Horst D. Deckert

Faktencheck der Faktenchecker – ARD-Faktenfinder zu Uran-Munition: „Strahlengefahr eher gering, Entstehen von Staub sehr unwahrscheinlich“

Tagesschau-Redakteur Pascal Siggelkow hat wieder zugeschlagen. Diesmal widmet er sich in seinem neuen „Faktenfinder“-Machwerk der Aufgabe, ganz im Sinne des aktuellen Regierungsnarrativs die Gefährlichkeit des Einsatzes von westlicher Uran-Munition für die Zivilbevölkerung kleinzureden. Dabei scheint ihm, wie gewohnt, jedes manipulative Mittel recht zu sein. Von Florian Warweg.

Die NachDenkSeiten hatten Ende März 2023 aufgezeigt, wie „Faktenfinder“-Redakteur Siggelkow Artikel verfasst, die zum Ziel haben, kritische Geister wie Seymour Hersh, Gabriele Krone-Schmalz, Ulrike Guérot und Daniele Ganser mittels tendenziöser Sprache („fragwürdig“, „minderwertig“, „abwegig“) und sehr einseitiger „Experten“-Auswahl zu diffamieren. Seine Beiträge zeichnen sich zudem dadurch aus, dass sie regelmäßig mit eklatanten sprachlichen, methodischen und inhaltlichen Fehlern gespickt sind. Einen eher unfreiwilligen Bekanntheitsgrad erreichte der „Faktenfinder“-Redakteur, als er die offensichtliche Verbkonstruktion von Seymour Hershs in seinem Artikel zur Zerstörung von Nord Stream „(to) plant shaped C4 charges“ („platzieren von C4-Hohlladungen“) völlig falsch als „Sprengstoff in Pflanzenform“ übersetzte. Auf dieser Grundlage seiner absurden und falschen Übersetzung befragte er dann extra einen Sprengstoff-Experten, der ausführlich in einem ganzen Unterkapitel für die Tagesschau erklären durfte, wie „abenteuerlich“ die Behauptung von Hersh sei, dass Sprengstoff in Pflanzenform eingesetzt worden sei.

Diese massiven journalistischen Fehlleistungen wurden bis heute weder von Siggelkow persönlich noch von der Tagesschau-Redaktion richtig aufbereitet. So viel zur grundsätzlichen Expertise und Glaubwürdigkeit des selbsternannten „Faktenfinder“-Autors und seiner Redaktion.

Doch kommen wir jetzt zu seinem aktuellen Machwerk und dessen Hintergrund. Die Lieferung panzerbrechender Uranmunition durch NATO-Partner Großbritannien an die Ukraine sorgte für Nachfragen an die Bundesregierung durch die Opposition. Unter anderem baten der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (DIE LINKE) sowie Petr Bystron (AfD) die Bundesregierung um eine Gefahreneinschätzung bezüglich des Einsatzes von Uranmunition, insbesondere für die Zivilbevölkerung. Die NachDenkSeiten berichteten am 17. Mai unter der Überschrift „Bundesregierung zum Einsatz von Uranmunition gegen Russland: „Keine signifikanten Strahlenexpositionen der Bevölkerung zu erwarten““ über die fragwürdigen Antworten des Auswärtigen Amtes unter Annalena Baerbock im Namen der Bundesregierung.

Eine geschlagene Woche später widmete sich dann auch der „Faktenfinder“ dieser Thematik und der Kleinen Anfrage. Wenig überraschend übernimmt der Tagesschau-Redakteur in seinem Beitrag dabei völlig unkritisch Haltung und Argumentationslinie der Bundesregierung. In erprobter Manier urteilt er aber natürlich nicht selbst, sondern transportiert das gewünschte regierungsstützende Narrativ der relativen Ungefährlichkeit von Uranmunition, indem er ausschließlich Experten zu Wort kommen lässt, die diese Einschätzung teilen. Zudem nutzt er denselben Taschenspielertrick der Bundesregierung. Gefragt, ob der Bundesregierung Studien und Untersuchungen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Uranmunition auf den Menschen vorlägen, antwortete diese, ausschließlich Bezug nehmend auf die Strahlenbelastung und den Aspekt des Uranstaubs völlig ignorierend, es seien, „keine signifikanten Strahlenexpositionen der Bevölkerung zu erwarten“.

Tagesschau-Redakteur Siggelkow geht genauso vor. Unter der Kapitelüberschrift „Strahlengefahr eher gering“ schreibt er, verallgemeinernd auf „die Experten“ verweisend:

„Die Strahlengefahr durch den Einsatz von DU-Munition bewerten die Experten als eher gering.“

Dazu befragt er als „Experten“ Ulf Steindl vom Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES) und zitiert diesen mit der Aussage:

„Trotz intensiver Untersuchungen gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass der Einsatz von DU-Munition in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien oder im Irak Strahlungsschäden verursacht hat.“

Des Weiteren wird Steindl vom Faktenfinder unhinterfragt mit der folgenden bemerkenswerten Aussage zum Einsatz von Uranmunition zitiert:

„Da es auch zu keinem Aufschlag auf ein Ziel oder anderen Reibungseffekten kommt, ist das Entstehen von Staub oder Splittern sehr unwahrscheinlich.“

Es soll beim Einsatz von Uranmunition, die extra dafür ausgelegt ist, die massiven Panzerungen von Gefechtsfahrzeugen zu durchschlagen, laut dem ARD-„Experten“ nicht zu einem „Aufschlag auf ein Ziel oder anderen Reibungseffekten“ kommen?

Hier lohnt sich zunächst ein Blick auf die Expertise des vom „Faktenfinder“ als Experten für Uranmunition präsentierten Ulf Steindl. Dieser hat laut eigener Darstellung einen Bachelor in Geografie und Politikwissenschaft sowie einen Master in „East Asian Economy and Society“. Seit Mai 2022 ist er „Research Fellow“ am AIES. Seine Masterarbeit schrieb er 2017 über „Geopolitical Evolution in East Asia – Landpower and enabling forces in a maritime environment.” Als einzige bisherige besondere Leistung von Steindl wird auf der Website der Wiener Denkfabrik bezeichnender Weise hervorgehoben:

„Während der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft 2018 unterstütze Herr Steindl die Abteilung für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung des BMLV als Verwaltungspraktikant, unter anderem bei den Verhandlungen über den Europäischen Verteidigungsfonds.“

Mit keinem Wort wird in der Selbstdarstellung von Steindl auf der AIES-Seite auf mögliches Fachwissen in Bezug auf Uranmunition oder sonstige Waffensysteme eingegangen. Im Gegenteil, die Tatsache, dass man sich gezwungen sieht, eine Tätigkeit als „Verwaltungspraktikant“ hervorzuheben, sagt wohl genug darüber aus, wen der „Faktenfinder“ uns hier als „Experten“ verkaufen will.

Doch abgesehen von dem nicht erkennbaren Fachwissen des zitierten „Experten“ kollidiert dessen Aussage auch mit eigenen Veröffentlichungen der ARD zu dieser Thematik, selbst was die Strahlenbelastung durch Uranmunition angeht. So veröffentlichte der ARD-Weltspiegel im Februar 2013 einen Beitrag mit dem Titel „Irak: Uranmunition – das strahlende Vermächtnis“.

Dort heißt es, ebenfalls mit Verweis auf „Experten“:

„Im letzten Irak-Krieg verschossen die Alliierten hunderte von Tonnen uranhaltiger Munition. Die panzerbrechende Waffe wirkt noch nach Jahren. Um Basra, im Süden des Landes, beträgt die Strahlenbelastung nach Messungen unabhängiger Experten das 20fache des Normalwertes. Vor allem Kinder, die auf den irakischen Panzerwracks spielen, erkranken. Die Zahl der Missbildungen bei Neugeborenen nimmt zu.“

Weiter führt die ARD-Reportage aus:

„Amerikaner und Briten, die damals Uranmunition eingesetzt hatten, leugnen jeden Zusammenhang zwischen erhöhter Strahlung und der Zunahme von Krebs. Doch die Ärzte lassen die Fakten für sich sprechen: Erstens die hohe Anzahl von jungen Krebspatienten, zweitens die häufigen Todesfälle, und drittens die extreme Zunahme von Missbildungen.“

(…) Dann untersuchen die Experten einen Panzer, Hauptziel der besonders schweren Uranmunition, die durch Stahl hindurchgeht – fast wie ein Messer durch Butter. Der Geigerzähler rattert plötzlich los… „Hier sind es über 1800 Mikro-Rem“, sagt der Strahlenexperte Hajak Frawel, „also das ist ein Wert, der 180 Mal höher liegt als die natürliche Belastung.““

Auch die Studie der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ mit dem Titel „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition“ kommt ebenfalls zu ganz anderen Schlüssen als die vom Faktenfinder zitierten „Experten“.

Selbst Springers Welt sah sich in der Lage, Ende März 2023 einen Artikel über die Auswirkungen der Bombardierung Serbiens und Kosovos mit abgereichertem Uran mit der Überschrift „Diese Schäden werden uns noch viele, viele Jahre beschäftigen“ zu veröffentlichen. Darin ist unter anderem davon die Rede, dass der NATO-Partner Italien Tausende von ehemaligen Soldaten, die beim NATO-Einsatz im Kosovo den Nachwirkungen von Uranmunition ausgesetzt waren, mit Zahlungen zwischen 700.000 bis eine Million Euro pro Fall entschädigt habe, da diese „unter anderem an dem Balkan-Syndrom, einer speziellen Leukämieform, erkrankt waren. Weiter heißt es in dem Artikel:

„Laut Nato selbst wurden 15 Tonnen Munition abgereichertes Uran auf Gebiete in Serbien und im Kosovo abgeworfen. (…) Überhaupt ist seit der Bombardierung mit DU-Munition die Krebsrate stark angestiegen.“

In Serbien steigen seit der NATO-Operation 1999 und dem massiven Einsatz von Uranmunition nachweislich die Krebsraten, insbesondere bei Lungenkrebs. Das Land belegt inzwischen seit Jahren den zweiten Platz weltweit bei der Verbreitung dieser Krebsart.

Auch britischen Soldaten wurden, wie unter anderem t-online berichtet, Pensionszahlungen zuerkannt – da zum Beispiel die Missbildungen von Kindern der Kosovo-Veteranen auf den Einsatz der dort verwendeten Uranmunition zurückgeführt werden konnten. Wenn man weiß, wie umfassend und eindeutig diese Kausalität belegt werden muss, bevor Soldaten Anspruch auf entsprechende Entschädigungen haben, bleibt wohl wenig Zweifel an den direkten Auswirkungen von Uranmunition auf die menschliche Gesundheit.

Angesichts der aufgezeigten Quellenlage muss sich der ARD-Faktenfinder fragen lassen, aus welcher Motivation heraus die Entscheidung getroffen wurde, gewisse Expertenmeinungen und auch Statistiken komplett zu ignorieren und dafür ausschließlich Experten zu Wort kommen zu lassen, die für die vom Auswärtigen Amt derzeit vertretene Linie zu Uranmunition à la „Gefahr eher gering“ stehen. Konsequenter Weise schließt der aktuelle „Faktenfinder“-Artikel mit folgender Aussage:

„Angst ist kein guter Ratgeber.“

Pascal Siggelkow begann seine Karriere beim ÖRR übrigens, indem er Ärzten nachstellte, die sich kritisch zu gewissen Corona-Maßnahmen verhielten. In der Kurzbiographie beim SWR heißt es unter anderem über ihn:

„Während seines Volontariats beim SWR hat er sich besonders im investigativen Bereich engagiert – bei Report Mainz und in der Rechercheunit. Dabei recherchierte er beispielsweise verdeckt zu Ärzten, die Corona verharmlosten und ohne medizinischen Grund Atteste gegen das Tragen von Schutzmasken ausstellten.“

So einen Dreh kann man sich fast nicht ausdenken. Der Volontär beim SWR, der einst Ärzte diffamierte, die angeblich Corona „verharmlosten“ – verdient jetzt sein ÖRR-Brot damit, die Gefahren beim Einsatz von westlicher Uranmunition für Mensch und Umwelt zu verharmlosen: bundesdeutscher Qualitätsjournalismus im Jahre des Herrn 2023.

Titelbild: Screenshot tagesschau.de/faktenfinder

Ähnliche Nachrichten