Thomas Haldenwang – Präsident des Bundesverfassungsschutzes (BfV) – kommen beim Thema Sabotage unserer Infrastruktur wohl nicht zuerst die USA in den Sinn. Und wer russische Sicherheitsinteressen thematisiert, der kann in Verdacht geraten, dass er „Putins Lied“ singt und indirekt „die Demokratie“ destabilisiert. Das alles ist eigentlich selbstentlarvend, aber es wird trotzdem von Medien genutzt werden, um anhand des „Siegels“ des Verfassungsschutzes gegen Andersdenkende vorzugehen. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
BfV-Präsident Thomas Haldenwang hat bei einem kürzlichen Symposium seiner Behörde in Berlin und in Interviews vor russischen und chinesischen Sabotageakten und entsprechender Propaganda gewarnt, wie Medien berichten. Dass vielerorts „Putins Lied“ gesungen werde, liege auch an der AfD. Deutschland habe sicherlich eine der „stabilsten Demokratien der Welt“, so Haldenwang, aber: Man sehe Angriffe auf diese Demokratie – „von verschiedenen Seiten, von innen und von außen“. Russland versuche auf vielen Ebenen, „das demokratische System in Deutschland zu destabilisieren“: Etwa werde „die Erzählung“ verbreitet, dass der Kreml den Krieg gegen die Ukraine auch deshalb führe, weil die eigenen Sicherheitsinteressen durch den Westen verletzt worden seien, zitiert die „Tagesschau“.
Die Vorgeschichte des Krieges als „Erzählung“? Auch das Verbot russischer Medien, also direkte Zensur, scheint für den Schützer immerhin der Verfassung einer angemessenen Skandalisierung nicht wert zu sein – bedauert wird eher, dass es nicht wirksam sei. Es gebe trotz des Verbots, etwa vonseiten der AfD, „gute Kanäle auch in weite Bevölkerungskreise hinein“. Zur AfD sagte Haldenwang außerdem im ARD-Morgenmagazin: “Indem auch aus Teilen der Partei heraus russische Narrative weitergegeben, weitergesteuert werden, trägt das dazu bei, dass Rechtsextremismus in Deutschland expandieren kann und auch in diesen Kreisen dann eben Putins Lied gesungen wird.“
„Russische Narrative“, die ausgerechnet den Rechtsextremismus „expandieren“ lassen? Außerdem klingt die Beschreibung, als würden die Bürger gegen ihren Willen an einem russischen Tropf hängen – als sei das überhaupt nötig, um kritisch gegenüber der Regierungspolitik eingestellt zu sein: als würde sich diese Politik nicht von ganz alleine demaskieren, auf mindestens den Ebenen Sanktionen, Diplomatie, Wirtschaftspolitik, soziale Fragen. Einmal mehr: Kritik daran soll in die rechtsextreme Ecke gestellt werden.
Empörend: Kritische Bürger, die auf die zum Verständnis essenzielle Vorgeschichte des Ukrainekriegs hinweisen, werden von einem hohen Repräsentanten indirekt als Verfassungsfeinde und/oder nützliche Idioten Russlands abgestempelt, die (wie hypnotisiert) „Putins Lied“ singen. Diese Interpretationen sind scharf zurückzuweisen. Und wo bleibt die Thematisierung der massiven „Informationspolitik“ zur Verteidigung von US-Interessen hierzulande, die die russischen Propaganda-Aktivitäten weit in den Schatten stellt?
Aber da viele Meinungsmacher mittlerweile die Bundesregierung mit „der Demokratie“ gleichsetzen, stellen sie Kritik an der Regierung folgerichtig als „demokratiefeindlich“ dar. In diesem anmaßende Akt werden sie nun indirekt vom Verfassungsschutz bestärkt – einmal mehr: Bereits im Verfassungsschutzbericht 2021 wurde erstmals ein neu eingerichtetes Beobachtungsobjekt aufgeführt, mit dem Titel „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“, das zumindest „Teile der ‚Coronaleugner‘- und ‚Querdenker‘-Szene” umfasse, so Medien. Im Statement zum letztjährigen Symposium heißt es zu diesem „Phänomenbereich ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates’“: „Er ist eine notwendige Reaktion auf neue Kräfte, die Verfassungsgrundsätze außer Geltung setzen wollen, unseren Rechtsstaat durch Schmähungen massiv diskreditieren und danach trachten, seine Funktionsfähigkeit zu unterminieren.“
In der Stellungnahme zum aktuellen Symposium heißt es zwar einerseits treffend: „Digitaler Aktivismus in den Protestarenen des Internets, politische Polarisierung und radikal-aggressive Rhetorik entfalten allein noch keine Verfassungsschutz-Relevanz.“ Andererseits: „Aber wir erkennen nachweislich auch im Delegitimierungs-Spektrum Bestrebungen, die extremistisch agieren und zum Teil die Verbindung mit Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Selbstverwaltern eingehen.“ Wie zum Beweis wurden gerade neue Verhaftungen im „Reichsbürger-Milieu“ vermeldet. Dass es in diesem „Milieu“ fragwürdige Tendenzen gibt, soll hier nicht bestritten werden, aber steht ihre Relevanz im Verhältnis zur Aufmerksamkeit?
Haltet den Dieb!
Auch die „Argumentation“, dass selbst vernünftige Standpunkte „rechtsradikal“ sind, nur weil die AfD ihnen zustimmt, wird momentan vielerorts aufgewärmt, denn sie ist immer noch wirkungsvoll, um Gegenmeinungen zu diskreditieren. Außerdem kann die AfD die Bühne des „Pazifismus“ vor allem darum nutzen, weil sich weite Teile von SPD und LINKE davon in verstörender Weise verabschiedet haben. Diese Politiker und die sie stützenden Journalisten sollten sich angesichts aktueller Umfragen einmal mehr selber die Frage stellen, warum die AfD so stark wird.
Gänzlich absurd werden die Äußerungen des Verfassungsschutzchefs wenn es zum Thema Sabotage der Infrastruktur kommt: Angesichts des Terroraktes gegen die Nord-Stream-Pipelines und der beim jetzigen Wissensstand noch immer naheliegenden Urheberschaft von US-Seite erscheinen die intensiven Warnungen vor russischer Sabotage doch als sehr durchschaubare Praxis des Prinzips „haltet den Dieb!“. Der Verfassungsschutz ist ein Inlandsgeheimdienst – aber wenn die Gefahr ausländischer Sabotage schon thematisiert wird, dann doch auch in Hinblick auf mutmaßliche Hauptakteure.
Auch wenn man die Äußerungen des Verfassungsschutzchefs zum Abwinken empfindet: Sie werden mutmaßlich trotzdem Wirkung über den Tag hinaus entfalten. Einmal mehr können sich Meinungsmacher großer Medien und grüne Kriegstreiber nun darauf berufen, dass Kritik am Kriegskurs „offiziell“ als rechtsradikal und demokratiefeindlich abgestempelt wurde. Die Dienst- und Fachaufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz übt das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) aus. Weitere (Eigen-)Informationen zu Weisung und Kontrolle finden sich hier. Dass Haldenwangs Zitate auch wegen ihrer Nutzbarkeit für die „eigene Sache“ keine angemessene Hinterfragung durch Journalisten großer Medien erfahren werden, versteht sich heutzutage leider von selbst.
Was ist das für ein Geheimdienst, der solche weltfremden Analysen fertigt? Man kann nur hoffen, dass das Symposium eine Veranstaltung für das Publikum war und dass hinter den Kulissen die Lagen realistischer eingeschätzt werden.
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