Trotz Krieg und Energiekrise: „Die Schlafwandler“ der Weltpolitik urlauben zufrieden
Juli 2014 – Kaiser Wilhelm auf Nordland-Kreuzfahrt Foto: Sammlung Internationales Maritimes Museum Hamburg
Von ELMAR FORSTER | Historische Ereignisse wiederholen sich immer auf gespenstisch-schlafwandlerische Weise – so vor 108 Jahren: Am Nachmittag des 6. Juli 1914 bricht der deutsche Kaiser Wilhelm II, auf seiner majestätischen Jacht „Hohenzollern“, zu einer Skandinavienkreuzfahrt auf – so wie seit 1889 in jedem Jahr…
Doch dieses Mal unternimmt er die Reise just zu einer weltpolitischen Wetterlage, die sich zu gloabelen Katastrophe aufschaukeln wird:
Ein Urlaubsfoto vom 25. Juli zeigt den salutierenden Kaiser, nachdenklich-entrückt (mit zwei kaiserlichen Dackeln) in einem „Urlaubsszenario, das krampfhaft Normalität suggerieren sollte. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem auf dem diplomatischen Parkett keinerlei Normalität mehr herrschte: Am 28. Juni 1914 hatte ein serbischer Nationalist den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie ermordet. – Die Schüsse von Sarajevo hatten eine politische Kettenreaktion in Gang gesetzt, seither spitzte sich die Situation von Tag zu Tag weiter zu.“ (Spiegel)
Sommer 2022: Westliche Staatsoberhäupter „urlauben zufrieden“ (Mandiner)
Und so wie vor 108 Jahren wiederholt sich ein historischer Treppenwitz von Neuem: „Der Sommer ist da. Und obwohl die Regierungen vor beispiellosen Herausforderungen stehen, sind die führenden Politiker der Welt in den Urlaub gefahren.“ (Mandiner) – Der kanadische Premierminister entflog mit dem Privatjet, der tschechische Premierminister entspannt sich an der kroatischen Küste, der deutsche Kanzler ist auf Wandertour in den bayrischen Alpen, und auch Boris Johnson kümmert sich um nichts.
Macron auf Urlaub an der Cote d’Azur (screenshot) Scholz in den bayrischen Alpen. (twitter)
Ob die westlichen Staatshäupter – so wie damals Kaiser Wilhelm – wohl auch dunkle Vorahnungen hegen ? Denn diesmal „angesichts der Julikrise war dem Kaiser, ganz gegen seine Gewohnheit, die Reiselust vergangen.“ (Spiegel) Sein Reichskanzler Von Bethmann-Hollweg musste ihn „regelrecht aus Berlin fortscheuchen“, mit dem staatspolitischen Ziel, so etwas wie politische Alltagsnormalität vorzutäuschen.
„Die Schlafwandler“ (Christopher Clark) – damals wie heute
Die Sommer-Urlaubs-Geschehnisse-2022 der westlichen Staatenlenker wirken wie ein böses Omen, das sich an der Frage in Bezug auf 1914 entzündet: „Warum verhielten sich jene Männer, deren Entscheidungen Europa in den Krieg führten, ausgerechnet so und sahen die Dinge auf diese Weise? Wie lassen sich das Gefühl der Angst und die dunklen Vorahnungen, die einem in so vielen Quellen begegnen, in Einklang bringen mit der Arroganz und Prahlerei, auf die wir stoßen?” (Clark: „Die Schlafwandler – Wie Europa in den ersten Weltkrieg zog.“)
Denn mitten in der Julikrise 1914 „verabschiedeten sich viele Politiker und Militärs ostentativ in die Sommerfrische“. (Spiegel) So etwa Kriegsminister Von Falkenhayn, Marineoberbefehlshaber Von Tirpitz, selbst Reichskanzler Von Bethmann-Hollweg, zog sich auf sein Landgut in der Idylle der Mark Brandenburg zurück. Obwohl letzterer zumindest – von bösen Ahnungen getrieben – mehrfach heimlich zu Amtsgeschäften nach Berlin aufbrach.
Mehr als ein Jahrhundert später entspannt sich der französische Präsident Macron für drei Wochen an der mondänen Cote d’Azur. Bis zur nächsten Regierungssitzung am 24. August haben aber auch alle französischen Minister frei.
Nur beim britischen Premierminister Johnson rätselt die Presse über seinen Sommersitz. Wohl aus gutem Grund: Denn die beiden letzten Sommerferien waren für Boris ein medienpolitisches Desaster. Einmal spülte die schottische Meeresströmung sein Kanu aufs offene Meer hinaus. Und im letzten Jahr machte ein Foto vom malenden Premier auf Marbella (Spanien) aufgrund der Brexit-Krise negative Schlagzeilen.
Doch auch die Traumtänzer der österreichisch-ungarischen Habsburgermonarchie, Kaiser Franz Joseph, sein Kriegsminister sowie der Generalfeldmarschall befanden sich demonstrativ auf Sommerfrische.
„Die ewige Wiederkehr“ (Nietzsche)
Nur wenige, wie ein Zeitgenosse von Kaiser Wilhelm, der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 – 1900), durchdrangen das oberflächliche Spiel der historischen Banalitäten auf eine Gesetzesmäßigkeit hin:
„Sind nicht alle Werte Lockmittel, mit denen die Komödie sich in die Länge zieht, aber durchaus nicht einer Lösung näherkommt? Denken wir diesen Gedanken in seiner furchtbarsten Form: das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend, ohne ein Finale ins Nichts. Das ist die extremste Form des Nihilismus: das Nichts (das »Sinnlose«) ewig!“ („Der Wille zur Macht“)
Im Sommer 2022, mitten im größten Krieg auf europäischem Boden seit 1945, ruht sich der tschechische Premierminister Fiala an der kroatischen Küste aus. Zu den ganz Mutigen darf sich der kanadische Regierungschef Trudeau zählen: Ihn hat es ins exotische Costa Rica verschlagen – Anreise im luxuriösen Privatjet.
„Groß ist die Angst dessen, der erwacht.“ (Herman Broch)
Doch agierten die weltpolitischen Schlafwandler von damals wie deren Nachfolger von heute: „Der Schlaflose hält die Augen geschlossen, als wolle er die kühle Grabesfinsternis, in der er liegt, nicht sehen. Dennoch fürchtend, dass die Schlaflosigkeit in ganz gewöhnliches Wachsein umschlagen könnte.“ Und weiter: „Groß ist die Angst dessen, der erwacht …“ (Hermann Broch, 1886 – 1951: „Die Schlafwandler“)
Diesen seltsam vor-bewussten Zustand konstatierte damals, im Juli 1914 auf der kaiserlichen Jacht, erstmals der anwesende Admiral Von Müller: Wonach die Spannung auf der „Hohenzollern“ mit Übergabe des österreichischen Ultimatums an das Königreich Serbien „sichtlich“ zugenommen hätte. Am Nachmittag des 25. Juli willigte schließlich Kaiser Wilhelm auf dessen Drängen zur Rückreise ein: Tief beunruhigt hatte er vom genauen Wortlaut des Wiener Ultimatums allerdings nicht aus Berlin, sondern aus einer Zeitung erfahren.
In die Erleichterung des Marine-Generalobersts, Von Lyncker, mischten sich aber unmissverständliche Ängste mit ein: „Wir sind alle froh, dass es heimwärts geht. Vielleicht ist diese Heimfahrt auch für uns der erste Schritt zum Kriege.“ (Spiegel)
Sommer 2022: Gehen „in Europa wieder die Lichter aus ?“
Manchmal erschaudert man aber selbst als nüchterner Historiker vor banalen Zahlen-Zufällen, die im Nachhinein wie ein zwangsläufiges Omen wirken. Zur Erinnerung: Am Tag des Sarajewo-Attentats, dem 28. Juni 1914 war der deutsche Generalstabschef Von Moltke zur Kur nach Karlsbad aufgebrochen. Und nur einen Tag nach der Rückkehr Wilhelms II., am 28. Juli 1914, erklärte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Der Weltenbrand begann zu lodern.
Und noch eine andere Episode fand Eingang in die historischen Annalen: Als am Abend des 3. August 1914 der britische Außenminister Edward Grey aus seinem Londoner Büro auf den St. James Park blickte, wurden gerade die Laternen angezündet. Düsterste Ahnungen überkamen den Politiker: „In ganz Europa gehen die Lichter aus, wir werden es nicht mehr erleben, dass sie angezündet werden.“
Und noch etwas bietet sich als zutiefst beunruhigende historische Parallele an: Jene Kriegshysterie, mit der die Politiker und einfachen Menschen einem großen Krieg – so wie heute – die Propaganda lieferten: “Kein Krieg in der Geschichte wurde mit einem so guten Gewissen von allen beteiligten Nationen geführt wie der Erste Weltkrieg. Alle wähnten sich im Recht.“ (Welt)
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