Horst D. Deckert

Nazi werden mit WIZO

Eines der wenigen Überbleibsel aus meiner etwas wilderen Zeit ist die Punkband WIZO. Ich weiß nicht, wie weit sie heute selbst noch in der linken Szene bekannt ist, es gab aber einmal eine Phase, in der inbrünstig mitgesungen wurde, wenn sie in einschlägigen Lokalen gespielt wurden. Dank des Zufallsgenerator meiner Abspielliste habe ich mir heute wieder einmal eines ihrer Lieder angehört und im Stillen mitgenickt und den Text leise geflüstert. Dabei fiel mir etwas auf: Nach heutigen Standards sind deren Liedtexte mal ziemlich nazi. Die Band zeigt exemplarisch, wie sehr sich das Verhältnis zwischen Leit- und Gegenkultur in den vergangenen beiden Jahrzehnten ins Gegenteil verkehrt hat.

Quadrat im Kreis

Die wohl besten Alben der Band sind UUAARRGH! und Herrénhandtasche aus den Jahren 1994 und 1995. In beiden Alben sind einige Perlen enthalten, von denen insbesondere Quadrat im Kreis heraussticht. Es ist eine Hymne für das Gefühl der Jugendlichkeit, in der man sich noch selbst am suchen ist und manchmal nicht so recht weiß, wie man in die Welt passen soll. Nach vielen Jahren klingt das Lied immer noch aktuell, wobei sich heute mit dem politisch induzierten gesellschaftlichen Sinkflug in die totale Auflösung eine neue Metaebene eröffnet.

Hin und wieder stell’ ich fest
Daß ich nicht mehr lachen kann
Über Sachen die ich früher lustig fand

Ja, so geht es mir heute auch. Die lakonische Bemerkung des „Der ist gar nicht gut gealtert“ huscht immer öfters durch meinen Kopf, wenn ich an alte Scherze denke, wie etwa die Veräppelung eines Pharmalobbyisten der damals noch jungen heute Show, weil er davor warnte, dass wir zu viele Medikamente importieren müssen. Hätten wir doch nur ein bisschen nachgedacht, anstatt den billigen Lacher mit ins Wochenende zu nehmen.

Hin und wieder merk’ ich auch
Daß ich keine Menschen brauch’
Und lieber ganz alleine bin

Auch hier kann ich nur zustimmen. Ob Migranten, Antifa oder die linke Moral- und Gesinnungspolizei in Medien und Politik – ich brauche sie alle nicht und muss sie dennoch finanzieren und mir von ihnen anhören lassen, was für ein schlechter Mensch ich bin, während sie mich gnadenlos zensieren, sobald ich ein Widerwort von mir gebe.

Doch der Schmerz ist zuckersüß
Und irgendwie auch so vertraut
Ich hab’ mich dran gewöhnt

Wer nur noch schikaniert wird, der ist besser dran, wenn er alleine ist. Ein schöner Zustand ist das nicht, sich nur noch in der Schmuddelecke des Internets frei fühlen zu können. Aber, wie die dritte Zeile meint, man gewöhnt sich daran.

So fehlt zur letzten Konsequenz
Einmal mehr das bisschen Mut

Auswandern wäre das Mittel der Wahl. Noch sind die Grenzen offen und es gibt Länder, die genauso schön und frei sind, wie sie uns willkommen heißen. Dennoch fehlt mir der Mut dazu. Zwar spielt auch die Gesundheit bei mir mit rein, während es bei anderen das Alter ist. Doch sind das am Ende nicht alles Ausreden?

Und die paradoxe Wut darüber
wird im Traum ertränkt
Von der beschissenen Leichtigkeit des Scheins

Wenn es tatsächlich so schlimm wird wie befürchtet, dann werden wir ohnehin gehen müssen. Jetzt wäre noch die Zeit dafür. Die meisten aber bleiben dennoch, auch ich. Wir geben uns der Illusion hin, im Abseits der Meinungsströme etwas erreichen zu können, oder dass bei Wahlen zumindest ein Kreuzchen an der notwendigen Stelle gesetzt wird. Noch ist alles leicht, zu leicht, als dass auf persönlicher Ebene wirkliche Konsequenzen angezeigt wären.

Hin und wieder wird mir klar
Daß alles anders geworden ist
Als es scheint, dass es früher einmal war

Oh ja. In den Innenstädten sieht es aus wie in Addis Abeba, die Wände überall zugeschmiert mit halbgaren Graffiti, immer mehr wird zertrampelt, überall gehen Mauern hoch, werden Zäune errichtet und gaffen einen die Überwachungskameras an. Die Menschen tragen Maulkorb und blicken einen verwundert und bar jeder Emotionen entgegen, wenn sie einmal von ihrem Smartphone hochschauen. Zu oft bekommt man verrohte Sprachfetzen angeworfen. Die Freude über das allgemeine Dasein ist es schon lange verschwunden.

Hin und wieder spüre ich
Dass ich die Sonne nicht mehr mag
Weil ich das helle Licht nicht mehr ertrag’

All die politischen Versprechungen, sind sie nicht schon lange Hohn? Die Rente, die öffentliche Sicherheit, die Integrität des politischen Personals, das vorausschauende Handeln des Staates, das soziale Miteinander, große Samstagabendshows. Alles sind nur noch grelle Kulissen, Potemkinsche Dörfer, die hastig überall da hingestellt wurden, wo es dahinter brennt. Ich schaue schon gar nicht mehr hin.

Raum der Zeit

Kaum weniger einprägsam als ist auch das Lied Raum der Zeit, auch wenn es einem anderen Thema folgt. Quadrat im Kreis ist eine Innenansicht, Raum der Zeit hingegen enthält eine Einordnung in die andere Richtung. Es geht um die eigene Position und den eigenen Wert in der Welt.

Ich bin schwul, ich bin jüdisch und ein Kommunist dazu
Ich bin schwarz und behindert, doch genauso Mensch wie du
Ich bin hochintelligent, und doch so doof wie Sauerkraut
Ich bin schön, ich bin hässlich, ich bin fett und gut gebaut

„Das ist ein Superbingo!“ würden gewisse SS-Offiziere dazu kommentieren. In der heutigen Welt voller poststruktureller Dekonstruktion wäre das wirklich ein Volltreffer, Grünenvorsitz garantiert. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass es sich um einen Text aus den frühen 90er Jahren handelt, es ist unwahrscheinlich, ob sich die WIZO Leute damals schon trotz ihres Daseins als Punker linker Provinienz mit Kritischer Theorie beschäftigt haben.

Es gibt nichts (nichts)
Nichts was dich besser macht als mich

Oh, oh, oh. Die Hinweise verdichten sich, dass sich hinter obiger Beschreibung äußerlicher Merkmale die Aussage verbergen könnte, wonach alle Menschen gleich gemacht sind und daraus abgeleitet, über die gleichen Rechte verfügen sollten.

Denn auch du hast deine Fehler, deine Fehler so wie ich
Und die Fehler sind nix falsches, sie gehören zu dir und mir

Aha, da haben wir sie ja schon, die Naziaussage. Die Aussage, wonach jeder darf Fehler macht, während das Fehlermachen normal sei, muss durch die heutige Linse betrachtet schon als grenzwertig gewertet eingestuft werden. Es sind weiße, heterosexuelle Männer, die singulär als einzige Gruppe für alle Fehler verantwortlich sind, denn sie halten das sie begünstigende Patriarchat aufrecht und perpetuieren dadurch die Unterdrückung aller anderen. Sie haben alle Macht in der Welt und deswegen basiert jeder Fehler auf ihrem Handeln.

Und wenn du ‘s nicht auf die Reihe kriegst, kann niemand was dafür

Wer bei den zwei Zeilen davor noch Zweifel hatte über die Grenzwertigkeit der Aussage, der bekommt hier die unzweifelhafte Bestätigung. WIZO transportiert hier tatsächlich die alte kapitalistisch-neoliberalistische Unwahrheit, dass jeder für seine eigenen Fehler verantwortlich sei. Schaut man dann allerdings auch einmal genauer hin bei der Band, dann wird klar, woher der Wind weht: Sie besteht ausschließlich aus weißen, heterosexuellen Männern! Und dann noch schaffe-schaffe-Häusle-baue-Schwaben! Pfui!

Du bist einer von Milliarden und das musst du akzeptieren
Du bist einer von Milliarden Ärschen auf der Welt

Natürlich musste gleich hinterher die Dekonstruktion der Besonderheit folgen. Alles ist ein großer grauer Brei, in dem der einzelne Mensch nichts zählt, bzw. nur unter hartem Einsatz seiner Fähigkeiten herausragen kann, so dass seine Stimme etwas zählt. Es ist das diametrale Gegenteil von Gerechtigkeitsquoten.

Deine Werte, deine Normen, die Moral und das Gesetz
Sind entbehrlich und ersetzbar, überflüssiges Geschwätz

Eine Aussage mit Schlagkraft: Wer selbst nichts leistet, der muss sich nicht wundern, wenn er sich obsolet macht. Nichts zählt, außer das, was man selbst im Stande ist zu schaffen. Die Quintessenz des biederen Schwabentums, sozusagen.

Heute gültig, morgen nichtig, übermorgen umgekehrt
Was hier richtig oder wichtig, ist woanders ohne Wert

In fast prophetischer Manier gibt sich WIZO an dieser Stelle vorahnungsvoll und warnt davor, dass sich die Normen in Politik und Gesellschaft so schnell ändern, dass sich niemand darauf verlassen kann. Wer seine Hoffnungen in die Politik setzt, oder auf die den Gemeinsinn in der Gesellschaft baut, der wird gnadenlos enttäuscht werden. Niemand schafft es, sich an die Moden so anzupassen, dass er immer im Plus enden wird. Nur das selbst geschaffene kann derartige Wandlungen überstehen. Es ist ein Abgesang auf den Kollektivismus und ein Hurra auf die Autonomie der individuellen Freiheit.

Deine Götter, deine Kirchen, Glauben, Beten, Religion
Heute heilig, morgen Frevel, übermorgen blanker Hohn

Buchstabensexualität, Transenkult, Christopher-Street-Day, Dunya Halali und Tatort schauen. Das sind die damals noch unbekannten Stichworte dieser Liedzeilen. Oder ist vielleicht doch eher Thomas Gottschalk gemeint, der erst Millionen für Seichtes kassierte und dann wegen seiner Kritik am GEZ-Funk in der Versenkung verschwand? Oder Till Schweiger, der erst aufs Tableau gehoben wurde, als er mit Migrantenheimen werben ging und sich dann mit Boris Reitschuster ablichten ließ? Nichts zählt mehr, die Götter fallen und der blanke Hohn bleibt zurück.

Und das Geld und der Ruhm, und die Unvergänglichkeit
Sind bei näherem Betrachten
Für ‘n Arsch

Als das Lied geschrieben wurde, trug Annalena Baerbock zwar noch Windeln, aber auf wen sonst könnte diese Stelle zutreffen, wenn nicht auf sie? Geld hat sie von Hause (& von der Grünenstiftung aus), Ruhm hat sie dank Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur und Unvergänglich wird ihr Name bleiben, genauso wie es einem gewissen Relotius geschah. Doch was wird es wert sein? Als Fehler auf zwei Beinen in die Geschichtsbücher einzugehen, wenn das nicht „Für ‘n Arsch“ ist, was dann?

Du bist nicht der Mittelpunkt des Universums
Du bist nur ein Arsch im Raum der Zeit

Ein versöhnliches Ende, nicht wahr? So wie die Dinge stehen, könnte es absehbar jedoch leider dazu kommen, dass wir jemandem nicht einmal mehr diese Einschätzung entgegenbringen dürfen. Je nachdem werden sie dann plädieren auf Mikroaggression oder Majestätsbeleidigung. Wenig verwunderlich schließt das Lied denn auch mit klassischem Gaga als der vermutlich einzigen Ausdrucksform, der wir auch in jenem Alptraum noch nachgehen dürfen werden, den uns die Band WIZO in ihren Liedern näherbringt: Gaga…

A E D C D C A G, A E D
A E D C D C A G, A E D

Höchststrafe FDP-Schicksal

Ja, WIZO war eine ausgezeichnete Band. Trotz ihrer Bekanntheit in einigen ausgewählten Kreisen war sie viel zu unbekannt für die Qualität, die sie in ihrer Hochzeit geliefert haben. So wird es dann wohl auch niemandem auffallen, wie sehr sie sich damals in ihren Texten gegen genau das gerichtet haben, was wir heute als den linken Zeitgeist bezeichnen, der uns alle umgibt und umerziehen will.

Wie wenig sich die Band denn auch ihrer eigenen Wurzeln bewusst ist, zeigen denn auch Werke neueren Datums, in denen es wenig subtil und voll im Takt zeitgeistiger Wahrheiten „Klar gegen Nazis“ geht. Wo es früher die Introspektive und der anarchische Individualismus war, von denen ihre Texte geprägt waren, in denen stets ein Appell an die eigenen Tugenden mitsamt einer Warnung vor falschen Träumen transportiert wurde, wird heute wie überall nur noch das Lagerdenken gepflegt und der Feind markiert. Es ist ein fader, langweiliger, berechenbarer Massengeschmack, der nur noch das Röckchen des Protests trägt, zwischen den Zeilen aber schon lange den musikalischen Leichengeruch des kleinsten gemeinsamen Nenners absondert, den man ehrlich formuliert als Agit-Prop-Schlager bezeichnen müsste.

Zur Entschuldigung sei gesagt, dass die Band seit ihrer Neugründung 2009 über ein völlig neues Personal verfügt. WIZO existiert in etwa so wie die FDP als eine altbekannte und bewährte Marke weiter, deren substanzieller Inhalt jedoch entfernt wurde, um die leere Hülle mit kunterbunten Luftblasen zu füllen. Von dem, wofür die Band einstmals stand und woran sie uns dem Namen nach weiterhin erinnern soll, ist leider rein gar nichts übrig geblieben.

Quelle Titelbild

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