diese vom Sozialismus zerschundene Biografie war, die Petra Pau ihre Stimmprobleme beschert hat, kann ich nicht beurteilen. Ich würde mich aber nicht wundern.

Den Erfolg der aktuellen sozialistischen Stadtregierung Berlins lässt sich an dem Clip übrigens ebenso ablesen. Wie damals vor über 50 Jahren ist das drängendste Problem der Stadt heute erneut jenes der fehlenden Wohnungen.

Quelle Titelbild, Screenshots

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