Horst D. Deckert

Der Ahnung Kraft geben – ein Gespräch mit dem Nazarener

Wie heisst Du? Wie soll ich Dich nennen?

Man hat mir viele Namen gegeben, die meisten wiegen heute zu schwer, und verständlich sind sie auch nicht mehr. Zu meiner Zeit nannte man mich Jesus von Nazareth oder einfach nur den Nazarener, nenn mich so, das macht mich menschlicher, oder nenn mich Freund, wie Du magst!

Erzähl mir etwas von der Zeit, in der Du lebtest!

Zu meiner Zeit flimmerte die Luft vor Erwartungen nach einer neuen Welt. Der Alltag war für viele unerträglich. Unsere Führungseliten, die politische um Herodes Antipas, und die religiöse um den Hohepriester im Tempel, waren Vasallen des fernen Kaisers in Rom. Rom, das von der Herrschaft über alle Menschen der Welt träumte, spannte zusammen mit den Regierenden vor Ort, um das äussere Leben der gewöhnlichen Menschen zu kontrollieren; die religiösen Machthaber versuchten deren Seele zu rauben und ihr Inneres zu beherrschen – beide mit unmenschlichen Gesetzen. Das Leiden der Menschen war unsäglich!

Auch in meiner Zeit ist die Rede von einer neuen Welt, besser gesagt von einer nicht mehr Alten. Sie wird die Neue Normalität genannt.

Klingt nicht gerade inspiriert! Erzähl mir von Euren Visionen!



Visionen? Nein, es sind keine Visionen. Es geht um die alten Freiheiten, die alten Lebensweisen. Das Neue ist, dass es diese nur noch an bestimmte Bedingungen geknüpft geben soll. Davon spricht die politische Führung.

Ach, das kenne ich. Es ist immer dasselbe mit den Mächtigen. Sie haben die VerbinDung zu ihrem Wesenskern verloren und wissen nicht, wer sie sein könnten. Bei uns begann man, die Menschen in Volkszählungen zu registrieren, …

bei uns in digitalen IDs…

… es wurden Steuern eingezogen, die Menschen sollten sich anpassen und wer brav war, erhielt Privilegien. Wer nicht mitspielte, wurde ausgegrenzt; viele wurden getötet – man nannte dies Pax Romana -römischer Friede!

Du sprachst von der Erwartung einer neuen Welt

Ja, wir Juden waren überzeugt, dass jetzt die Zeitenwende war, dass jetzt das verheissene Königreich Gottes bevorstand, die Menschen waren voller Sehnsucht!

Wie habt Ihr Euch das vorgestellt?

Es stand in unseren heiligen Schriften beschrieben, vor allem Jesaia (Jes. 65,15 ff) sprach von diesem Leben, in Freude und Gerechtigkeit.

… und dann, habt ihr darauf gewartet, dass Gott kommt und alles für Euch errichtet?

Es gab vielerlei Gruppierungen, da war keine Einigkeit darüber, wie diesem neuen ‹göttlichen Königreich› der Weg bereitet werden soll und manche bekämpften sich auch – leider! Die einen, z. Bsp. die Zeloten, sagten: ‹Es braucht Krieg, Gewalt ist die Lösung, die Machthaber müssen bestraft werden, sie müssen gekreuzigt werden für ihre Übeltaten, wie sie uns gekreuzigt haben!›. Andere, wie die Essener, zogen sich aus dem Alltag zurück, in Höhlen, fern von der Gesellschaft, um zu beten und ein ‹reines› Leben zu führen.

… und wie war Deine Position? Was glaubtest Du, was man tun musste, damit das Neue kommen konnte?

Ich hatte keine Position und ich hing keiner Idee an. Ich lebte aus einer Erfahrung, der Erfahrung, dass das ‹Reich Gottes› schon da war und nicht mehr errichtet werden musste.



Schon da, in dieser lieblosen Zeit?

Ja, ich war schon im ‹Reich Gottes›.



Wurde dir diese Erfahrung in die Wiege gelegt?

Ja und nein. Eine Ahnung davon schlummert in jedem Menschen, aber nicht jeder gibt dieser Ahnung Kraft. Ich war ein Suchender, ich ging ihr nach, an verschiedensten Orten, im Aussen und im Innen. Ich war auch eine Weile bei Johannes dem Täufer, den ich sehr verehrte, und ich fastete vierzig Tage in der Wüste, und ich musste gegen Dämonen kämpfen…

Dämonen?

Natürlich. Wenn der grosse Johannes von dir sagt, dass er nicht würdig sei, die Riemen Deiner Sandalen zu lösen und Du vierzig Tage ohne Nahrung in der Wüste überlebst, dann kommen die Dämonen unweigerlich. Die Stimmen, die dir einflüstern, dass Du alles schaffst. Der Dämon der Selbstüberschätzung, der Hybris, der Dämon des Konsums, der dir verspricht, dir alles zu geben, wenn Du ihm dienst und der Dämon der Macht, der Dich verführen will, über alle und alles zu herrschen!



Und wie, konntest Du diese Teufel bekämpfen? Warst Du so stark, warst Du so anders, als andere Menschen?

Nein, ich war nicht aussergewöhnlich stark, ich war vor den Dämonen, auch später, nicht gefeit, insbesondere nicht, als ich vom Tod bedroht wurde. Aber ich war ein Mensch, gestärkt Durch eine tiefe Erfahrung, die mich ein Stück weit immun machte gegen die Dämonen und das Bedrohtsein Durch die weltlichen Machthaber. Sie bot mir Schutz im Ringen ums Lebendigsein.

Erzähle von Deiner Erfahrung!

Auf meinem Weg, mit meinem Suchen und Ringen, kam ich zu der Erfahrung, zu der inneren Gewissheit, dass ich ‹Gottes Kind› bin, dass wir alle Kinder Gottes sind. Diese Erfahrung war erleuchtend, erhellend, be-geisternd! Sie schenkte mir das Gefühl wertvoll zu sein, beschützt, geliebt, ganz….

Das erinnert mich an den Begriff «Würde».

Ja, das kommt meiner Erfahrung nahe. In der Gewissheit der eigenen Würde zu leben, ihr treu zu sein, lässt die Ängste klein werden, macht unabhängig vom Applaus der Welt, führt an den paradiesischen Ort, wo einem das Wesentliche nie mehr genommen werden kann. Da ist man im ‹Himmel auf Erden› und man bringt den ‹Himmel auf die Erde›. Das Erleben ‹Kind Gottes› zu sein, ‹königlichen Geblüts›, schenkt dir die Verbundenheit, die es dir ermöglicht, Regentin und Gestalterin Deines Lebens zu werden, immun gegen das Kettenrasseln und aggressive Gebaren der Mächtigen der Welt. Viel mehr braucht es nicht, aber dieses Erfahren der Würde, des Göttlichen in uns, das braucht es!

Und das hast Du verkündet? War das Deine Frohe Botschaft?

Ich war so beseelt von dieser Erfahrung, so begeistert, dass ich mein ganzes weiteres Leben damit verbrachte, es immer mehr zu leben, zum Ausdruck zu bringen, davon zu erzählen – ich konnte nicht anders!

Darüber könnten wir uns noch lange austauschen…

Ja, aber lass es gut sein für heute, Du weisst, ich ziehe mich gerne zurück in die Einsamkeit, ins Einssein! Der Sauerteig braucht ja auch immer wieder Zeit zum Ruhen und Reifen ….

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Sarah Arnold führt eine Praxis für Chinesische Medizin und Sprialdynamik® in Zürich.

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