Horst D. Deckert

Dokumente zur Einführung des Begriffs Lebensqualität in die Diskussion in Deutschland – insbesondere zur Rolle der IG Metall und ihres damaligen Vorsitzenden Otto Brenner

Wenn von Lebensqualität und Grenzen des Wachstums die Rede ist, dann denken vermutlich viele Menschen mit ein bisschen Geschichtskenntnissen vor allem an den Club of Rome und die wenigsten wahrscheinlich an die IG Metall. Dieser Eindruck entspricht nicht dem wirklichen Geschehen.

Die IG Metall hat auf Anregung ihres damaligen Vorsitzenden Otto Brenner im April 1972 in Oberhausen eine Konferenz mit dem Thema „Aufgabe Zukunft: Qualität des Lebens“ durchgeführt. Albrecht Müller.

(Otto Brenner – ein großartiger Typ)

Das war kurz nach der Veröffentlichung des Berichts des Club of Rome. Dieser wurde am 2. März 1972 vorgelegt.

Die Politik hatte sich allerdings schon früher mit dem Thema Umwelt und damit auch mit der Lebensqualität der Menschen beschäftigt. So zum Beispiel Willy Brandt im April 1961: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!“, meinte der damalige Kanzlerkandidat am 28. April 1961. Am 29. September 1971 verabschiedete die erste sozialliberale Koalition ein umfassendes Umweltprogramm. Zu Ehren des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher von der FDP kann man anmerken, dass er und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Günter Verheugen, durchaus eigene Impulse in den Beginn der Umweltpolitik eingebracht haben. Diese praktische Politik fand vor der Veröffentlichung des Club of Rome statt. Das wird heute oft falsch gesehen.

Trotz dieser Vorläufer kann man feststellen: Die Aktivitäten des IG-Metall-Vorsitzenden Otto Brenner haben die Basis der Politik für mehr Umweltschutz und die Akzentuierung der Lebensqualität erweitert und verstärkt.

Auf der Webseite der Otto Brenner Stiftung findet sich ein Rückblick auf die Konferenz in Oberhausen.

Der internationale Kongress der IG Metall 1972
„Aufgabe Zukunft: Qualität des Lebens“

Einführung:

Die visionäre Tagung „Aufgabe Zukunft: Qualität des Lebens“ wird Otto Brenners frühes Vermächtnis. Auf Einladung der IG Metall kommen vom 12. bis 14. April 1972 mehr als 1.300 Gäste aus Politik, Gewerkschaften und vor allem aus der Wissenschaft nach Oberhausen. Bereits in den 1960er-Jahren hat Brenner es verstanden, die gewerkschaftspolitischen Herausforderungen des Informationszeitalters auf drei großen Tagungen zum Thema Automatisierung zu behandeln. Die Konferenz 1972 geht darüber hinaus.

Wenige Wochen zuvor wird die erste Veröffentlichung des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ vorgestellt. Auf Einladung der IG Metall diskutiert man über die Verbindung von Produktionsbedingungen, industrieller Produktion an sich und den menschlichen Bedürfnissen und Bedingungen für ein erfülltes Leben.

Brenner selbst ist im Verlauf des Frühjahrs 1972 an einem Lungenleiden erkrankt. Trotz eines schweren Krankheitsverlaufs bereitet er im Sanatorium in Bad Nauheim ein Grundsatzreferat zu „Perspektiven der deutschen Mitbestimmung“ vor. Bei Eröffnung der Tagung am 11. April kann es nur verlesen werden.

Eine große Rolle in der damaligen Debatte um mehr Lebensqualität spielte auch der SPD-Politiker Erhard Eppler. Er war als Redner für die Tagung der IG-Metall in Oberhausen engagiert.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte hier einen Text von Erhard Eppler von 1972 mit dem Titel „Die Qualität des Lebens“ – mit einem aktuellen Vorwort von 2011.

Interessant ist dann auch noch ein Interview mit Erhard Eppler, das am 16. April 2012 im Rückblick auf die Debatte im Jahr 1972 geführt wurde:

„Der Marktradikalismus als Verheißung ist tot“

Das Interview führten Alban Knecht und Philipp Catterfeld©.

Auf dem Hintergrund der wesentlich von Otto Brenner und Erhard Eppler befruchteten Debatte machte die damalige Kanzlerpartei dann die Forderung nach „Mehr Lebensqualität“ zu einem der drei Schwerpunkte ihres Regierungsprogramms für die Bundestagswahl 1972. Siehe hier:

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