Ich dachte erst, dass jetzt wieder eine Symbolschlacht beginnt, als ich das Z auf einem Foto sah. Geht es um das Z, das die russischen Militärfahrzeuge ‚schmückt‘, die in der Ukraine Krieg führen? Dann lief es mir kalt den Rücken runter. „Z“ ist ein Film über den ‚schleichenden‘ Übergang von einer Viertel-Demokratie zur Militär-Diktatur. Costa Gavras hat Regie geführt, den ich für einen der genialsten Filmemacher halte. Einer der besten Filme, wenn man die verängstigte und kleinmütige Gegenwart für ein paar wunderbare Augenblicke verlassen will/muss. Von Wolf Wetzel
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Dieser Film ist ganz besonders. Wir haben ihn in den 1970er Jahren gesehen, vielleicht sogar rund um den „Deutschen Herbst“ 1976/77, als der Traum vom anderen und nonkonformistischen Leben in Straßenkontrollen, Schießereien, Eskalationen und Hetzjagden auf alles, was man für Sympathisanten der RAF hielt, platzte.
Für uns, so um die 25 Jahre herum, war diese „bleierne Zeit“ (Margarethe von Trotta) eine Nummer, viele Nummern zu groß. Wir wussten weder, was gespielt wird, noch um was es wirklich ging.
Wir bekamen nur den Zug ab, den die Ereignisse erzeugten, den Sog, der alles mitriss. Lange Haare zu haben (als Mann) war Grund genug, angefeindet, kontrolliert zu werden. Wahrscheinlich war uns deshalb der Film „Z“ so nahe. Er spielt in Griechenland, kurz bevor sich eine Militärjunta 1967 an die Macht putschte, und dort die Hoffnungen auf ein wirklich freies Leben im Blut ertränkt wurden.
Die Opposition im Lande war machtlos gegen diese Gewaltorgie. Ein Terrorregime, das von fast allen europäischen Staaten unterstützt und begrüßt wurde. Es ging ihnen zusammen darum, etwas anders als Kapitalismus und Ausbeutung im Keim zu ersticken.
Die StudentInnen gehörten zur Opposition, die für die Militärs ein besonderes Hassobjekt darstellten.
Z – er lebt
Der Film „Z“ ist also in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Der ganz konkrete Anlass ist der Tod von Jean-Louis Xavier Trintignant, der in dem Film den Ermittlungsrichter spielt, der den Mord an dem oppositionellen liberalen Politiker, der auch ein NATO-Kritiker war, tatsächlich aufklären möchte. Die Anklagen laufen jedoch ins Leere, da u.a. mehrere Zeugen der Anklage unter „merkwürdigen“ Umständen ums Leben kommen. Der von allen Seiten behinderte Prozess wird schließlich durch den Militärputsch „erledigt“.
Vielen von uns prägte sich eine Sequenz des Filmes ein, die grotesk und ermutigend zugleich war: Schwer bewaffnete Soldaten umstellen den Campus der Athener Universität. Von dort dringt regimefeindliche Musik nach außen. Alle kennen diese Musik. Sie stammt von Mikis Theodorakis.
Die Militärs stürmen den Campus, dringen auf einen Innenhof vor und kommen dort zum Stehen. Sie schauen sich hektisch nach allen Seiten um, auf der Suche nach der inkriminierten Tonquelle. Dann zeigt ein Offizier aufgeregt mit dem Schlagstock nach oben, auf die Balustrade. Sofort rennen Soldaten die Treppen hoch und entdecken einen Lautsprecher, der an der Wand befestigt ist. In vollem Eifer reißen sie ihn herunter, treten ihn mit ihren Stiefeln zusammen. Die Musik verstummt augenblicklich. Die Kamera blickt in verschwitzte und zufriedene Soldatengesichter, als erneut irgendwoher regimefeindliche Klänge ertönen. Die Szene wiederholt sich. Wieder suchen die Militärs nach der Tonquelle, bis sie auch diesen Lautsprecher ausfindig machen und zum Schweigen bringen. Für ein paar Sekunden …
Diese Sequenz brannte sich bei uns ein und sollte uns Jahrzehnte später helfen.
Der Film endet mit einem gesprochenen Nachspann:
„Wie von der Erzählerin am Schluss zu hören, verboten die Militärs in einem Atemzug Männern das Tragen langer Haare, Miniröcke, Sophokles, Tolstoi, Euripides, das Gläserwerfen nach Trinksprüchen, Arbeitskämpfe bzw. Streiks, Aristophanes, Ionesco, Sartre, Albee, Pinter, Pressefreiheit, Soziologie, Beckett, Dostojewski, moderne Musik (Popmusik), Volksmusik, moderne Mathematik und den [Gebrauch des] Buchstaben „Z“. Im Griechischen bedeutet Ζεί, gesprochen Zi, „er lebt“. Dieser Satz wurde zu „Z“ verkürzt und von den Lambrakis-Anhängern nach dessen Ermordung als Losung benutzt.“ (Wikipedia)
Zwanzig Jahr später
Am 2.11.1987 passierte etwas Außergewöhnliches. Wie an jedem Jahrestag der Hüttendorfräumung auf dem geplanten Gelände der Startbahn West am Frankfurter Flughafen gingen nachts mehrere Hundert StartbahngegnenInnen zu einem „Nachtspaziergang“ an die inzwischen gebaute Startbahn West, die von einer hohen Betonmauer umgeben war, die von Nato-Drahtrollen gekrönt wurde.
Was eigentlich eine Mischung aus Ritual und Hartnäckigkeit geworden ist und Stunden später bereits vergessen war, wurde ein Novum in der Geschichte sozialen Bewegungen. Auf die vorrückenden Polizeibeamten wurde geschossen. Zwei Beamte starben, mehrere wurden verletzt.
Die Hessenschau vom 3.11.1987 berichtete darüber so:
„Guten Abend, meine Damen und Herren.
Frankfurter Innenstadt heute abend: Polizisten und Bürger trauern um zwei Polizeibeamte, die in der vergangenen Nacht an der Startbahn West in Frankfurt ermordet wurden. Ein spontan angesetzter Schweigemarsch, wie in vielen Städten der Bundesrepublik heute. Sprachlosigkeit, Entsetzen, Zorn, Bestürzung, Abscheu – die Empfindungen jedes einzelnen sind sehr unterschiedlich angesichts einer solchen Eskalation von Gewalt. Denn zum ersten Mal in der Bundesrepublik sind zwei Polizeibeamte bei einer politischen Demonstration ums Leben gekommen.
Es war gestern der 6. Jahrestag der Räumung des Hüttendorfes, auf dem Gelände der Startbahn West. Demonstranten kamen, wie immer eigentlich, Polizei war da, auch wie immer und trotzdem war gestern alles anders. Am Ende Schüsse, neun Menschen verletzt und zwei waren tot.“
Da niemand an einen Einsatz von Schusswaffen – auf Seiten der DemonstrantInnen – dachte, war der Schock und die Verwirrung groß. Hinzu kam eine nie dagewesene Repressionswelle mit Hunderte von Hausdurchsuchungen und zahlreichen Festnahmen. Mehrere Startbahngegner saßen in der JVA Preungesheim in Untersuchungshaft und warteten auf den Prozess.
Die StartbahngegnerInnen verfassten eine Plattform, in der sie ihre Positionen deutlich machten. U.a. anderem gehörte dazu die Rücknahme von belastenden Aussagen (Anna und Arthur-Kampagne). Wie aber konnte man diese Positionen über die Knastmauern bringen? Demonstrationen und Kundgebungen waren direkt vor dem Knast verboten.
Was tun?
Man diskutierte die verbliebenden Möglichkeiten in verschiedenen Gruppen. In einer kam „Z“ ins Gespräch. Man erinnerte sich an den Film „Z“ und die bereits erwähnte Sequenz. Die Adaption dieses historischen Beispiels gelang relativ schnell: Man baute Lautsprecher, die mit Booster, Kassettenrecorder und Motorradbatterie autark waren, um sie in Gang zu setzen, ohne selbst dabei zu sein.
Die Cassetten waren schnell besprochen. Eine Mischung aus Texten und Musik, die ganz direkt und ungestört die Gefangenen ansprechen und erreichen sollte. Auch die Platzierung der Lautsprecher war ein „Kinderspiel“, denn die äußeren Umstände spielten dabei wohlwollend mit. Der eine Lautsprecher wurde auf dem Gerüst eines Kirchturmes deponiert, der zweite auf dem Gerüst eines Wohnblockes, in dem vor allem Schließer wohnten. Somit konnten beide Seiten des Knastes beschallt werden.
Obwohl die Sendezeit auf fast 40 Minuten ausgelegt war, verstummte die Tonquelle auf der Schließerseite nach circa 20 Minuten. Gegenüber Reportern erklärte ein JVA-Beamter später seinen außerdienstlichen Einsatz. Er sei aus seinem Fenster auf das Gerüst gestiegen und habe die Box gesehen, die er dann mit dem Fuß vom Gerüst stieß. Auf die Frage, warum er diese Box nicht in Verwahrung genommen und der Polizei übergeben habe, antwortete dieser: Er habe die Aufschrift ‚Vorsicht! Nicht anfassen. Explosionsgefahr‘ gelesen und wollte kein Risiko eingehen.
Der ‚Sendeort‘ auf dem Kirchturm übertraf hingegen alle Erwartungen. Das Unerhörte prallte auf die Knastmauer. Diese rekapitulierte alles noch einmal, um Bruchteile einer Sekunde versetzt. So, als müsse sie sich des Wortlauts vergewissern, bevor sich das Unerlaubte überschlug. Die Szenerie nahm Fahrt auf. Im Knast wurde an verschiedenen Formen der Zustimmung gearbeitet. Kleidungsstücke und Zeitungen wurden angesteckt und durch die Gitterwelt nach draußen geworfen. Kleine und größere Feuerbälle schwebten nach unten, vorbei an kleinen handtuchgroßen Öffnungen, die man für Fenster halten sollte. Die mobilen Scheinwerfer auf den Wachtürmen suchten vergebens die Gegend ab. Und im rundum verglasten Wachturm konnte man einem Wächter dabei zuschauen, wie er zum Telefon griff, während ein Kollege durch den Knastlautsprecher laute Vermutungen äußerte: „Die haben einen Lautsprecherwagen …“
Auch der Pianist in der Kirche machte sich seine Gedanken. Er spielte Chopin, und sein Publikum war vom unreinen Klangbild so irritiert wie der Pianist selbst. Porzellanzartes vermischte sich mit harten Pogo-Klängen. Nachdem Chopin auch noch mit dem martialischen Stück ‚Bullenschweine‘ von Slime konfrontiert wurde, gab der Pianist auf. Die Situation bekam etwas Skurriles. Während um Chopin Gebrachte ratlos und mit Himmelsblicken vor der Kirche standen, zuckende Blaulichter an der Knastmauer von etwas noch nicht Gefasstem zeugten, um den gerechten Schlaf Gebrachte ‚Ruhe, verdammt noch mal, wir rufen die Polizei!‘ schrien, tönte von irgendwo oben, ruhig und unbeirrt eine Stimme, die sich an die Gefangenen richtete.
Titelbild: d13/shutterstock.com
Quellen und Hinweise:
- Z, Costa Gavras, 1969: youtube.com/watch?v=qq6ky_A0k0k
- Radio Preungesheim, aus: Tödliche Schüsse. Eine dokumentarische Erzählung, Wolf Wetzel. Unrast-Verlag, Münster, 2008: wolfwetzel.de/index.php/2009/05/17/buchvorstellung/