Horst D. Deckert

Wann knallt es auch bei uns? Luftwaffenmanöver der Superlative über unseren Köpfen

„Die NATO übt für den großen Krieg – Deutschland als Drehscheibe“ titelt der Verein Informationsstelle Militarisierung (IMI) in seiner jüngsten Veröffentlichung. Die Publikation behandelt das bevorstehende Luftwaffenmanöver der NATO in Europa, bei dem die Bundesrepublik eine zentrale Rolle spielen wird. Anders als in gewichtigen Mainstream-Medien wird von der IMI an der aufwändigen Militärübung und ihrer Ausrichtung gegen Russland ausdrücklich Kritik geübt und vor einer Eskalation bis hin zu einem Krieg mitten in Europa gewarnt. Das bevorstehende Manöver ist derweil nicht zu verhindern, umfangreiche militärische, logistische, organisatorische und mediale Aktionen sind angelaufen. Doch wie im Artikel ist die Aufforderung zu wiederholen: Der Einspruch, der Protest der Kriegsmüden gegen die Unmüdigkeit der Fanatiker, der Gewinnler und atemlosen, gedankenlosen Mitmacher der bedrohlichen Entwicklung gegen unsere zivile, friedliche Gesellschaft ist notwendige Bürgerpflicht. Von Frank Blenz.

Möglicher Krisenfall? Die Krise ist schon da

Trockenes Beamtendeutsch, brav und beinah beruhigend wirkend, lesen Bürger in zahlreichen Medien-Artikeln über Air Defender 23, welches als größtes Luftwaffenmanöver seit Gründung der NATO hervorgehoben wird. Das Ziel dieser großen Übung sei, ist zu lesen, für einen möglichen Krisenfall vorbereitet zu sein. Es stellt sich die Frage: Möglicher Krisenfall? Antwort: Die Krise ist schon da, stellt man beim Anblick der allgegenwärtigen Eskalation fest: der des Krieges in der Ukraine, der Aufrüstung von Europa, des In-Stellung-Bringens der Militaristen und Bellizisten bei gleichzeitiger Diffamierung von Kritikern des Militarismus, des Krieges, aller Kriege, des Zündelns und des weltweiten Provozierens durch den Wertewesten.

Das Manöver im Juni ist alles andere als eine beruhigende Übung. Man liest, die Luftwaffe habe angegeben, dass Piloten und Besatzungen gemäß dem Prinzip „train as you fight“ (Trainiere so, wie du kämpfst) üben würden. Bange machend liest sich die Bedeutung der befohlenen Trainingsweise: Die Piloten und Besatzungen würden an den Orten trainieren, an denen sie im Ernstfall eingesetzt würden. Die Orte liegen unter anderem in Deutschland, unsere Bundesrepublik ist Drehscheibe. Ernstfall?

Nochmal: Den möglichen Krisenfall erleben wir Bürger doch schon als eine gerade im Gang befindliche, als reale Krise: Der Krieg in der Ukraine dauert an, das Sterben endet dort immer noch nicht. Statt dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten, an den Verhandlungstisch zu gehen, werden immer mehr Waffen und Ausrüstungen geliefert, ukrainische Soldaten in Europa ausgebildet für den späteren Einsatz im Osten, das alles wirkt sich kriegsverlängernd, tödlich aus. Die mächtigen Regierungschefs unseres Kontinents stehen im Schulterschluss mit dem amerikanischen Präsidenten für Rüstung und Militarisierung ihrer Gesellschaften zusammen und behaupten sogar, ihre Völker stünden hinter all dem Wahnsinn. Weit und breit liest man nichts über Diplomatie, Waffenstillstand, Verhandlungen seitens der EU, der USA. Initiativen dazu gibt es – das macht Hoffnung – aus Südamerika, aus Afrika, aus Ungarn, aus China, aus dem Vatikan, aus der Zivilgesellschaft. Warum aber deeskaliert der Westen nicht?

Das Unheil nimmt seinen Lauf. Der Krieg weitet sich folgerichtig aus, die Eskalationsschraube wird, Momentchen noch, Momentchen noch, fester und fester gedreht. Nun werden in Moskau Einschläge durch Drohnenangriffe registriert, spöttisch von der einheimischen Presse gemeldet. Auch wird von Angriffen auf russische Städte berichtet.

Friedlich geht es auch in der EU nicht mehr zu. Etwas abseits der aktuellen Front, im Norden Europas und in Polen finden Militärmanöver statt, Truppenbewegungen vor allem von US-Militär haben auf deutschem Boden Hochkonjunktur. Auf deutschen Autobahnen sehen die Konvois imposant und bedrohlich zugleich aus. In Nürnberg patrouilliert nun die US-Militärpolizei am Bahnhof, aggressive GIs sollen von der deutschen Bundespolizei möglichst nicht behelligt werden, das machen die amerikanischen Freunde schon unter sich aus. Und das Sicherheitsgefühl der deutschen Bevölkerung werde sogleich auch erhöht, findet eine bayerische Zeitung.

Das Manöver – unbequeme Fragen werden nicht gestellt

Die Präsentation von Air Defender 23 ist professionell. Besonders, weil die gigantische Maschinerie in den führenden Medien bis in die Regionalpresse so verkauft wird, als wäre das Manöver ein Spiel, ein kalkulierbares, eines ohne Gefahren, außer, dass zeitweise der Luftraum gesperrt wird, Urlauber für kurze Zeit nicht in die Ferienflieger steigen können und über unseren Köpfen ab und an die Lautstärke etwas kräftiger ausfallen werde. Doch bleiben Fragen über Fragen: Wie sieht es mit der Bewaffnung, der Munitionierung der Flugzeuge aus, die zum Einsatz kommen? Wie echt und ernst zu nehmen sind die Einsätze? Kann aus einem Manöver ein richtiger Einsatz werden? Warum wird das Manöver als „defensiv“ bezeichnet, wenn die Flugrichtung auf den veröffentlichten Grafiken doch gen Osten weist? Was passiert, wenn es in der Luft und/oder am Boden zu Kollisionen kommt, wenn dadurch Tote zu beklagen sind, mindestens Verletzte, materieller Schaden auf dem Boden entsteht, wenn die Zivilbevölkerung betroffen ist? Muss so ein Einsatz in der Größe wirklich stattfinden? Was könnte mit so viel Geld, wie dieses Manöver kostet, alles Sinnvolles getan werden?

Dass wir in Zeiten versagender Diplomatie und stattdessen in Zeiten der Kriegstreiber leben, darüber berichtet IMI in einer aktuellen Analyse.

Russland als Adressat
Wenig auf Entspannung bedacht zeigen sich auch die beiden für das Luftwaffenmanöver maßgeblich verantwortlichen Generäle. Auch wenn Russland in den offiziellen Dokumenten zu Air Defender 2023 nicht genannt wird und das Manöver laut der Bundesregierung auf einem „rein generischen Szenario“ basiert, machten der deutsche Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz und der Chef der US Air National Guard Michael A. Loh bereits an anderen Stellen deutlich, gegen wen sich das Manöver richtet. Schon 2021 legte Loh seine Motivation für die Teilnahme dar: „Ich möchte, dass meine Leute anfangen, mehr über unsere drohenden Gefahren – China und Russland – nachzudenken und versuchen, sie auf diese Standards zu bringen. Was bedeutet es, unter den Kommandostrukturen der NATO zu stehen und wie operieren wir eigentlich innerhalb der NATO?“ Luftwaffeninspekteur Gerhartz drückte es so aus: „Mit der Übung Air Defender zeigen wir, dass die Luftwaffe das erste militärische Mittel in einer Krise ist. Wir können sehr schnell, in Stunden, Kräfte aus den USA nach Deutschland verlegen und so für eine glaubhafte Abschreckung sorgen.“

Zynische Erziehung der Befehlshaber – Gefahr geht indes von uns, dem Westen aus

„Ich möchte, dass meine Leute anfangen, mehr über unsere drohenden Gefahren – China und Russland – nachzudenken und versuchen, sie auf diese Standards zu bringen…“, sagt der US-Militär Michael A. Loh. Die Gefahr erhöht sich indes von der westlichen Seite aus. IMI beschreibt:

Damit wiederholt sich das bereits seit Jahren vollzogene Muster von gegenseitigen militärischen Muskelspielen und Drohgebärden in einem höchst unsicheren Umfeld auf immer konfrontativere Weise. Währenddessen kommt es bereits im Regelbetrieb immer wieder zu gefährlichen Situationen in den Lufträumen entlang der NATO-Grenzen, wenn sich dort russische und NATO-Kampfjets gefährlich nahe kommen. Allein im vergangenen Jahr kam es laut NATO zu 570 solchen Vorfällen und damit zu doppelt so vielen wie im Vorjahr. Jeder dieser Vorfälle birgt die Gefahr in sich, bei einem tatsächlichen Zusammenstoß zu einer ungewollten Eskalation zu führen.

„Wir werden Russland keinen Brief schreiben“

Die nächste Stufe der Eskalation wird seitens der US-Amerikaner und ihrer Verbündeten erklommen, früher wurde noch miteinander geredet, es wurde informiert. Nun schweigt man und zieht ein Manöver durch, das mehr als ein bloßes Muskelspiel zur Abschreckung darstellt.

Konfrontation statt Rückversicherung
Trotz alledem werden bisher gängige Formen der gegenseitigen Rückversicherung zwischen NATO und Russland bei Großmanövern im Rahmen von Air Defender 2023 einfach missachtet. Eine formale Benachrichtigung Russlands halten der deutsche Luftwaffeninspekteur und der Chef der US Air National Guard nicht für nötig. Bei einem Pressetermin Anfang April auf der Joint Base Andrews bei Washington sprach Gerhartz sichtlich stolz darüber, dass er einem Reporter am Vortag auf die Frage nach der Informationspolitik gegenüber Russland geantwortet habe: „Wir werden ihnen [Russland] keinen Brief schreiben. Sie werden die Nachricht schon erhalten/verstehen, wenn unsere Flugzeuge ausschwärmen.“ Auf diese bewusste Doppeldeutigkeit im englischen Original reagiert der US General Loh vor laufenden Kameras mit einem breiten Grinsen. Bei dieser Provokation handelt es sich allerdings nicht bloß um einen unnötig provokativen Stil. Bisher war es gängige Praxis, dass NATO-Staaten ihre Manöver auf formalem, diplomatischem Wege ankündigten und Einladungen an Militärbeobachter, auch aus Russland und Belarus, aussprachen. Diese Praxis diente der gegenseitigen Versicherung, dass die Militärübungen zwar dem gegenseitigen Muskelspiel und der Abschreckung, nicht aber der Vorbereitung eines Angriffs dienten. In der aktuellen Phase der militärischen Konfrontation in der Ukraine auf diese Kommunikationsformen zu verzichten, ist hochgradig gefährlich.

Protest formiert sich

Die Friedensbewegung in Deutschland protestiert gegen Air Defender 23. Und ja, es müssten viel, viel mehr Menschen protestieren. Hier einige Beispiele:

  • Die politische Sammlungsbewegung „aufstehen“ ruft zu Demonstrationen gegen das Manöver auf. Am 17. Juni organisiert „aufstehen“ in Brandenburg eine Großveranstaltung. Waffenruhe und Diplomatie werden als Gebot der Stunde hervorgehoben. Das Manöver bis hin zur Ostflanke zu Russland durchzuführen, hieße, Öl ins Feuer zu gießen.
  • Die Demonstration „5 vor 12 gegen Nato-Manöver Air Defender 23“ steigt am 10. Juni in Neustadt/Wunstorf mit mehreren Aktionen: Fahrraddemo, Schweigemarsch, Kundgebung ab 11.55 Uhr Haupttor Fliegerhorst Wunstorf, organisiert von der Friedensinitiative Neustadt/Wunstorf.

Bemerkung: Was ist der Fliegerhorst Wunstorf? Im Internet gefunden: Der Fliegerhorst Wunstorf ist ein deutscher Militärflugplatz, der ab 1934 für die Reichsluftwaffe angelegt wurde. Seit 1958 wird er von der deutschen Luftwaffe betrieben. Beim Manöver Air Defender 23 wird der Militärflugplatz zum Drehkreuz.

  • Die Friedensinitiative Dresden formuliert Forderungen an die Politik:

    „Uns Bürgern mit gesundem Menschenverstand reicht es, wie Politik unsere Interessen negiert. Es reicht uns:

    • weil Waffen noch nie Leben gerettet haben, stattdessen sich die NATO-Länder mit Waffenlieferungen in Kriegsgebiete überbieten!
    • weil Rentner rückversteuert wurden, um davon milliardenschwere Aufrüstung zu finanzieren!
    • weil die Rüstungsunternehmen gedeihen und profitieren wie nie zuvor, die schon die Nutznießer in den beiden zurückliegenden Weltkriegen waren!
    • weil wir keine amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Boden wollen!
    • weil Deutschland mit seiner Geschichte ein neutrales Land sein sollte, aber als Mitglied der NATO ist es zum Teil eines Angriffsbündnisses geworden!
    • weil die permanente Einmischung Deutschlands in innere Angelegenheiten anderer Staaten völkerrechtswidrig ist!
    • weil die Kriegspropaganda in Politik und Medien nicht mehr zu ertragen ist!
    • weil uns die Diffamierung und Hetze gegen unsere Friedensbewegung erniedrigt. Nur gemeinsam können wir der destruktiven Politik Einhalt gebieten! Die Friedensinitiative ist dabei.

Schwärmerei für Fluggeräte, für den Umfang des Manövers, für Feldversuche

Während die einen am Horst protestieren werden, nutzen andere die einmalige Gelegenheit, beim gigantischen Manöver imposante Fluggeräte zu fotografieren. Ausdrücklich beworben wird diese Chance auch in Medien, „Planespotter“ können so schon seit Tagen ihrem Hobby, dem Beobachten und Fotografieren von Flugzeugen, nachgehen. Große Augen soll es geben beim Anblick solcher Typen wie der Transportflugzeuge A400 M, Lockheed C-130 oder Boing C-17.

Nicht nur für die Flieger-Interessenten ist gesorgt, auch anderes Wissenswertes wird aufgetischt:

Air Defender 23 ist wie andere Manöver in der Regel auch ein Feldlabor für die Ausrüstung. Die Bundeswehr testet diesmal sogenannte Exoskelette – eine Konstruktion aus Gurten, Federn und Stangen, die an Torso und Oberschenkeln befestigt wird und das Tragen schwerer Lasten rückenschonend begünstigen. Federführend ist das Referat Zukunftsentwicklung und Digitalisierung im Kommando Streitkräftebasis. Laborstandort: Wunstorf. Um die 220 Flugzeuge während der Übung zu betanken, entsteht auf dem Fliegerhorst zudem ein Feld-Tanklager. Errichtet wird es von einem Spezialpionierregiment. Zum Lager gehört auch eine Rohrleitung. Bei deren Verlegung setzen die Soldaten die Exoskelette ein.

Quelle: auepost.de

Und schließlich – bei Air Defender 23 ist das mit der CO2-Bilanz egal

Über 200 Flugzeuge kommen zum Einsatz, etliche Starts und Landungen, Betankungen am Boden und in der Luft. 10.000 Militärs aus 24 Ländern sind am Start. Allein die deutsche Luftwaffe ist mit 62 Flugzeugen und Hubschraubern dabei. Und so werden im Juni ganz frei von CO2-Bilanz-Gewissensbissen etliche Flüge über Deutschland, den Niederlanden, Polen und Tschechien stattfinden.

Titelbild: ©Bundeswehr/Philipp Hiemer

Quellen:

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