Ein Plakat, genauer eines der vielen Werbeposter der Bundeswehr, öffentlich bestens positioniert an einer Haltestelle der Straßenbahn und so für jeden sichtbar, von unserem Steuergeld bezahlt, mag für den gedankenlosen Mitläufer kein Problem sein. Die Fragestellung auf diesem samt einem einzigen, kleinen Wort ist aber ein Problem und somit auch das Poster: „wieder“. Dieses Wort „wieder“ ist eine Offenbarung, es stellt einen weiteren Riss der Dämme dar, die zunehmend nach und nach brechen und womöglich aus Frieden Krieg werden lassen, wobei der Krieg schon tobt… Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Ungenierter Neo-Militarismus im Gewand stylischer Bundeswehr-Werbung
Das Plakat der Bundeswehr „Was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen?“ ist Teil der aktuellen Imagekampagne des Bundesministeriums für Verteidigung, welche wohl zur Nachwuchs- und Personalgewinnung einerseits und auch zur geistigen Mobilmachung der Bürger andererseits dient. Ungeniert präsentieren die Macher die Bundeswehr visuell und in Worthülsen als ein Produkt, welches wie bei Computerspielen und Filmen wirkt: fetzig, kantig, direkt. Beeindruckend sehen die Protagonisten in erdigen Kampfanzügen und verschmierten Gesichtern aus. Hochglänzend und reißerisch ist die Szenerie. Die Zeiten stehen auf Sturm.
Die ganze Kampagne ist auf der Internetseite des Ministeriums einsehbar. Die Slogans sind eine Sammlung geradezu inniger militaristischer Wünsche, die nach und nach nun erfüllt werden, so scheint es, denn – Geld ist ja genug da, denn – der Wille der Regierenden ist ja bereit für Aufrüstung auf allen Ebenen, denn – die Welt ist ja sturmreif gemacht worden, um all diese eskalierenden Schritte zu begründen und durchzuziehen. Gnade uns aber, wohin das alles noch führen soll, wenn wir, die Bürger, nicht einschreiten und gegenhalten, denke ich dagegen. Und nein, ich kann mich auch nicht daran erwärmen, dass mitunter in Männergesprächen von guten Jobs bei der Bundeswehr gefaselt wird, als ginge man auf Arbeit in eine Werkzeugmaschinenbude. Gut bezahlt und sicher sind die Bundeswehrjobs, hörte ich noch. Wenn dann aber der Marschbefehl käme, kam mir darauf die Frage, die mich ins Grübeln brachte.
Wieder? Nein!
Man lasse die Slogans und die Fragen der Bundeswehrstrategen der Werbung auf mich wirken:
Deutschland braucht eine starke Bundeswehr.
(Arbeite mit uns daran).Damit unsere Freiheit grenzenlos bleibt.
Weil gerade jetzt Dein Einsatz wirklich zählt.
Stehen unsere Werte auf dem Spiel, gewinnen wir nur gemeinsam.
Wir bilden neue Stärken aus. Unter anderem 4.000 Azubis.
Was zählt, wenn wir w i e d e r Stärke zeigen müssen?
Was zählt, wenn unsere Freiheit auf dem Spiel steht?
Was zählt, wenn wir über den Wolken Grenzen aufzeigen müssen?
Was zählt, wenn schneller Einsatz gefragt ist?
Was zählt, wenn die Welt um uns rauer wird?
Was zählt, wenn Sicherheit wieder das Thema ist?
Die Bundeswehr fragt, der Bürger antwortet
Liest man die obigen Plakat-Inhalte, beginnt man im Fall des Interesses oder im aufkommenden Gefühl, als würde der Kopf glühen, mit Antworten auf die Aussagen und Fragen der Bundeswehr. Mit Verlaub, die Bundeswehr soll ihr Personal durchaus werben können. Ich wünschte mir eine defensive, eine auf ein Minimum reduzierte Armee, eine, die es gar nicht braucht, haben wir doch um uns herum lauter friedliche Partner und Freunde. Stattdessen wird für eine starke Wehr geworben…
Deutschland braucht eine starke Bundeswehr.
(Arbeite mit uns daran).
Eine mehrteilige Antwort: 1. Die Bundeswehr war und ist nicht schwach, sie ist überdimensioniert, die Institution ist ein Milliardengrab. Wenn ich lese, dass Kampfflieger für einen Preis weit über dem eigentlichen eingekauft werden sollen, aber man von Soldaten in seinem Umfeld schon mal hört, dass die eigene Ausrüstung seit Jahr und Tag unvollständig, ungenügend und in schlechtem Zustand ist, dann fragt man sich, wo das ganze Geld hinfließt. 2. Die Bundeswehr war bis zum Ende des Kalten Kriegs eine von zwei Armeen auf deutschen Boden, die sich eben feindlich gegenüberstanden (die NVA der DDR war der Feind im Osten). Die Wiedervereinigung bot danach ab 1990 die einmalige Chance der friedlichen Entwicklung, der Abrüstung, der nachhaltigen Beziehungen gen Osten und gen Süden. Was aber geschah? Die Bundeswehr als Teil der NATO wurde stattdessen erneut in Stellung gebracht: gen Osten und Süden – und das bis heute und nun zunehmend und aggressiver.
Damit unsere Freiheit grenzenlos bleibt.
Eine Antwort, eher Gegenfragen: Freiheit? Welche und wessen Freiheit, wessen Grenzenlosigkeit?
Weil gerade jetzt Dein Einsatz wirklich zählt.
Gegenfragen: Gerade jetzt? Warum jetzt? Wirklich?
Stehen unsere Werte auf dem Spiel, gewinnen wir nur gemeinsam.
Eine Antwort: Unsere Werte, die des Wertewestens, stehen Tag für Tag in der Kritik. Statt aufzurüsten und zu mobilisieren, müssen wir endlich vor unserer Haustür und im eigenen Haus kehren.
Wir bilden neue Stärken aus. Unter anderem 4.000 Azubis.
Eine Antwort: Neue Stärken wären gute, würden sie Deeskalation, Verständigung, Diplomatie, Abrüstung heißen.
Was zählt, wenn wir w i e d e r Stärke zeigen müssen?
Eine Antwort: Das Wort „wieder“ ist möglicherweise eine unbeabsichtigte Offenlegung der wahren Gedanken der Macher und Auftraggeber der Kampagne. War Deutschland schon einmal in der Situation, Stärke zu zeigen, also militärisch? Vor vielen Jahren trat unser Land so auf, bis am Ende alles in Schutt und Asche lag. Und unsere Auslandseinsätze in den vergangenen Jahren – waren die Zeichen der Stärke?
Was zählt, wenn unsere Freiheit auf dem Spiel steht?
Antwort: Wenn mit Freiheit die freie, friedliche Entfaltung eines guten, sozialen, gerechten Lebens gemeint ist, dann ist diese Freiheit schon lange von uns selbst eingeschränkt.
Was zählt, wenn wir über den Wolken Grenzen aufzeigen müssen?
Was zählt, wenn schneller Einsatz gefragt ist?
Was zählt, wenn die Welt um uns rauer wird?
Eine Antwort zur letzten Frage: Wieder stellt sich eine Gegenfrage: Wer hat die Welt rauer gemacht? Der Westen mit seiner wertebasierten, fairen Ordnung der Welt, oder nicht?
Der Mai hat begonnen. Der 8. Mai (in Deutschland) und der 9.Mai (in Russland) sind Daten historisch übermächtiger Dimension. Diese Daten sind verbunden mit dem Ausspruch „Nie wieder Krieg“, der vor 78 Jahren erstmals ausgesprochen wurde. Der II. Weltkrieg ist am 8. Mai 1945 auf deutschen Boden beendet worden, Deutschlands Wehrmacht kapitulierte.
Nun rüstet Deutschland wieder – und hier stimmt das Wort „wieder“ – auf. Jahr für Jahr werden mehr Mittel bewilligt, unsere Bundesrepublik belegt den siebten Platz bei den Rüstungsausgaben (58 Mrd. Euro in 2022 – Quelle SIPRI). Wir gönnen uns den Einsatz eines Sondervermögens in Höhe von 100 Mrd. Euro für die Bundeswehr. Und das Thema „Wiedereinführung der Wehrpflicht“ wird zunehmend ins Gespräch gebracht. Spätestens dann braucht es keine fetzigen PR-Plakate der Bundeswehr zur Werbung von Freiwilligen mehr. Doch dann sollten sich die Väter und Mütter eines Liedes von Reinhard Mey erinnern: „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“.
Was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen? So sollte die Antwort lauten
Wir, die Bürger, müssen wieder Stärke zeigen, engagiert, laut, friedlich, wortreich, geduldig und zäh – das zählt. Wir dürfen nicht aufgeben, unsere Kritiken zu äußern, unsere Empörung kundzutun, zu protestieren. Wir dürfen nicht resignieren, es stimmt nicht, dass es ohnehin sinnlos sei, etwas gegen die ganze fortwährende Eskalation unternehmen zu wollen, denn – steter Tropfen höhlt den Stein. Und viele Tropfen sind ein Meer. Ja, es ist sehr romantisch, wie ich es hier schreibe als einfacher Bürger. Aber es ist wahr. Wieder oder besser weiter Stärke zeigen.