Horst D. Deckert

Ein Erlebnisbericht aus dem Hochwassergebiet in Westfalen

Ein Leser schickte mir einen Erlebnisbericht zu, und wie er die Überschwemmungen der letzten Tage in seiner Region erlebt hat. Es geht um persönliche Erlebnisse, das größere Bild im Mittelgebirge und welche Konsequenzen aufgrund der Katastrophe zu erwarten sind. An einigen Stellen habe ich kleinere Korrekturen vorgenommen und auch die Zwischenüberschriften stammen von mir.

Erlebnisbericht aus Westfalen

Ich befinde mich in der Region des westfälischen Sauerlandes die am stärksten von dem Unwetter betroffen ist; muss aber feststellen, dass das Ausmaß der Zerstörung vor Ort, im Gegensatz zu den bedrückenden Bildern der Verheerung aus der Ahrregion, wesentlich geringer ist.

Hochwasserumstände im Mittelgebirge

Als Rekordniederschlagsgebiet im Mittelgebirge ist man hier Regen sattsam gewohnt, was paradoxerweise ein wesentlicher Grund für das Fichtensterben war. Die Fichte hat wohl durchaus das Potential tiefer im Boden zu wurzeln. Doch vom Regen verwöhnt, fehlt ihr der Anlass, tiefere Wurzeln zu treiben, was ihr bei unerwarteter Dürre dann den Garaus macht. Ebenso gegen die hier sehr seltenen Stürme ist sie wenig resistent.

Die viel gescholtenen Fichtenmonokulturen sind grundsätzlich ein erfolgreiches Bestreben der Forstwirtschaft, die nach dem Kriege erhöhte Nachfrage nach Bauholz zu befriedigen. Was man ökonomisch als Minimalprinzip bezeichnet, ist die typisch deutsche aus der Not geborene Tugend, mit Expertise und Geschick das Allerbeste aus eher mangelhaften Voraussetzungen zu schaffen. Leider ist Effizienzweltmeisterschaft auch immer der sprichwörtliche Ritt auf der Rasierklinge.

Enge Täler vom Vorteil zum Nachteil

Besonders hier ist die Region strukturell davon geprägt, dass man sich vor der Erfindung der Dampfmaschine die Wasserkraft in den Tälern zunutze gemacht hat. Was den Solingern der Messerstahl ist, ist hier seit dem Mittelalter der Draht.

War die Enge der Täler in vorindustrieller Zeit von Vorteil, ist dort eine Erweiterung von Produktionsstandorten kaum noch möglich. Die Hauptverkehrsstraßen verlaufen ausnahmslos entlang größerer Bäche und sind umsäumt von mittelständischen Drahtherstellungsbetrieben.

Die Topografie insgesamt ist typisch für das Mittelgebirge, mit vielen Hängen, Anhöhen und Tälern; das Klima ist eher feucht aber ausgesprochen medioker ohne wirkliche Extreme. Darüber hinaus gibt es im erweiterten Umkreis gefühlt mehr Talsperren als Seen in Finnland.

Herbstliche Überschwemmung sind mancherorts seit über hundert Jahren gewohnte Regelmäßigkeit. Warnungen des Deutschen Wetterdienstes konnte man in der Vergangenheit getrost ignorieren, bislang kam es nie so schlimm, wie vorhergesagt wurde.

Der überschwemmte Arbeitstag

Diesmal jedoch fing es schon früher an als erwartet – mitten in der Nacht. Meine einzige Sorge war, dass wieder Wasser den Kamin hinunterkommen könnte, wie es bei Starkregen manchmal vorkommt.

Als ich gegen fünf Uhr kurz wach wurde, wollte ich vorsorglich nur den Eimer am eigens dafür installierten Ablauf leeren. Allerdings war dieser längst übergelaufen. Mit ein paar Handtüchern hatte ich das zwar schnell im Griff, draußen waren da aber schon die Martinshörner zu hören.

Mein Auto konnte ich noch trockenen Fußes erreichen. Beim Gespräch mit meinem Nachbarn aber verlief ein ausgewachsener Bach mittig auf der Straße zwischen uns.

Den Weg zur Arbeit musste ich über die Höhen und Waldstraßen nehmen, da die Hauptstraße in einer Richtung bereits gesperrt war. Meine Firma liegt in eben einem dieser Täler direkt der Hauptstraße. Deren Parkplatz befindet sich direkt am Bachufer, die Firma selbst ist über eine kleine Brücke zu erreichen.

Mein Arbeitsplatz befand sich nur hundert Meter vom Überschwemmungsgeschehen entfernt, mehrfach bekam ich auch bei der Arbeit unfreiwillig eine Dusche ab; immer wieder waren nah und fern Sirenen und Martinshörner zu hören. Gegen Mittag überschlugen sich dann die Nachrichten über eine Vielzahl Straßenvollsperrungen.

Beeindruckende Bilder kamen per Mobiltelefon, bald darauf musste ich mich darum sorgen, überhaupt nach Hause zu kommen. Die ersten Angebote für Nachtquartiere wurden an mich herangetragen.

Bald war auch der Weg zum Betrieb selbst versperrt. Ein Radlader vor uns würde bestimmt noch eine Stunde brauchen um die Masse an Geröll wegzuschaffen, die vor uns auf der Straße lag. Alle Straßen in die Stadt und aus ihr heraus waren nun offiziell gesperrt.

Während mein Arbeitskollege unseren Chef von der Unpassierbarkeit des Geländes in Kenntnis setzte, schaute ich nachdenklich auf den Bach neben mir, dessen Gischt wütend gegen die kleine Brücke drückte. „Falls du da nun reinstürzen solltest, kommst du da wohl nicht mehr lebend raus“, war mein Gedanke.

Land unter mit Toten

Während die Anwesenden vor Ort den am Bach gelegenen Firmenstandort mit allen verfügbaren Mitteln versuchten, vor einer Überschwemmung zu schützen, setze ich den Kollegen in der Nähe seines Hauses ab, ließ mir von ihm eine ausgiebige Streckenbeschreibung durch spärlich asphaltierte Waldwege geben, die ich dann mit meinem etwas zu großen Auto und sämtliche Verbotsschilder entlang fuhr.

Die größte Herausforderung war nun, mir in der Enge zwischen befestigtem Weg, Gras und Morast einen Weg an den zahlreichen anderen Geisterfahrern vorbei zu bahnen. Sagt man mir sonst überbordende Rücksichtnahme nach, wich diese einer unterkühlten Entschlossenheit.

Über die Höhen schaffte ich es schließlich ohne weitere Komplikationen nach Hause, gerade bevor sich die Straße vorm Haus endgültig in einen kleinen Fluss verwandelt hatte. Das kleine Bächlein, das sich hundert Meter die Straße hoch, sonst kaum hörbar in ein unterirdisches Kanalrohr in Richtung Ziel führt, hat sich aufgrund von einer Stauung einen anderen Weg gesucht.

In der Nachbarstadt musste ein Feuerwehrmann sein Leben lassen, nachdem ihm die Strömung auf der Straße die Beine wegzog und fort riss, ein weiterer konnte nur dank einer Menschenkette der Anwohner gerettet werden, die es schafften, ihn aufzufangen.

Die Videobilder von den tiefer gelegenen Straßenteilen, die ich tags darauf gesehen habe, zeigten wie Autos fortgespült wurden – darunter ein schwerer „Hummer“-Geländewagen, der gewöhnlich sehr standorttreu geparkt ist.

Tag Zwei

Mein nächster Arbeitstag bestand darin, den Platz eines Außenlagers von einer mehre Zentimeter hohen Schlammschicht zu befreien. Das Waschwasser floss immer noch eine andere Straße hinunter, so dass man es ggf. nur umleiten musste um den Schlamm zu verdünnen.

Ein Bushäuschen aus zwanzig Zentimeter dickem Waschbeton lag mit Resten von Asphalt hinterrücks im Bach, gepflasterte Gehwege waren bis auf die Bordsteine teils verschwunden und die Erdgeschosse einiger Betriebe sind wie die Keller und Gärten der Anwohner mit Wasser und Schlamm vollgelaufen.

Im eigenen Ort wurde ein Bahnübergang wie mehrere Waldstraßen unterspült und im Wege des Wassers hinfort gespült. Diese waren aber schon vorher reichlich marode.

Was Wassermassen anrichten können

Gefährlich wurde es vor allem für jene, deren Schlafzimmer sich in ausgebauten Kellergeschossen knapp über Wasserniveau befanden und keine Vorstellung darüber hatten, welche Kraft das Wasser entfaltet, wenn es in hoher Geschwindigkeit fließt.

Die Schäden vor Ort betreffen vor allem die teils ohnehin marode und vernachlässigte Infrastruktur sowie Behausungen und Industriestandorte in unmittelbarer Wassernähe.

Die mich derzeit beschäftigende Firma ist bis auf etwas angeschwemmte Erde unversehrt geblieben, und auch mein am Bach zurückgelassenes Auto blieb unversehrt. Keine Zehn Meter weiter jedoch verwandelte der Bach in einem Mäander aus einem 45°-Gefälle in einen Steilhang. Die Brücke wie die komplette Straße an dieser Stelle waren zeitweilig komplett in den reißenden Wassermassen versunken.

Hohenlimburg, der stark in Mitleidenschaft gezogene Stadtteil von Hagen, hatte schon seit fast zwanzig Jahren Straßen, die in solch marodem Zustand waren, dass deren Passage auch ohne entfesselte Wasserkraft zur Gefahr ausarten konnte. Kleine Gebirgsrinnsale wurden nun aber plötzlich zu sprudelnden Bächen, begradigte Bäche wurden zu Flüssen und sie alle suchten sich ein neues Flussbett auf den talabwärts führenden Straßen.

Bekannte strukturelle Problemstellen

Wie auch die Dürre der letzten zwei Jahre sind dies Extremwetterereignisse, die zwar glücklicherweise selten sind, allerdings auch nicht so selten, dass nicht mit ihnen zu rechnen sei. Das letzte Mal etwa floss unser Bach im Jahr 2006 die Straße herunter. Auch an der Stelle, an der es zu einer Unterspülung des Bahnübergangs kam, gab es damals Probleme.

Dort wo man die Gefahr für groß genug hielt, hat man damals Felsblöcke neben dem Bachbett platziert, um die Fließgeschwindigkeit potentiell herabzusetzen, und auch an dem Bach in der Nachbarstadt, wo Autos weggespült wurden, laufen aktuell infolge einer industriellen Standortaufgabe Renaturierungsmaßnahmen.

Als ich meine Mutter fragte, ob sie sich daran erinnern könne, ob so etwas in der Intensität hier schon einmal stattgefunden hat, erinnerte sie sich prompt an ein plötzliches sommerliches Starkregenereignis Mitte der Sechzigerjahre, das damals weit mehr Geröll bewegt hat als heute, und bei dem sogar LKW weggespült wurden.

In der Tragödie zeigt sich die Solidarität

Bei uns sind Menschen gestorben, die sich für den Dienst an ihren Mitmenschen in Gefahr begeben haben, und manche sind haarscharf mit dem Schrecken davongekommen. Das explosive Anschwellen der Opfer- und Vermisstenzahlen im Nachgang jedoch zeugt von einer Katastrophe, die weit größer war als der zeitweilig etwas zu groß geratene Bach vor meiner Haustür.

Die wirkliche Tragödie fand südlicher statt, an der Ahr, wo augenscheinlich ganze Siedlungen zerstört wurden, was erheblich schlimmer ist gegenüber jenen, die nur für kurze Zeit abgeschnitten waren.

Die augenblickliche Solidarität, der Bruderschluss unter verhassten Nachbarn in der Not, die Findigkeit und Entschlossenheit der Leute, die Fähigkeit schnelle Entscheidungen zu fällen, und die Selbstverständlichkeit, die Ärmel für andere hochzukrempeln, imponiert mir und überrascht mich sogar.

Auch der Zivilschutz in Form von freiwilliger Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, lokaler Verwaltung sowie ortsansässigen Bauunternehmungen hat mich positiv überrascht. Ich fürchte nur, dass der Tragödie im Nachhall nur wenige Ohren treffen wird. Mit der Solidarität wird es genau dann wieder zu Ende sein, wenn Versicherungen die Zahlung verweigern, das Solidaritätsprinzip des Staates ein jähes aber ehernes Ende findet, die Mitleidslosigkeit der Nachbarn wieder einkehrt und Ministerpräsidenten in Gummistiefeln mit dem Feixen aufhören.

Es bleiben vor allem politische Fragen

Ob dieses Ereignis die Swastika der Klimareligiösen wie ein Mühlrad im Strom des Abwassers erfolgreich rotieren lassen wird, bin ich doch gespannt abzuwarten.

Es ist aber noch zu erörtern, ob die Wasserbetriebe mit den unzähligen Talsperren verantwortungsvoll kalkuliert haben, und warum das Geld welches der Stärkung der Infrastruktur vorenthalten wurde, woanders hinfließen musste.

Quelle Titelbild

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