Glaubt man den Zahlen vom „Ukraine Support Tracker“ des IfW Kiel, sind seit Beginn der russischen Invasion insgesamt 85 Milliarden Euro an Hilfszusagen von westlichen Regierungen an die Ukraine getätigt worden. Große Teile dieser Gelder fließen dabei als direkte Finanzzuwendungen. Das ist bestenfalls fahrlässig, gilt die Ukraine laut Transparency International doch als das „korrupteste Land Europas“. Wer kontrolliert eigentlich die Verwendung dieser Zuwendungen aus Steuermitteln? Diese und andere Fragen wirft ein Artikel von Teresita Dussart vom französischen Portal France Soir auf, den unsere Leserin Maria Klahm-Rauscher dankenswerterweise für uns übersetzt hat.
Die Rückverfolgbarkeit von Geldern in die Ukraine geht immer mehr verloren.
Autor(en) Teresita Dussart, für FranceSoir
Veröffentlicht am 05. Juli 2022 – 14:00
CHRONIK – Die Nachricht vom Fall von Lugansk am vergangenen Sonntag fügt sich in die scheinbar unaufhaltsame Annexion des Ostens der Ukraine durch Russland ein. Bisher hat keine ukrainische Militäraktion das Vorrücken der russischen Truppen vereitelt. Trotz des enormen Waffenarsenals, das seit 2014 und insbesondere seit Februar 2022 an das Land übertragen wurde, sind die Ausrüstung veraltet und die ukrainischen Kämpfer unprofessionell. Während Volodymyr Zelensky weiterhin Waffen fordert, insbesondere die Zuteilung von 1% des NATO-Arsenals, stellt sich die Frage, was mit den bereits erhaltenen Waffen geschehen ist. In wessen Händen befinden sich diese Bestände und die milliardenschweren Spenden, die für die militärische Ausrüstung gewährt wurden?
Am 4. und 5. Juli findet in Lugano eine Konferenz über den Wiederaufbau der Ukraine statt, an der Ursula von der Leyen, der ukrainische Premierminister Denys Schmigal und der Präsident der Rada (ukrainisches Parlament) Ruslan Stefantschuk teilnehmen. Es geht um die Bereitstellung neuer Finanzmittel. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ihnen die Frage nach der Rückverfolgbarkeit der Gelder gestellt wird. Dieser Aspekt ist umso entscheidender, als die Verantwortung der Geberländer auf dem Spiel steht.
Laut einem Papier der europäischen Strafrechtlervereinigung Eucrim, “Krieg und Korruption in der Ukraine”, ist der Verteidigungssektor, der wichtigste Industriezweig des Landes, der an sich ausreichtén sollte, um ein respektables Sicherheitsniveau zu gewährleisten, seit jeher von Korruption untergraben. Die Organe zur Bekämpfung dieser Geißel, die bereits in Friedenszeiten ineffizient waren, sind definitiv abwesend. Unter internationalem Druck hatte die Ukraine, eines der korruptesten Länder der Welt (siehe: Die europäische Ukraine), im Jahr 2020 drei Antikorruptionsorgane geschaffen: den NABU (Nationales Amt für Korruptionsbekämpfung), die SAPO (Sonderstaatsanwaltschaft für Korruption) und schließlich den HACC (Hoher Sondergerichtshof gegen Korruption). Diese drei Stellen hatten überraschend ihre Arbeit aufgenommen, bis die Mitglieder des ukrainischen Parlaments, der Werchowna Rada, in der Zelenskys Präsidentenmehrheit sitzt, im Dezember 2021 die Ernennung des SAP-Staatsanwalts blockierten, dessen Vorsitzender heute in Lugano ist, um mehr westliche öffentliche Gelder für sein Land zu fordern. Das ist für den institutionellen Kontext, in dem die strategischen Hilfen und Waffen geliefert werden.
Die Hilfen kommen in Wellen. Eine, die ab 2014 beginnt, als die Obama-Biden-Administration ihre erste Ukraine-Operation durchführte, die zeitgleich mit den Ereignissen am Maidan Platz entstand. Eine Operation, die sich ab 2016 intensiviert und sich für andere Geber, insbesondere aus Frankreich, öffnet. Ab Januar 2022, als die Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland abgebrochen wurden und die Beschießung des Donbass durch ukrainische Bataillone sich verdoppelte, explodierte der Strom von Waffen und Finanzhilfen.
Der deutsche Wirtschafts-Think-Tank Kiel Institut hat ein Instrument zur Rückverfolgung der an die Ukraine gezahlten Hilfen geschaffen, mit dem ein Teil dieser Hilfen wieder rekonstruiert werden kann. Unter den fünfzehn größten souveränen Gebern im Zeitraum vom 24. Januar bis zum 24. Juni 2022 stehen natürlich die USA an erster Stelle. Das Land zahlte 10 Milliarden US-Dollar an nicht näher bezeichneter Finanzhilfe, weitere 10 Milliarden an humanitärer Hilfe und knapp 30 Milliarden Euro an militärischer Finanzhilfe. Zum Vergleich: Die Gesamtreserven der Ukraine im Jahr 2021 beliefen sich laut Weltbank auf 30,97 Milliarden US-Dollar. Zu dieser Summe käme ein weiteres Paket von 800 Millionen US-Dollar hinzu. Dies war die jüngste Zusage von Joe Biden, die er im Rahmen des NATO-Gipfels in Madrid am 28. Juni machte. Nur im Rahmen der öffentlichen US-Hilfe übersteigt die Summe bei weitem die Benchmark der größten Rettungspakete des Internationalen Währungsfonds (IWF), und es handelt sich um Zuschüsse, nicht um Kredite. Es handelt sich um Beträge, die nirgendwo in den öffentlichen Büchern des Empfängerlandes auftauchen. Die Europäische Union hat über drei ihrer Institutionen (Kommission, Rat und Europäische Investitionsbank) 15 Milliarden Euro zugesagt, von denen angeblich 6 Milliarden Euro tatsächlich ausgezahlt wurden, obwohl diese Information aufgrund der undurchsichtigen Buchführung für alles, was aus Brüssel kommt, nur sehr schwer zu bestätigen ist. Das ist praktisch die Summe aller Hilfen, die von der EU im Jahr 2020 verteilt werden, allerdings zwischen mehreren Ländern, darunter die Türkei, Marokko, Indien, Syrien, Äthiopien, Ägypten, Somalia, Afghanistan und Kolumbien. In weniger als einem halben Jahr hat die Ukraine mehr EU-Hilfen verbraucht als mehrere Länder, die sich im Krieg befinden oder gerade einen bewaffneten Konflikt hinter sich haben oder sogar von unmittelbarer strategischer Bedeutung für Europa betroffen sind, in einem Jahr verbraucht haben.
Frankreich ist der siebtgrößte öffentliche Geldgeber, mit etwas weniger als 3 Milliarden Euro, die in diesem Jahr ausgezahlt wurden. Frankreich war jedoch von 2015 bis 2020 der größte Waffenexporteur in die Ukraine im Wert von 1,6 Milliarden Euro. Waffenhilfe, zu der sich Hubschrauber, Aufklärungsdrohnen und schwere Waffen zählen. Im Gegensatz zu den USA veröffentlicht Frankreich die Liste der gelieferten Ausrüstung nicht, aber es handelt sich um Offensivwaffen.
Am 26. Februar 2022 wurde diese Unterstützung um Ausrüstung im Wert von 120 Millionen Euro erweitert (Lieferung von Milan, Javelin, Mistral usw.). Darüber hinaus bietet die Republik Zugang zum französischen satellitengestützten Aufklärungssystem (CSO, Pléiade, Helios). Am 30. Mai brachte der ukrainische Verteidigungsminister Dmitrov Kuleba seine Dankbarkeit gegenüber Frankreich zum Ausdruck. Auch über Drittländer gelangten französische Waffen in die Ukraine, wie etwa die 100 Mistral, die Norwegen an die Ukraine lieferte, was nur mit Zustimmung des Herstellerlandes geschehen kann. Das vom Vereinigten Königreich gelieferte Waffenarsenal hat die Form eines Katalogs von einer Waffenmesse. Es fehlt nichts. Ein- ums andere Mal muss der völlig hermetische finanzielle, strategische und vertragliche Rahmen dieser Lieferungen hervorgehoben werden. Von den großen militärindustriellen Mächten haben nur Israel und Japan darauf verzichtet, auf Zelenskys Appelle zu reagieren, und haben nichts anderes als Helme und kugelsichere Westen angeboten.
Diese Hilfen kommen zu den 450 Millionen Euro hinzu, die die Europäische Union der Ukraine für den Kauf tödlicher Waffen im Rahmen der 2021 eingerichteten European Peace Facility zugesagt hat. Das sind 17 Milliarden an Krediten, die zwischen 2014 und dem 12. Februar 2022 garantiert wurden. Die Liste der Milliarden, die seit 2014 auf die Ukraine herabregnen, lässt einen schwindelig werden. Auch die Bretton-Woods-Institutionen stehen dem in nichts nach. Die Weltbank ihrerseits versprach im März dieses Jahres 3 Milliarden US-Dollar, davon 550 Millionen als Soforthilfe, und der IWF weitere 5 Milliarden an Krediten.
Also ja, wo sind diese humanitären Hilfen, diese Waffen geblieben? Es gibt eine Ostfront, die mit Soldaten, die mit Waffen aus der Zeit der Sowjetunion ausgerüstet sind, als ein Aufrufsmittel zum Erhalt von Hilfsgeldern fungiert, und dann ein Leben westlich des Dnepr, das normal verläuft. An wen gehen die humanitären Hilfen? Die erste Einwanderungswelle nach der Ankündigung, von Amts wegen ein dreijähriges EU-Visum zu erteilen, ist versiegt, und die Flüchtlingstransfers finden nun nach Russland statt. Gibt es ein Amt, das die Verwendung der Gelder kontrolliert oder zumindest koordiniert?
Die Beamten des Europäischen Rechnungshofs haben seit 2016 keinen Bericht mehr über die Ukraine herausgegeben. Dennoch bezeichnet sich die Institution als “Hüter der EU-Finanzen”. Auf ihrer Website werden lediglich die blau-gelbe Flagge und eine Solidaritätsbotschaft an das Volk der Ukraine erwähnt. Eucrim zufolge war die Situation vor dem Krieg in der Ukraine in Bezug auf die Korruption “nicht besonders gut”: “Es waren keine wesentlichen Verbesserungen erzielt worden”. Ist daraus zu schließen, dass die EU-Prüfer die herrschende mafiöse Oligarchie nicht wirklich beeindruckt hatten? Der Autor des EuCrim-Berichts sagte: “Nach dem Krieg wird der Rahmen für die Korruptionsbekämpfung schlechter sein als vor dem Krieg, da er sich ernsthaften Herausforderungen stellen muss, insbesondere denen, die sich aus dem umfangreichen Zustrom von Material und finanzieller Unterstützung für humanitäre Zwecke ergeben.”
Aber wenn die Ukraine den Experten für Korruptionsbekämpfung und organisiertes Verbrechen ein Dorn im Auge ist, sollten sie anfangen, nach Westen zu schauen. Die Massivität der Multimilliarden-Dollar-Gelder, die außerhalb jeglicher Kontrolle getätigt werden und nicht in die öffentlichen Bücher des ukrainischen Staates einfließen, bieten sich auch für nicht unerhebliche Rückflüsse an. Dies gilt insbesondere angesichts der korrupten Vergangenheit der Biden-Familie in der Ukraine. Potenziell sind alle Voraussetzungen gegeben, um die idealen Bedingungen für ein anthologisches Ausmaß an Veruntreuung zu schaffen, und das am helllichten Tag. Während die Welt sich für die Ukraine die Pulsadern aufschneidet und sich auf eine Wirtschaftsdepression vorbereitet, die Geschichte schreiben wird.
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