Horst D. Deckert

Frankreich sagt der aus den US-Universitäten kommenden kulturlinken Blase den Kampf an

Am 2. Oktober letzten Jahres hielt Emmanuel Macron eine Grundsatzrede. Darin ging es in erster Linie um den politischen Islam und wie der französische Staat gegen die Unterwanderung der Gesellschaft vorgehen will. Über die Rede wurde breit berichtet, sogar DDR1 hat etwas dazu geschrieben, während die inhaltliche Kritik daran eher verhalten war und sich auf die üblichen linken Floskeln beschränkte.

Zu groß ist das Problem heute in Frankreich, als dass sich Kritiker aus der Deckung wagen könnten gegen den angekündigten Vorstoß der Regierung für die Durchsetzung einer neuen französischen Leitkultur.

 

Die „Woke Culture“ ist schuld

 

Alle deutschsprachigen Berichten über die Rede fokussierten sich auf den Islam und den Salafismus als Hauptgegner, gegen den Macrons Rede gerichtet war. Das mag korrekt sein, jedoch erklärte Frankreichs Präsident in seiner Rede noch etwas anderem den Krieg. Kein einziger Beitrag hierzulande ging darauf ein, obwohl auch das weitreichende Folgen haben könnte.

Es geht um den im Englischen als „Woke Culture“ bezeichneten linksextremen Aktivismus, der die Welt in Hautfarben und sexuelle Orientierungen unterteilt und überall Rassismus, Diskriminierung und Unterdrückung sieht. Black Lives Matter, der US-Ableger der Antifa, die „Cancel Culture“ und das Gendern als Ideologie sind drei Auswüchse aus diesen Umtrieben, die sich tief in den amerikanischen Zeitgeist gegraben haben und dank des Internets und der Macht des Silicon Valley ihren Weg auch nach Frankreich fanden.

Macron spricht es nicht unmittelbar an (eventuell aufgrund der mangelnden Übersetzbarkeit oder weil normale Personen nicht wüssten, was das ist), jedoch gibt es in seiner Rede einen Absatz, der sich unmissverständlich darauf bezieht:

„Viele dieser Bereiche, in denen Frankreich einstmals wissenschaftlich herausragende Leistungen erzielte, wurden unterminiert, woraufhin wir sie schließlich aufgaben. Wir haben die intellektuelle Debatte dabei anderen überlassen, jenen, die außerhalb der Republik stehen, indem wir ihre Ideologisierung beförderten, und indem wir manchmal anderen Wissenschaftstraditionen den Vorrang ließen.“

„Ich denke explizit an angelsächsische Traditionen, die auf einer anderen Genese beruhen, die nicht der unseren entspricht. Und wenn ich bestimmte sozialwissenschaftliche Theorien sehe, die vollständig aus den Vereinigten Staaten importiert wurden und das mitsamt ihrer Probleme, die ich zwar anerkenne und die es durchaus gibt, die allerdings auch zu den unseren hinzugefügt werden, dann bin ich davon überzeugt, dass es vernünftig ist, diese Wahl zu treffen.“

„Für uns bedeutet es, dass wir wieder damit beginnen müssen, massiv in den Bereich der Sozialwissenschaften, der Geschichte und des Verständnisses der Zivilisationen zu investieren, indem wir Stellen schaffen und indem wir in den akademischen Dialog und in die wissenschaftliche Debatte intensivieren…“

 

Ist Macron jetzt auch „far right“?

 

Diese Passage in Macrons Rede wurde völlig ignoriert bei der Debatte um die Implikationen daraus. Dabei macht er an dieser Stelle unmissverständlich klar, woher er den Wind kommen sieht: Es sind die linksextremen Biotope an US-Universitäten und deren rassistisch aufgeladener Marxismus.

In Anbetracht der linken Unterwanderung ist kaum verwunderlich, dass dieser Punkt in Deutschland keine Erwähnung fand. Im angelsächsischen Raum dagegen dauerte es zwar, bis jemandem die Stelle ins Auge fiel, dafür war die Reaktion daraus umfassend. Die ehemals ehrwürdige New York Times brachte einen längeren Text darüber, in dem selbstverständlich am Verstand der politischen Führung Frankreichs gezweifelt wird und weniger an der Schädlichkeit der eigenen Ideologie.

Im alternativen Spektrum wiederum beschäftigte sich Carl Benjamin in einem Podcast mit dem Thema. Er wie auch andere sehen sich bestätigt in ihrer Ansicht, dass nicht der zeitgenössische Islam das eigentliche Problem darstellt für westliche Gesellschaften mit ihrem Grundprinzip individueller Freiheit, sondern der kulturlinke Zeitgeist.

Dieser zerstöre erst die Grundfesten des klassischen Liberalismus in seiner konservativen Ausprägung, so dass die dadurch entstandene Lücke von beliebigen anderen Wertesystemen besetzt werden. Am Ende dieser Transformation gewinnt schließlich das „fitteste“ Wertesystem, und das ist aller Wahrscheinlichkeit nach der Islam.

Man könnte also sagen, dass Emmanuel Macron in seiner Rede „far right“ Positionen eingenommen hat. Bei dem Begriff handelt es sich um einen weiteren Neologismus aus den USA, nachdem linke Analysten ein Zwischending zwischen „rechts“ und „rechtsextrem“ finden mussten, da das eine nicht abwertend genug klingt und das andere zu unglaubwürdig wird.

Tatsächlich wurde Macron von einigen auch vorgeworfen, mit der Rede Wahlkampf für die kommende Präsidentschaftswahl betrieben zu haben, da er vermutlich gegen jemanden aus dem Hause Le Pen antreten muss.

 

Wirklich eine angelsächsische Tradition?

 

Macron wäre aber kein Franzose, wenn er als klassischer Etatist nicht die Schaffung von „mehr Stellen“ gefordert hätte, wie er in dem Abschnitt meinte, und wenn überdies auf den französischen Anteil am Schlamassel an den US-Universitäten hingewiesen hätte.

Die „Woke Culture“ ist keineswegs ein angelsächsisches Eigenprodukt. Vielmehr besteht es aus drei verschiedenen Elementen, von denen zwei nicht aus den USA stammen, sondern mit der Frankfurter Schule aus Deutschland und mit dem Poststrukturalismus aus Frankreich. Michel Foucault oder Jacques Derrida als die beiden Urväter des Mantras „alles ist ein soziales Konstrukt“, das die Basis des herrschenden Meinungsklimas in den USA bildet, finden in Macrons Rede mit keinem Wort eine Erwähnung.

Den deutschen Beitrag dazu hat er übrigens ebenso wenig erwähnt, aber das war bestimmt nicht seine letzte Rede zum Thema. Jedenfalls muss man sich fragen, ob sich der Poststrukturalismus wirklich nicht von seiner Weiterentwicklung in den USA hin zu einem kulturmarxistischen Umsturzprojekt der Gesellschaft trennen lässt.

Denn sollte diese Trennung möglich sein, dann können sich Macron und nebenbei auch sein Bildungsminister noch so sehr echauffieren über den „von amerikanischen Universitäten kommende intellektuelle Matrix“. Es würde auch so weitergehen und sie könnten sich kein Stück dagegen wehren, wenn sie plötzlich vor einer genuin französischen Wand des irrationalen Politaktivismus stehen, der sich erst unbemerkt einnistet, um sich dann systematisch durch die Institutionen zu fressen.

 

Ist das Glas halb voll oder leer?

 

Sollten es Macron und das französische Establishment tatsächlich ernst meinen mit ihrem Kampf gegen den Kulturmarxismus, dann lautet die große Frage, ob sie am Ende auch in der Lage sein werden, die notwendige Selbstreflektion aufzubringen, um den Anteil der eigenen Kulturelite an dem Phänomen anzuerkennen.

Insofern ist nicht ganz sicher, ob das Glas in Frankreich nun halb voll ist, weil endlich die korrekte Umlaufbahn um das Kernproblem erreicht wurde. Oder ob es halb leer ist, weil knapp vorbei bekanntlich auch vorbei ist. Hinzu kommt der für Frankreich typische Etatismus als Mittel der Wahl zur Beendigung der kulturellen Selbstzerstörung. Das Dirigieren von oben mag zwar bequem sein. Allerdings werden sie damit wohl kaum die Köpfe in den Randgebieten der Gesellschaft erreichen oder ein Einsickern der intellektuellen Fäulnis von unten verhindern können.

Definitiv halb voll ist das Glas dagegen jetzt wieder in Deutschland. Selten kommt es vor, dass die enge politische Verschränkung zwischen Deutschland und Frankreich auch einmal in positivem Licht erscheint. In diesem Fall aber ist es wohl ein Segen, wenn die französische Staatsführung systematisch gegen den Linksextremismus der heutigen Prägung vorgehen will.

Da Deutschland und seine Institutionen für Frankreich viel zu bedeutend sind, werden sie in Amtsstuben von Paris eher früher als später bemerken, dass an den Universitäten und in den Medien Deutschlands etwas im Argen liegt. Infolgedessen wird dort hoffentlich das innige Bedürfnis entstehen, diese „angelsächsische Traditionen“ auch bei uns wieder aus dem Programm zu werfen.

Wie sie das Problem letztlich nennen, ist mir dabei herzlich egal. Hauptsache es kommt weg und zwar bald!

Quelle Titelbild

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