Von JURY TACHROVSKY | Nach den Vereinten Nationen, G7 Treffen und anderen globalen Organisationen zeigen auch die G20 deutliche Anzeichen an Funktionsunfähigkeit. Das G20 Gipfeltreffen wurde ins Leben gerufen, nachdem die Zusammenkunft der G7 bei der Bewältigung der Finanzkrise 2008 gescheitert war: Man hoffte, dass sich durch Einbeziehung Chinas, Indiens und anderer wichtiger globaler Akteure die Weltwirtschaft in ihrer Gesamtheit wieder erholen könnte. Doch die diversen Ergebnisse der 20 Staats- und Regierungschefs fielen ebenso vage und widersprüchlich aus, wie die unter der Ägide der G7.
Die Ineffizienz der neuen geopolitischen Struktur wurde im Zuge der globalen CoV-Krise deutlich. Der G20-Gipfel 2021 in Rom, bei dem gut die Hälfte der Staats- und Regierungschefs fehlten, ging fast unbemerkt und spurlos vorüber. Zwar wurden wunderschöne Resolutionen zur Bekämpfung der Pandemie und Unterstützung der „Dritten Welt“ verabschiedet, aber niemand wollte sie umsetzen. Das Elend der Bewohner armer Länder musste einmal mehr dem Spruch folgen: „Jeder stirbt ganz allein“.
Es überrascht nicht, dass der letzte Gipfel auf der indonesischen Insel Bali in den Hauptstädten der G20 auch keine Begeisterung auslöste. Präsident Putin ließ sich nicht von wichtigen Aufgaben abhalten und blieb fern. Präsident Xi Jinping zögerte lange, entschied sich dann aber doch, um nach dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas seinen Kollegen aus der „politischen Oberliga“ sein neues politisches Gewicht aufzuzeigen. Für die Reise sprach die persönliche Einladung des indonesischen Präsidenten Joko Widodo, der dafür eigens nach Peking angereist war.
Chinesische Kollegen kolportierten den Witz, dass Xi Jinpings gutaussehende Frau Peng Liyuan, sich nach einem internationalen gesellschaftlichen Event – wie noch vor CoV – sehnte, um mit ihren einzigartigen Outfit im „Liyuan-Stil“ zu glänzen, welches Elemente westlicher Mode mit denen traditionell chinesischer Art kombiniert. Ich meine, der wahre Grund war wohl ein anderer: Die Beziehungen zwischen China und den USA bewegten sich gefährlich nahe am Rande eines militärischen Konflikts, sodass es notwendig schien, die Situation durch persönlichen Kontakt zu entschärfen. Aus verschiedenen internen und externen Gründen schien es schwierig, dafür eine Sondersitzung zu organisieren, doch ein Treffen am Rande der Veranstaltung bot sich optimal an.
Die Gespräche der Staats- und Regierungschefs zwischen China und USA fanden am Tag vor dem offiziellen Programm statt und dauerten mehr als drei Stunden. Joe Biden äusserte sich dazu auf einer Pressekonferenz nur kurz. Xi Jinping beschloss, sich nicht mit der Presse zu treffen, doch die chinesische Version wurde in einer ausführlichen Verlautbarung von Xinhua umrissen. Nach dieser Veröffentlichung kam Xi Jinping als höchster Vertreter des «Reiches der Mitte» auf den XX. Parteitag Chinas zu sprechen, welcher die Ergebnisse der zehnjährigen Entwicklung unter seiner Führung billigte. Xi skizzierte auch die Perspektiven für seine Politik bis zum Jahr 2035. Gleichzeitig verwies er auf das hohe Maß an Kontinuität und Stabilität des chinesischen Systems, nicht ohne kleinen Seitenhieb auf das politische Zickzack der USA. Xi Jinping schlug einen versöhnlichen Ton an und betonte, dass „die Weite der Welt groß genug“ für China und Amerika wäre: Peking wolle sich nicht in die Angelegenheiten der USA einmischen, die Weltordnung verändern oder Amerikas Platz in der Welt einnehmen. Harte Töne wurden hingegen angeschlagen, als es um die Situation um Taiwan ging, die nach Anzetteln des Kalten Krieges der USA gegen die VR China seit dem Jahr 2018 entstand. In seiner traditionell bildhaften Sprache erklärte der chinesische Vorsitzende Präsident Biden, dass
„die Taiwan-Frage den Kern der chinesischen Interessen abbildet und das Fundament der Beziehungen zwischen China und den USA darstellt.“
Biden blieb keine andere Wahl, als das Mantra der guten Absichten gegenüber Peking zu bekräftigen: Washington wolle keinen „Kalten Krieg“ mit China, hätte nicht die Absicht, das System des Reichs der Mitte zu verändern, und auch nicht die Absicht, militärische und politische Allianzen gegen China zu forcieren. Die Vereinigten Staaten unterstützten die Unabhängigkeit Taiwans nicht. Den Worten Bidens haftete ein Hauch von Realismus an:
„Die Rivalität zwischen den USA und China ist unvermeidlich, aber sie darf nicht zu einem Konflikt eskalieren.“
Die Feststellung des US-Präsidenten wurde in den chinesischen Medien und unter Politexperten nicht ohne Ironie aufgenommen. „Wer auch immer den Streit begonnen hat, sollte ihn beenden“, schrieb die Global Times aus Peking. Andere Publizisten hoben die traditionelle Diskrepanz zwischen Worten und Taten des US-Establishments hervor, um sie der chronischen Erscheinung namens „Funktionsunfähigkeit“ zuzuordnen…
Das Treffen zwischen Xi Jinping und Joseph Biden konnte zu keiner Verbesserung der Beziehungen zwischen China und USA beigetragen. Dies war nicht möglich: Die nationalen Interessen Chinas diktieren einen Kurs zur weiteren Stärkung seiner Autonomie in der Weltpolitik. Die nationalen Interessen der USA diktieren Pläne, all jene zu eliminieren, die sich nicht mit der US-Hegemonie einverstanden erklären. Im besten Fall kann das Abgleiten der Beziehungen in einen Konflikt nur verlangsamt und in geregelte Bahnen gelenkt werden.
Peking hat guten Willen gezeigt und nach den Gesprächen in Bali die Kontakte in Bereichen wieder aufgenommen, die nach dem Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan blockiert worden waren. Am Rande des Gipfels fanden hochrangige Gespräche über Klimafragen statt. Reziproke Zugeständnisse seitens der USA sind noch nicht in Sicht, obwohl durchaus mit Aufhebung einiger der Handelssanktionen oder Beschränkungen des Chip-Handels gegen China gerechnet werden kann. Vielleicht wird Anthony Blinken bei seiner angekündigten Reise nach Peking darüber sprechen. Vielleicht wird Chinas großzügige Vorleistung in Peking als Geschenk an US-Präsident Biden gewertet. „Sleepy Joe“ wird am 20. November 80 Jahre alt: Xi und Biden haben schon viel zusammen unternommen – auch oftmals gemeinsam gut gefeiert. Im Jahr 2011 begleitete der chinesische Vizepräsident Xi Jinping Vizepräsident Biden auf einer Studienreise durch China. Im Jahr darauf begleitete Biden seinen Amtskollegen Xi Jinping auf einer ähnlichen Tour durch die Vereinigten Staaten. Sie besuchten im Bundesstaat Iowa insbesondere einen Farmer, der 1985 im Rahmen eines Programms des Außenministeriums eine jungen Provinzleiter aus der chinesischen Provinz (Anmerkung: Xi Jinping) empfangen hatte.
Geschenke sind Geschenke, aber in wichtigen Fragen wurden keine Fortschritte erzielt. Die Frage der Annäherung zwischen Peking und Moskau wurde kaum berührt. Die Hoffnung der USA, die beiden eurasischen Mächte wieder auseinander zu dividieren, ist geschwunden: Die Wegscheide dazu wurde bereits aufgrund der Verschärfung der handelspolitischen, technologischen und militärischen Zwangsmassnahmen gegen China parallel zum Aufwiegeln der Ukraine gegen Russland überschritten. Die westlichen und östlichen Fronten des globalen Kalten Krieges sind deutlich abgesteckt, und es gibt ein unvermeidliches Zusammenwirken zwischen beiden.
Auf dem G20-Gipfel selbst haben sich Xi Jinping und sein Team zu einer „strategischen Partnerschaft“ mit Moskau bekannt und die geplante Isolierung und Verurteilung Russlands vereitelt. Auf einer anderen globalen Veranstaltung, bei den Vereinten Nationen in denselben Tagen, stimmte China gegen eine Resolution über „Reparationen“ zugunsten der Ukraine wegen Russlands „Invasion“ ab. Es war das erste Mal, dass Peking bei der Diskussion über die Vorkommnisse in der Ukraine seine neutrale Position aufgab und sich nicht der Stimme enthielt. Der chinesische Vertreter erklärte dieses Verhalten damit, dass der Begriff „Invasion“ vom Westen verwendet werde, während die Länder des Ostens, darunter China und Indien, einer solchen Einstufung skeptisch gegenüberstünden. Der chinesische Vertreter betonte, dass die Forderung nach Entschädigung in der UN-Praxis beispiellos sei:
„Wenn man dieser Logik folgt, sollten dann nicht auch die USA für die bisherige Serie an Militäraktionen, die Ländern und Völkern Schaden zufügte, zur Verantwortung gezogen werden?“
Gleichzeitig erkannte der chinesische Diplomat die große Bedeutung der Frage der Reparationen und Entschädigungen an:
„Länder, die in der Vergangenheit unter den Folgen von Unrecht wie Kolonialismus, Interventionen, einseitigen Sanktionen und Wirtschaftsblockaden litten, haben ein Recht auf Wiedergutmachung. Die Beschlüsse der UN-Generalversammlung werden dazu beitragen, den richtigen Weg für die Zukunft zu finden.“
Mit der Verabschiedung einer Resolution zu „Reparationen“ hat der Westen eine Büchse der Pandora geöffnet. Jetzt haben die Länder des Südens und des Ostens einen rechtlichen Präzedenzfall, um Reparationen für ihre Verluste und ihr Leid sowohl von vormaligen Kolonisatoren wie auch den Liebhabern heutiger Sanktionen einzufordern. China kann beispielsweise ihre seinerzeit entrichteten Entschädigungsleistungen an britische und französische Aggressoren während der beiden Opiumkriege (1840–1842 und 1856–1860) auf heutige Werte hochrechnen. Auch die Rechnung für die seit Juli 2018 verhängten US-Handelssanktionen könnte üppig ausfallen.
Während sich Peking gegen die USA stellt 300 Milliarden gestohlener russischer Dollar zur Deckung von Verlusten aus der Ukraine-Krise zu verwenden, wird sich China sicher an seine rund eine Billion Dollar auf Konten des US-Schatzamtes und weitere zwei Billionen Dollar auf Banken in den USA und anderen westlichen Ländern erinnern. Dagegen könnten amerikanische „Postkutschenräuber“ gegebenenfalls Forderungen für Tibet, Xinjiang, Taiwan oder irgendwelche anderen erfundenen und weithergeholten Geschichten aus dem Hut zaubern.
Der G‑20-Gipfel auf Bali endete ohne Sensationsmache. Er bot den Führern der Weltmächte die Gelegenheit, sich am Rande jenes geopolitischen Ereignisses zu treffen. Chinas Prestige hat dabei weiter zugenommen. Der Trend zum Bedeutungsverlust der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik hat sich fortgesetzt. Zugleich kann ein Rückgang der „Disziplin“ selbst unter vormals loyalen US-Vasallenstaaten festgestellt werden: Sie standen für eine Audienz bei Xi Jinping in Bali Schlange!
Übersetzung aus dem Russischen: UNSER MITTELEUROPA
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