Von Elmar Forster
Heuchelei der Political Correctness
Unzählige westliche Untersuchungen prangern zwar die Benachteiligung diversester Randgruppen an (etwa den Gender-Pay-Gap, Black-Lives-Matters, etc.). Auf einen erschreckenden Tatbestand weist aber nur Ungarn hin: Dass nämlich „in vielen Teilen der Welt Millionen Menschen nur deswegen diskriminiert werden, weil sie sich zum Christentum bekennen.“ (Einleitung von Viktor Orbán). – Und so bleibt gerade die – auf Egalität und Menschenrechte so stolze – EU diesem globalen Unrecht gegenüber ignorant: Nämlich „dass das Christentum heute die am meisten verfolgte Religion der Welt ist.“ – (2020 waren es 260 Millionen Menschen, etwa die Hälfte der Einwohnerschaft der EU.)
Umso entlarvender „das untätige Schweigen der christlich-basierten westlichen Welt“ sowie „das Tabu in den meisten internationalen Foren“. (Orbán) Der mittlerweile vierte „Budapest-Report“ durchbricht diese „Mauern der Heuchelei, die sich hinter dem Decknamen der Political Correctness versteckt.“ (Orbán) Und doch werden „nicht nur Geschichten von Schmerz und Leid erzählt, sondern auch vielversprechende Ergebnisse, Initiativen, Erfolge und Hoffnungen“ (Kardinal Erdő). – Premierminister Viktor Orbán, Kardinal Péter Erdő und Universitäsrektor András Koltay haben das Vorwort verfasst.
„Hungary Helps“
Herausgeber des Reports ist die staatliche ungarische Non-Profit-Agentur „Hungary helps“. Diese unterstützt christliche Kulturen weltweit (im Nahen Osten, in Asien und in Afrika – bedroht etwa durch islamistische Terror-organisationen wie Boko Harem oder den Islamischen Staat), u.a. mit schneller humanitärer Katastrophenhilfe. Fast 100.000 Verfolgte konnten so in ihren Heimatländern verbleiben oder dorthin zurückkehren. (UngarnHeute) Seit 2016 existiert zudem das staatliche Programm „Hilfe für bedrohte Christen“ – mit einer Gesamtinvestition von 43 Millionen Dollar in 21 Ländern weltweit.
Auch Papst Franziskus würdigte bei seinem letzten Irakbesuch diese Bemühungen und traf dabei im irakischen Mossul, am 7.3.2021, den dafür verantwortlichen ungarischen Staatssekretär Tristan Azbej. (Nur ein Beispiel: Während der drei Jahre Terror-Herrschaft des „Islamischen Staates“, 2014 ‑17, flohen aus Mossul eine halbe Million Menschen, darunter mehr als 120.000 Christen. – UngarnHeute)
Die ungarische Position lautet: „Der effektivste Weg zur Hilfe von Menschen in Not“ ist die Hilfe vor Ort, „anstatt diese Herausforderungen nach Europa zu exportieren.“ (Tr. Azbei)
„Ungarn: Schutzschild für das Christentum und der westlichen Zivilisation“ (Papst Pius II, 1456)
Doch ist das Christentum mittlerweile nicht nur in seiner Wiege, im Nahen Osten, bedroht, sondern paradoxerweise gerade auch in seinem Herzland, in Europa – etwa durch die nicht-christlichen, islamischen Flüchtlingsbewegungen.
„Bis 2050 wird sich die Zahl der in Afrika Lebenden verdoppeln (auf) 2,5 Milliarden Menschen. Afrika wird zehnmal mehr Jugendliche haben als Europa. … Wenn man diesen … mehreren hundert Millionen … erlaubt, nach Norden zu kommen, dann werden … unsere Kultur, unsere Identität und unsere Nationen … aufhören zu existieren.
Der Westen fällt, während Europa nicht einmal bemerkt, dass es besetzt wird. Die … Abnahme der Bevölkerung christlicher Kultur, die Islamisierung der Großstädte schreitet … voran, und ich sehe jene politischen Kräfte nicht, die die Prozesse aufhalten wollten oder könnten…“ (Viktor Orbán: „Rede zur Lage der Nation, 18.2.2018)
Und gerade weil sich Ungarn über Jahrhunderte immer als „Schutzschild für das Christentum“ betrachtete, „ermutigt uns dieses Erbe heute, Worte in Taten zu verwandeln“ (Orbán): „Wir haben verhindert, dass die islamische Welt uns überströmte… Wir werden niemals mit jenen europäischen führenden Politikern solidarisch sein, die Europa in ein postchristliches und postnationales Zeitalter führen wollen.“ (Orbán)
Hinter dieser Entschlossenheit verbirgt sich Dankbarkeit: War es doch gerade das Christentum, welches „Ungarn über die schwersten Perioden seiner Geschichte hinweggeholfen hat.“ (Balázs Orbán: „Christianity in the Hungarian National Identity“)
„Im Westen hat man Christus verloren. Und deshalb kommt der Westen zu Fall, einzig und allein deshalb.“ (F.M. Dostojewski)
Heute, im 21. Jahrhundert, kulminiert dieser kulturelle und epochale Dekadenzprozess in der Orientierungslosigkeit einer postmodernen „ideologischen Vielfalt“. Denn die (Post-)Moderne hat traditionelle Werte zerstört, welche „die Grundlagen individueller Identitäten und traditioneller Gemeinschaften waren.“ – Doch ist gerade deshalb die „Existenz klassischer Werte wichtiger denn je.“ (B. Orbán) Denn das, was der westliche Nihilismus zurückgelassen hat, ist „eine leere, entfremdete, ideologisch reindoktrinierte Masse, die, wenn nötig, die Massenmigration unterstützen wird. Mit Marsch in Richtung eines neuen irdischen Paradieses, das erreicht werden soll, wenn du Black-Lives-Matter auf deiner Kleidung trägst.“ (B. Orbán)
Insofern listet der Budapest-Report regionale Fallbeispiele von weltweiter Gewalt gegen christliche Gemeinschaften auf – und zwar auch in Europa selbst: in Montenegro und in Bosnien-Herzegowina, aber auch mitten im Westen, als sogenannte „hate crimes“ (Ellen Fantini): „Kirchen wurden angezündet, ausgeraubt, zerstört, christliche Statuen enthauptet und christliche Friedhöfe entweiht. Christen wurden wegen ihres Glaubens angegriffen oder getötet.“ (E. Fantini)
Es ist, als hätte eine dekadente Spätest-Kultur-Europa Joseph Conrad´s „Herz der Finsternis“ herbeibeschworen. (Philosophia Perennis)
Daneben bietet der Budapest-Report aber auch eine kulturkritisch-anthropologische Analyse: „Das Christentum war eine Antwort auf die Sünden der Welt, auf verwirrende Sozialexperimente, und menschliche Fragmentierung von Lebensstilen und des Bewusstseins“. (Dénes Harai: „Some Anthropological Aspects of Christian Culture“) – Oder wie es der Voraufklärer und Mathematiker Pascal ausdrückte: „In jedem Menschen steckt ein Abgrund. Den kann man nur mit Gott füllen.“
Seitdem aber „ist das Christentum in Europa zu einer Minderheit geworden und wird in Zukunft zunehmend isoliert werden.“ (László Gájer: “Christians on the Periphery: Dialogue, Mission and Solidarity”)
Am Schluss listet der Report noch „Staats- und Kirchenorganisationen zur Verteidigung des Christentums“ auf.
„Spirituelle Christenverfolgung in Europa“ (Miklós Szánthó)
Die Antwort auf die Frage „Warum ist Osteuropa wachsamer gegen die Gefahr einer ideologischen Diktatur?“ ist einfach zu beantworten: „Osteuropa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang terrorisiert, seine Aufstände wurden niedergeschlagen, und ihre Besatzer versuchten, seine Identität mit Gewalt zu zerstören.“ (Szánthó) – Und genau dieser Umstand bewirkte „die Kluft zwischen ost- und westeuropäischen Mentalitäten.“ (ebda)
Insofern aber führt Ungarn die Tradition eines Abwehrkampfes für die Freiheit und gegen die Tyrannei, aus der Zeit des antiken Griechenlandes, weiter: „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Doch das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“ (Perikles) – Denn „die blutige Vergeltung auf die ungarische 1956-er-Revolution machte eines für alle klar. Wir wissen, wer wir sind, und wir kennen auch die Identitäten unserer Feinde.“ (Szánthó)
Dass die Lage West-Europas längst hoffnungslos geworden ist, wusste keiner besser als der sowjetrussische Dissident und Nobelpreisträger („Der Archipel Gulag“) Alexander Solschenizyn (1918 – 2008):
„Ihr in Europa, ihr habt die Intelligenz ausgeschlossen. Ihr werdet leiden. Der Abgrund ist tief. Ihr seid krank. Ihr habe die Krankheit der Leere. … Das westliche System bewegt sich auf einen ultimativen Zustand geistiger Erschöpfung zu: Eine seelenlose Gesetzestreue, ein rationaler Humanismus, ein verbotenes Innenleben… Eure gesamten Eliten haben den Sinn höherer Werte verloren. Sie haben vergessen, dass das erste Recht des Menschen darin besteht, seine Seele NICHT mit Nichtigkeiten vollzustopfen…“ 1
Allerdings: Das wehrlose Nachkriegs-Europa wurde nicht durch primitive physische Waffengewalt, unterworfen, sondern durch einen Orwell´schen postmodernen Totalitarismus, die Political Correctness (PC). Der antike chinesische Militärstratege Sun Tzu (544–486 v. Chr.) wusste, wovon er sprach: „Ein geschickter Führer unterwirft die feindlichen Truppen kampflos. Er erobert ihre Städte ohne Belagerung. Er übernimmt ihr Königreich ohne lange Gefechts-Operationen.“ – Im Westen „erledigte (diese) verdeckte, äußerst effiziente Kriegserklärung“ der postmoderne Dekonstruktivismus: Indem „er jene Werte beseitigt, die uns in Menschen verwandeln“ und „das christliche Paradigma Europas zerstört“. (Szánthó) – Daraus aber folgt eine fast irreversible Konsequenz: „Wenn ein Mensch seiner natürlichen Umgebung, seiner Religion, seiner Nation, seiner Familie und schließlich, ad absurdum, seines Geschlechts beraubt wurde, dann müssen wir nicht einmal den Krieg erklären, da Gemeinschaften automatisch verschwinden.“ (Szánthó)
„Vor 27 Jahren glaubten wir, dass Europa unsere Zukunft ist. Im Augenblick sind wir es, die Europas Zukunft sind.“ (Orbán)
Doch erblickte Solschenizyn allerdings auch einen „Abgrund“, der „sich zum Licht hin öffnen wird. Kleine Leuchtkäfer werden in der Nacht in der Ferne flackern. Anfangs werden wenige Menschen diese flackernden, fragilen Lichter bemerken und vor feindlichen Gewittern schützen. Es wird Menschen geben, die sich erheben werden im Namen der Wahrheit, der Natur, des Lebens. Sie werden die Spirale des Niedergangs der Tapferkeit durchbrechen. So wird es zu einem Aufbrechen des dressierten Gewissens kommen. Heute sind die Dissidenten im Osten, sie werden bald im Westen sein.“ (s.o.)
„Ex oriente lux“
Im dekadenten römischen Reich verstanden die Christen darunter, ein Licht, das aus dem Osten kommt: das Christentum. Ob dieses Licht den gefallenen Westen noch einmal erleuchten wird, bleibt zweifelhaft… Denn und trotzdem war es gerade das Christentum, welches „eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Konzepts der Freiheit in Europa spielte, … und von hier aus die ganze Welt, unabhängig von der Weltanschauung, bereicherte“ (Koltay) – Und gerade deshalb „halten wir es für eine moralische Pflicht der Europäer, das christliche Erbe Europas wiederzubeleben. Und Christen auf der ganzen Welt zu schützen. (Vorwort Koltay)
Kein Volk weiß das besser…: „In den letzten tausend Jahren ging das Christentum für die Ungarn über die Religiosität hinaus. Dank der Tatsache, dass es mit der Verteidigung der Souveränität verflochten ist, mit spiritueller und kultureller Entwicklung und mit dem Aufstieg der ungarischen Nation, im Kampf mit fremden Zivilisationen und extremen Ideologien.“ (B. Orbán)
„Wenn die Liebenden fallen: Die Liebe fällt nicht.“ (Dylan Thomas)
In Wirklichkeit ist dieser westliche Nihilismus zwar noch nicht tot… Aber er befindet sich in der Raserei eines Totentanzes. Und er wird noch viel Unheil anrichten. Der „Osten“ scheint dagegen resilient zu sein. Die Zukunft des alten Europa wird scheitern – oder sich ein letztes Mal neu entzünden – an der Frage: Ob dieser alt gewordene Kontinent die schönste Utopie des menschlichen Geistes, seit es den Neandertaler gibt, neu mit Sinn beleben kann:
„Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben. Die nackten Toten, die sollen eins mit dem Mann im Wind und im Westmond sein. Blankbeinig und bar des blanken Gebeins ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht. Wenn sie irr werden, soll´n sie die Wahrheit sehn… Wenn sie sinken ins Meer, soll´n sie aufersteh´n. Wenn die Liebenden fallen – die Liebe fällt nicht… Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.“ (Dylan)
Die Liebenden, das Christentum, sind an der höchsten Utopie, der Liebe, gescheitert… So wie jede Idee an der vulgären Macht des Irdischen scheitern muss… Denn seit der römischen Spätantike hat die Kirche immer in gegenseitigem Interesse die Politik der Mächtigen getragen (großteils auch im deutschen Faschismus). Jetzt unterwirft sie sich wieder einem pervertiert-säkularen Alt-68er-Political-Correctness-Wahn. (Forster: „Offener Brief an meinen Ex-Schulkollegen, den Vorarlberger Bischof Benno Elbs) – „Die Nihilisten sind in der Gesellschaft in der Minderheit, aber die europäische Elite haben sie schon lange okkupiert.“ (Orbán)
Wir Liebenden mögen gefallen sein… Doch die höchste Idee, jene von der Liebe, fällt nicht… Denn „es ist die Liebe, nicht die Vernunft“, die „dem Tod entgegen steht“. (Thomas Mann)
Selbst einer der größten Nihilisten, Gottfried Benn, ahnte, dass dieser Nihilismus nicht das letzte Wort sein kann…: Und dass „aus Fernen, aus Reichen“ eine Hoffnung in unser Irdisches hereinweht:
„Was dann nach jener Stunde sein wird, wenn dies geschah, weiß niemand: Keine Kunde kam je von da, von den erstickten Schlünden, von dem gebroch’nen Licht… Wird es sich neu entzünden? Ich meine nicht. Doch sehe ich ein Zeichen, über das Schattenland, aus Fernen, aus Reichen: Eine große, schöne Hand, die wird mich nicht berühren, das lässt der Raum nicht zu: Doch werde ich sie spüren. Und das bist du. Und du wirst niedergleiten am Strand, am Meer. Aus Fernen, aus Weiten: ‚- Erlöst auch er‘“ (Hier eine Interpretation)
Die Quintessenz daraus fasste einer der frühen Modernen in betörend einfache Worte: „Ich glaube, wenn der Tod unsere Augen schließt, werden wir in einem Lichte stehen, von welchem unser Sonnenlicht nur der Schatten ist“ (Arthur Schopenhauer). – Noch kindlicher sah es Mathias Claudius: „Und am Ende meiner Reise hält der Ewige die Hände und er winkt und lächelt leise – und die Reise ist zu Ende.“) (Hier eine Analyse: „Notre Dame – Unser verlorenes Ich“)
Quellen:
The Budapest Report on Christian Persecution 2020 is available now – Hungary Helps (gov.hu)
Der Budapest-Report ist als PDF-Dokument in Ungarisch und Englisch abrufbar.
Außerdem liegt auf youtube ein interessantes Round-Table-Gespräch vor.
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1) Zitiert nach: Eva-Maria Michels: „Gesellschaftlicher Infantilismus und Gewalt, die siamesischen Zwillinge“; in „Infantilismus – Der Nanny-Staat und seine Kinder“ / Hrsg.: Christian Günther, Werner Reichelt / Team Stronach Akademie, 2016