Ein Twitter-Thread voller Zitate von militanten Impfbefürwortern sorgte im Juli für Aufruhr: Der User mit dem Pseudonym Mic de Vries hatte unter den Hashtags #wirhabenmitgemacht und #wirhabenausgegrenzt zahlreiche Äußerungen von Personen des öffentlichen Lebens gesammelt, in denen Ungeimpfte attackiert und ihre Diskriminierung und Ausgrenzung gefordert wurden. Die Sammlung sorgte daraufhin für Schlagzeilen: Der User wurde beschuldigt, eine “Feindesliste” erstellt zu haben, die zitierten Personen wurden zu Opfern stilisiert. Nun soll die Polizei tatsächlich gegen den Twitterer ermitteln.
Am 30. September postete der Unternehmer und FDP’ler, der wegen seiner Zitatesammlung auch von Parteigenossin Marie-Agnes Strack-Zimmermann angegriffen wurde:
Polizeiliche Ermittlung wegen meiner #Zitatensammlung! Really?
Nun ja: Wir lassen uns auf den Spaß ein. Lasst die Spiele beginnen. pic.twitter.com/zVPAFsdjL0— Mic de Vries (@micLIBERAL) September 30, 2022
Ein User brüstet sich auf Twitter damit, dass seine Anzeige zum Erfolg geführt habe. Ermittelt wird gegen Twitterer Mic de Vries wegen “gefährdendem Verbreiten personenbezogener Daten”. Praktischerweise hat Twitter in einer umfassenden Löschaktion fast alle Tweets der Zitatesammlung gelöscht. De Vries soll darin Anschriften von Arztpraxen verbreitet haben, worauf sich die Ermittlungen beziehen könnten.
Den nachfolgenden Tweet vom 26.07.22, der eine Entrüstung in Deutschland ausgelöst hat, habe ich mir als Lesezeichen abgespeichert. Heute habe ich bemerkt, dass @TwitterDE 22 Tweets/Zitate KOMMENTARLOS (!!!) gelöscht hat! Das macht mich #sprachlos!
Was eine krasse Zensur! https://t.co/VyOot7MRbW— Mic de Vries (@micLIBERAL) September 28, 2022
Auflistung von Zitaten strafbar?
Es wird allerdings diskutiert, ob im besten Deutschland aller Zeiten nicht doch die bloße Auflistung von Äußerungen strafbar sein könnte. Das stellte etwa Chan-jo Jun, ein Jurist, der sich dem Kampf gegen “Hassrede” und sogenannte “Querdenker” verschrieben hat, in den Raum: “Der neue § 126a StGB scheint vom Wortlaut sehr schnell zu greifen. Auflistungen von Namen oder Accounts kann zu Strafbarkeit führen”, twitterte er im Juli anlässlich des Zitate-Threads.
Wann sind Listen mit politischen Gegnern oder gegnerischen Äußerungen strafbar? Eine nüchterne Analyse:
Der neue § 126a StGB scheint vom Wortlaut sehr schnell zu greifen. Auflistungen von Namen oder Accounts kann zu Strafbarkeit führen. pic.twitter.com/LrffbQhOXz— Chan-jo Jun (@Anwalt_Jun) July 26, 2022
…umso höher die Gefahr.
Kommentarliteratur gibt sich hilflos und sieht den Tatbestand als fast uferlos, da eine Gefahr für Leib und Leben im politischen Diskurs kaum ausgeschlossen werden kann. Das ist aber auch gerade Zweck des Gesetzes. Feindeslisten sind idR strafbar. pic.twitter.com/Hv0X82oIkr
— Chan-jo Jun (@Anwalt_Jun) July 26, 2022
Die Rechtslage sei bisher nicht eindeutig, doch da im politischen Diskurs quasi immer eine “Gefährdungseignung” angenommen werden könnte, warnt er: “Ganz gleich um welches Lager es geht: Als Anwalt kann man bis zur obergerichtlichen Klärung nur davon abraten, Feinde oder Gegner öffentlich aufzulisten.”
Nur, dass der User Mic de Vries wohl kaum eine “Feindesliste” schaffen wollte, sondern eine Sammlung von – Zitat – “Aussagen, die man nicht vergessen sollte”. Dass Hassrede gegen Ungeimpfte ohne Konsequenzen bleibt, die simple Auflistung der Täter aber ein Verbrechen darstellen könnte, sagt einiges über Deutschland aus. Im Kampf gegen Ungeimpfte durfte man sogar wieder ganz ungestraft Nazi-Sprech verwenden: Der “Volksschädling” aus NS-Zeiten wurde zum “Sozialschädling“, und so wie SS-Ärzte Juden seinerzeit widerwärtigerweise mit Blinddärmen verglichen, so ist diese Bezeichnung für Ungeimpfte wieder salonfähig geworden.
Man darf jedenfalls gespannt sein, ob dem Twitterer hinter der Zitate-Sammlung tatsächlich Konsequenzen drohen.