Angela Merkel wird nur noch bis zur Bundestagswahl im September Kanzlerin sein. Nikolaus Blome weiß jetzt schon, daß „wir“ sie vermissen werden. So steht es im „Spiegel“. Schade, daß „wir“ Blome und den „Spiegel“ nicht ebenfalls vermissen werden. Die Medienkritik.
von Max Erdinger
Es gibt bei Youtube ein faszinierendes Ultra-Slow-Motion-Video, das ich mir ein paarmal angesehen habe, so faszinierend ist es. Ein ausgemusterter Kampfjet kracht ferngesteuert mit 800 km/h gegen die meterdicke Betonhülle eines Atomreaktors. Was passiert? – Der Jet dematerialisiert sich. Er löst sich komplett in Luft auf – und ist danach einfach spurlos weg. So, als hätte es ihn nie gegeben. Die Betonhülle hat nur ein paar Kratzerchen.
Normalerweise würde ich ausrasten, wenn jemand das Wort „Merkel“ zu mir sagt. Ich würde zappelnd und schreiend durch die Gegend rennen und könnte mich nicht eher wieder beruhigen, als bis ich vor physischer Erschöpfung zusammenbreche. Es gibt in der gesamten deutschen Nachkriegsgeschichte nicht einen Politiker, der mich so aufregt wie die demnächst scheidende Bundeskanzlerin. Aber ich habe einen bewußtseinstechnischen Kniff entdeckt, der es mir ermöglicht, ruhig zu bleiben, wenn jemand „Merkel“ zu mir sagt. Das läuft so: Das Wort „Merkel“ geht in den Gehörgang hinein. Wenn es am Trommelfell ankommt, macht mein Gehirn etwas, das man von der Abgasbehandlung beim Dieselmotor kennt. Zerstäubter Harnstoff („Ad Blue“) wird in den heißen Auspuff eingespritzt, um das Abgas von Schadstoffen zu reinigen. Mein Gehirn spritzt die Phrase „800 Stundenkilometer“ mit Hochdruck genau in dem Moment durch eine Zerstäuberdüse direkt auf das Trommelfell, in dem das Wort „Merkel“ dort eintrifft. Das ermöglicht es mir, ganz ruhig zu bleiben, wenn es um „Merkel“ geht. Wäre es anders, wäre ich schon tausend Mal an einer zerebralen Schadstoffvergiftung verstorben, die unter dem medizinischen Fachbegriff „letale Merkelintoleranz“ bekannt ist. Es gibt nicht ein einziges scharfes Foto von jemandem, der gerade an letaler Merkelintoleranz verstirbt, so ein Gezappel ist das. Ein furchtbarer Tod.
Es gibt aber auch Zeitgenossen, die mit einer ausgesprochenen Merkeltoleranz gesegnet sind. Die können über Merkel schreiben, ohne dabei an „800 Stundenkilometer“ zu denken. Herzlichen Glükwunsch an Nikolaus Blome. Im „Spiegel“ schreibt der ehemals stellvertretende Chefredakteur und Politikchef der „Bild“-Zeitung völlig vibrationsfrei über Merkel, als ob das gar nichts sei. Von sagenhafter Laufruhe ist bereits seine Schlagzeile: „Warum uns Angela Merkel fehlen wird„. Der Merkelintolerante jedoch ist argwöhnisch und glaubt nicht daran, daß sie „uns“ fehlen wird, nur, weil sie nicht länger mehr Bundeskanzlerin sein wird. Voller Mißtrauen mutmaßt er, daß Merkel an anderer Stelle wieder auftauchen wird, womöglich gar als Kaiserin der Vereinten Nationen – und beschleunigt im Geiste vorsichtshalber auf 850 Stundenkilometer.
Nebenbei Albtraum
In einem meiner Albträume hat Merkel vor der Metzgerinnung in Würzburg zu den Hackfleischproblemen wegen defekter Fleischwölfe gesprochen. Ich kann mich genau an den Wortlaut ihrer geträumten Rede erinnern: „Gemeinsam mit den Metzgern stehen wir hinsichtlich der Fleischwölfe vor großen gemeinsamen Herausforderungen in der Zukunft, einer Bewährungsprobe, die wir im konstruktiven Dialog bei bilateralen Gesprächen auf Augenhöhe voller Zuversicht zu bestehen haben werden. Gemeinsam schaffen wir das.“ – 900 Stundenkilometer …
Nikolaus Blome
Jetzt aber Nikolaus Blume, die unsensible Metzgerseele: „Die Kanzlerin hatte nie eine Vision für die deutsche Gesellschaft. Doch wer auf sie schaute, wusste verlässlich, wo gerade die Mitte lag.“ – Das hat die seelische Robustheit desjenigen, der ungerührt einen Container mit Schlachtabfällen betrachten kann, bei dem abgehackte Schafsfüße über den Rand herausschauen. Egal, wie weit links den Container jemand im Schlachthof abgestellt hat: Wenn man ihn so ins Visier nimmt, daß man eine gute Vision hat, erkennt man, wo bei den Schlachtabfällen die Mitte ist. „Wo gerade die Mitte lag“- geht´s noch, Nikolaus Blome? Eine Mitte, die mal hier und mal dort liegt, ist keine Mitte, sondern ein unstet wandernder Punkt. Merkel ist noch nie „Mitte“ gewesen, sondern immer extremes Mittelmaß. Das ist ein Unterschied. Ihre Reden bei den Bundesparteitagen der CDU in den Jahren 2002 und 2003 waren das exakt mittelmäßige Gegenteil von dem, was sie 15 Jahre später mittelmäßig behauptete. „Diejenigen, die uns in der Zuwanderungsdebatte in die rechte Ecke stellen wollen …“ war ihre Rede 2002 oder 2003 als Parteichefin der CDU – gegen SPD und Grüne. Und „diejenigen, die wir selbst bei der Zuwanderungsdebatte in die rechte Ecke stellen …“ war trotz immer noch ein- und derselben Debatte 2018 ihre (unausgesprochene) Rede. Mit SPD und Grünen zusammen. Merkel 2002/2003: “ … es wird ihnen nicht gelingen.“ Merkel 2018: Uns jedoch ist es gelungen. Was soll daran „Mitte“ sein? Tagesaktueller Opportunismus ist nicht „Mitte“. Alles, was seit Jahren zu erkennen gewesen ist, wenn man „auf Merkel schaute“, war, daß ihr jede noch so berechtigte Kritik mittig am Allerwertesten vorbei gegangen ist. Und eine Brille hätte man bei einem solchen Allerwertesten noch nicht einmal gebraucht, um zu erkennen, wo der seine Mitte hat. Was man sonst noch erkennen kann, wenn man „auf Merkel schaut“, ist, daß schon ihre bloße Anwesenheit anzeigt, wie der Mittelpunkt des politischen Desinteresses eines ganzen Volkes aussieht. Kein schöner Anblick. – 950 Stundenkilometer …
Blome: „Irgendwann muss es ja sein, irgendwann müssen wir ja beginnen, Angela Merkel zu verabschieden, und uns einen Reim auf die vergangenen 16 Jahre machen. Ich fang dann also an, in der letzten Woche gab es gleich drei »letzte Male« für die schier ewige Kanzlerin: letzte Fragestunde, letzte Regierungserklärung, letzter EU-Gipfel. Von keinem dieser letzten Male wird übrigens etwas in Erinnerung bleiben, außer dass es ihre letzten Male waren. Überrascht das jemanden? Mich nicht.“ – gar nichts müssen „wir“. Merkel verabschieden schon dreimal nicht. Wenn sie weg ist, dürfen „wir uns“ dafür schämen, uns 16 Jahre lang von einer ausgesprochenen Autokratin auf der Nase herumtanzen lassen zu haben. Da müssen „wir“ uns nicht viel zusammenreimen. Es gibt genau einen Sachverhalt, dessentwegen an Merkel mit einem Mahnmal – nicht Denkmal – zu erinnern sein wird. Es ist ihr Verdienst, überdeutlich aufgezeigt zu haben, in welchen Illusionen das deutsche Volk hinsichtlich seiner selbst zu leben pflegt. 16 Jahre Merkel haben gezeigt, daß es sich bei diesem Volk eben nicht um freie Erwachsene handelt, die ihre freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen totalitäre Anmaßungen aller Art verteidigen würden; daß es sich nicht um Demokraten handelt, die sich dagegen verwahren würden, daß ordnungsgemäß verlaufene Wahlen auf Geheiß einer Autokratin einfach einkassiert werden (MP-Wahl Thüringen 2020). Merkel hat nachgewiesen, daß sich das deutsche Volk nach wie vor jede „Quadratsauerei der Macht“ bieten läßt, ohne dagegen aufzubegehren. Noch nicht einmal seine Grundrechte verteidigt es mit allem, was es hat. Das aufgezeigt zu haben, ist Merkels einziges Verdienst. Merkel hat bewiesen, daß es dem deutschen Volk großteils sogar dann egal ist, wer „seine Interessen vertritt“, wenn jemand seine Interessen nicht vertritt. Es reicht diesem Volk schon, daß sie jemand tritt. Von wegen „Schaden abwenden und Nutzen mehren“. Merkel hat den Nutzen abgewendet und den Schaden gemehrt. Weswegen es gerechtfertigt wäre, sie auch nicht mit „Frau Bundeskanzlerin“ anzureden, sondern mit „Frau Kandesbunzlerin“. Die erste Frau als Bundeskanzler wird in die Geschichte eingehen als deutsches Regierungsdesaster Nummer drei. Parallel dazu wird das deutsche Volk dieser Jahre in die Geschichte eingehen als autoritätshöriges Generaldesaster. Die einzige Gelegenheit, von der ich mir vorstellen kann, daß „uns“ Merkel fehlen wird, wäre dann, wenn sie nicht mehr zu greifen ist, obwohl sie eigentlich vor Gericht zu erscheinen hätte. – Schallgeschwindigkeit …
Nikolaus Blome im „Spiegel“: „An scharfen Urteilen ist bereits kein Mangel. Die einen sagen (unter anderem Christoph Schwennicke in der »Welt«), Merkel habe die Dinge überwiegend falsch gemacht und die CDU in einen Trümmerhaufen verwandelt, der nicht einmal mehr qualmt. Die anderen (zum Beispiel Jakob Augstein) sagen sinngemäß, Merkel habe überwiegend gar nichts gemacht und das Land derart dauersediert, dass sie es nun mit multiplem Organversagen hinterlasse.“ – und das sind noch nicht einmal Urteile, sondern Festellungen von mehr oder minder großer Relevanz. Merkel hat die CDU nicht in einen Trümmerhaufen verwandelt, ohne daß die CDU sich von ihr willfährig in einen Trümmerhaufen hätte verwandeln lassen. Was meiner Ansicht nach verdeutlicht, aus welchen Individuen die Union bereits zusammengesetzt gewesen war, bevor Merkel mit ihrem Zerstörungswerk begann. Es scheint in der CDU niemanden größer gestört zu haben, sich eine in Sowjet-Moskau studiert habende, ehemalige FDJ-Sekretärin für Agitation & Propaganda als Parteichefin und Kanzlerin vor die Nase setzen zu lassen, ein regelrechts U-Boot, so lange gewährleistet blieb, daß Parteikarrieren möglich bleiben, wenn man sich nur gut genug anpaßte, um sich von der Tragkraft ihrer Sprechblasen mit der Merkelströmung nach oben tragen zu lassen. Eine alte Weggefährtin Merkels, Vera Lengsfeld, hätte die Informationen zu Merkel gehabt, die es gebraucht hätte, um zu wissen, wen man sich da in die Partei geholt hatte. Hören wollte es halt kaum jemand. Die CDU ist völlig zu Recht ein Trümmerhaufen, der nicht einmal mehr qualmt. Daß Merkel überwiegend gar nichts gemacht habe, wie Jakob Augstein meint, stimmt nicht. Merkel hat immer sehr genau zugehört, still und leise zunächst, um herauszufinden, welche Positionen mehrheitsfähig zu werden drohen, um sich dann genau solche Positionen zueigen zu machen und sich zur Wortführerin aufzuschwingen. Da ging es immer nur um Mehrheit, nie um die Sache. Merkel hat 16 Jahre lang sehr fleißig machtstrategische Spielchen um der Macht Willen gespielt, nicht ein einziges Mal wegen des Volkes Willen. Untätigkeit sieht anders aus. – Mach 1,5 …
Der vormalige stellvertretende Chefredakteur von „Bild“: „Trotzdem wird man Merkels vierfach fragmentierter Ära nicht wirklich gerecht, wenn man sie in einer einzigen großen Gesamtnote zusammenfasst.“ – Doch, wird man. Summa summarum läßt sich nach 16 Jahren Merkel sagen, daß es sechzehn ausschließlich zum persönlichen Nutzen von Merkel vertane Jahre gewesen sind. Ihre Bilanz ist eine einzige Katastrophe.
1. Die Staatsverschuldung hat astronomische Höhen erreicht.
2. Die Steuerquote hat ebenfalls astronomische Höhen erreicht.
3. Die Innere Sicherheit ist praktisch nicht mehr existent.
4. Gewalttätige Schlägerbanden von links terrorisieren das ganze Land.
5. Deutsche sind wieder in ganz Europa als notorische Klugscheißer verschrien.
6. Utopistische Hypermoral regiert allerorten und schlägt blindlings auf alles ein, was im entferntesten mit Pragmatismus, Realitätssinn, Anstand und Verstand zu tun hat.
7. Die Beziehungen zu Russland sind auf einem Tiefpunkt, die zu den USA sind nicht viel besser.
8. Nationale Kompetenzen wurden in einem ungeheuerlichen Ausmaß an supranationale Institutionen verscherbelt.
9. Die deutschen Medianvermögen wurden zu den kleinsten in der ganzen EU (ausgenommen die südosteuropäischen Neumitglieder).
10. Depressionen sind zur Volkskrankheit Nummer eins geworden.
11. Die Bürokratie ist zu einem wahren Amokläufer geworden.
12. Demokratie ist nur noch eine Illusion.
13. Technologisch rangiert die Bundesrepublik inzwischen unter „ferner liefen“.
– und es gäbe noch so viel mehr, womit sich das Merkel-Desaster illustrieren ließe. Es ist schier endlos.
Aktuell überprüft das Bundesbildungsministerium der Frau Karliczek die Verwertbarkeit des digitalchinesischen „Social Scoring Systems“ für die Bundesrepublik. Merkel („Sie ist eine Frau und sie kommt aus dem Osten“) schiebt auch dem wieder keinen Riegel vor. Angela Merkel ist und bleibt eine politische Heimsuchung, an deren unseligem Wirken die Bundesrepublik – sollte es sie bis dahin überhaupt noch geben als souveränen Staat – weitere Jahrzehnte zu knabbern haben wird. Auch wenn sie im September aus dem Kanzleramt auszieht, – das autokratische, demokratieverachtende und totalitäre „System Merkel“, mit dem sich das ganze Land infiziert hat, „funktioniert“ inzwischen auch ohne Merkel. So gesehen wird „uns“ Merkel noch sehr lange beschäftigen, sogar dann noch, wenn sie schon sehr lange keine Kanzlerin mehr ist. Es wird um die Rückverwandlung der von ihr zu verantwortenden, nannystaatlichen „Freiluftklapse Deutschland“ in ein freiheitliches Gemeinwesen von vernunftbegabten Eigenverantwortlichen gehen. Merkel hinterläßt keine Baustelle, sondern einen Bombenkrater. Angela Merkel wird niemandem fehlen. Und vermissen werden den „Schutzschirm Merkel“ allenfalls diejenigen aus ihrer Umgebung, deren eigene Unfähigkeit der Kanzlerin dazu diente, sich jene Kompetenz vom Leibe zu halten, die ihr hätte gefährlich werden können. Auf Nimmerwiedersehen, Frau Merkel! – Mach 2 …