Horst D. Deckert

Partei ergreifen im Propagandakrieg: Gute Lügen, schlechte Lügen?

Das erste Opfer des Kriegs ist stets die Wahrheit: Das realisiert alsbald jeder Bürger, der auf der Suche nach objektiven Informationen zum Krieg in der Ukraine ist. In der tobenden Propagandaschlacht werden Halb- und Unwahrheiten von beiden Seiten verbreitet. Trotzdem fühlt manch einer sich geneigt, Partei zu ergreifen. Doch kann es bessere und schlechtere Lügen (und Lügner) geben?

Geist und Ungeist

Ein Kommentar (zuerst erschienen auf gazette-oesterreich.at)

Etwas über ein Jahr ist es her, daß der Krieg in der Ukraine eskalierte. Und ja, er eskalierte, denn Krieg gab es dort schon zuvor. Und hier sind wir schon bei der ersten Falsch- und Propagandanachricht, die uns Medienkonsumenten täglich um die Ohren gehauen wird.

Nicht erst seit diesem 24. Februar, aber seit diesem Datum mit ungeheurer Wucht, sind die Menschen Ziel von Propagandisten aller beteiligter Seiten. Und man muß zur Schande aller Beteiligter sagen, daß man sich scheinbar gegenseitig mit dummen Unwahrheiten übertrumpfen will. Der Leidtragende ist der „kleine Bürger“, der das Recht auf objektive Information hat, aber für blöd verkauft und mit (im besten Fall) Halb- oder mit (viel zu oft) Unwahrheiten versorgt wird.

Beginnen wir mit den Schauergeschichten von der russischen Seite: Um die eigenen Bürger auf Kriegsstimmung und Siegeszuversicht zu bürsten, wird stumpfsinnigerweise verzapft, daß „wir im Westen“ den Winter über froren und in den Supermärkten die Lebensmittelregale leer standen. Ganze Legionen an „Publizisten“, die sich beim Kreml, den Mächtigen, ja Putin höchstpersönlich einschleimen wollen, überschlagen sich in Jubelmeldungen von der Front in der Ukraine und Horrorgeschichten über verhungernde und erfrierende Menschen im EU-Raum. „Berichte“ über Superwaffen, jubelnde Zivilisten und grandiose militärische Erfolge werden via TikTok, Telegram, YouTube, und so weiter… auf Smartphones und Bildschirme geliefert.

Und im Westen spielt sich der gleiche Unsinn ab: Man „berichtet“ von den leeren Supermärkten in Rußland, den famosen Erfolgen der ukrainischen Armee und bei passender wie unpassender Gelegenheit über Kriegsverbrechen der Russen. Ebenfalls in der Stärke von ganzen Legionen bemühen sich „Reporter“, „Faktenchecker“ und andere selbsternannte Experten, den Krieg zu analysieren und zu beschreiben. Da findet sich schon einmal ein ehemaliger Verteidigungsminister, der vor laufenden Kameras das Zusammenspiel aus Bodentemperatur und Operationen mit Kampfpanzern so dumm und grundsätzlich falsch erklärt, daß jedem Soldaten die Luft zum Atmen wegbleibt. Oder man verbreitet auf den gleichen Kanälen wie auch die Propagandisten der Gegenseite angebliche Videos von Gefechten (meist mit Hubschraubern oder Panzern), die ganz großartige Gefechtserfolge der ukrainischen Armee darstellen (sollen), sich bei genauer Betrachtung aber als Ausschnitt aus einem (sehr gut gemachten) Computerspiel entpuppen.

Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Soviel steht fest. Und würden die Menschen immer mit der ganzen Wahrheit durch die Medien versorgt werden, hätten die Mächtigen der Welt einen erheblich kleineren Spielraum, um einen Krieg zu beginnen und weiter zu führen. Die Argumente für jede militärische Operation basieren auf der am meisten und am lautesten getrommelten „Wahrheit“, egal wie verlogen sie auch ist.

Geschätzte Damen und Herren, Sie werden derzeit von zwei mächtigen und in der Wahl ihrer Mittel skrupellosen Parteien schamlos belogen. Es gibt keine bessere und schlechtere Lüge, keinen besseren oder schlechteren Lügner. Hier, mitten in der Not, in der Menschen ihre Existenz, ihre Hoffnungen und Träume, ja schlußendlich auch Leben verlieren, nach dem gerechteren Lügner zu suchen, ist als würde man Schei*** nach Geschmack sortieren. – Wir bitten für diese ekelhafte Entgleisung in der Wortwahl um Verzeihung. Aber wir sehen keine andere Möglichkeit, die Widerwärtigkeit der Gesamtsituation sonst zu beschreiben.

Wer partout Partei für eine der Seiten ergreifen will, möge sich folgende Situation vorstellen:
Seit Tagen liegt man in einem Erdloch, die von Außenstehenden als „Stellung“ bezeichnet wird. Die Temperaturen schwanken zwischen -12° in der Nacht und +2° zur Mittagszeit, wenn die Sonne die oberste gefrorene Schlammschicht wieder auftaut. Seit einer Woche hat man sich nicht gewaschen und man ist sich ziemlich sicher, daß man stinkt. Die Notdurft wird in ein selbst gegrabenes Loch verrichtet. Das ist nicht so einfach, weil der Boden ca. einen halben Meter tief gefroren ist. Die Verdauungsüberreste werden daher auch nie luftdicht mit Erde, sondern mit gefrorenen Klumpen vergraben. Dementsprechend riecht es auch in der „Stellung“. Man wartet auf die da drüben. Die Anderen. Irgendwann werden sie kommen und dann wird der eigene Abschnitt, der mit „Feuerbereichsgrenzen“ abgesteckt ist, mit Feuer belegt. Keine Panik darf dabei aufkommen. Wenn man sie, die Anderen sieht, draufhalten. Kurze Feuerstöße. Zielen. Kurze Feuerstöße. Nicht mit Dauerfeuer drauf los ballern. Sonst ist das Magazin gleich leer. Und treffen tut man auch nichts. Kurze Feuerstöße. Und während dieser fiktive Mensch sich weiter Gedanken über den Moment des Angriffs macht, wird er durch einen Blitz geblendet. Er hat plötzlich keine Luft mehr, versucht zu atmen, schnappt wie ein Fisch im Trockenen. Er sieht nichts, und die Waffe, die er zuvor noch in der Hand hatte, ist weg. Es pfeift in den Ohren. Er sieht noch immer nichts und tastet herum. Liegt das Gewehr links oder rechts neben ihm? Er liegt und versucht sich aufzurichten, schafft es aber nicht. Noch immer sieht er nichts. Dabei sind die Augen doch offen, oder? Und er versucht, links und rechts seine Waffe zu ertasten. Es pfeift in den Ohren. Er tastet nach unten, nach links, nach rechts und wieder nach unten. Und er ertastet etwas Warmes, das naß ist. Nicht das Gewehr, sondern das, was vor wenigen Sekunden noch seine Beine waren. Nun begreift er auch, warum er sich nicht aufrichten konnte. Und er wünscht sich, daß er endlich sehen könnte, was eigentlich los ist. Und obwohl er nichts hört, weiß er, daß sie, die Anderen, nun kommen.

Wer unbedingt Partei ergreifen will, soll sich dessen bewußt sein, daß er mit der Unterstützung einer der beiden Kriegsparteien Mitverantwortung für Situationen wie diese trägt. Greifen Sie sich ruhig an ihre Oberschenkel und schalten Sie Herz und Hirn ein. Oder lesen Sie ein Buch: „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque oder „In Stahlgewittern“ von Ernst Jünger.

Ähnliche Nachrichten