Horst D. Deckert

Zerbricht die Koalition? – Grüne beraten mit anderen Parteien

Die innenpolitische Bombe ist gestern geplatzt. Der tiefe ÖVP-Staat ist um eine Facette reicher (Wochenblick berichtete). Nun stehen die Vorwürfe der Bestechlichkeit und Untreue gegen den Kanzler und weitere türkis-schwarze Proponenten im Raum. Die Grünen ringen um ihre Position und laden auch die anderen Parteien zu Gesprächen ein. Steht Österreich vor einem Scheideweg und endet die Ära Sebastian Kurz?

  • Vorwürfe gegen den Kanzler und andere ÖVP-Politiker sowie Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Zentrale und im Bundeskanzleramt erschüttern die Republik
  • Sebastian Kurz beteuert abermals von nichts gewusst zu haben, die ÖVP steht weiter hinter dem Kanzler
  • Die Grünen haben Gespräche mit dem Bundespräsidenten und mit den anderen Parlamentsparteien angekündigt
  • Werden sie die Koalition platzen lassen?
  • Die Oppositionsparteien haben eine Sondersitzung des Nationalrats gefordert und ein Misstrauensvotum gegen Kurz angekündigt
  • Kommt es zu Neuwahlen oder zu einer Konzentrationsregierung aus SPÖ, FPÖ, Grünen und NEOS?

Sebastian Kurz kündigte jedoch schon an, weiter Bundeskanzler bleiben zu wollen. Er habe von nichts gewusst und Schuld tragen wenn schon, dann andere, etwa aus dem Finanzministerium. Auch sämtliche ÖVP-Teilorganisationen stellten sich in einer Presseaussendung hinter den Kanzler: „Er genießt das Vertrauen der Bevölkerung und liegt bei der Kanzlerfrage unangefochten an der Spitze.“ Wie lange noch, ist unklar. Man darf auch gespannt sein, wie die Ergebnisse zukünftiger Umfragen – ohne Sponsoring der ÖVP – aussehen. Auch sämtliche ÖVP-Landeshauptleute erklärten in einer Presseaussendung, auch weiterhin hinter dem Kanzler zu stehen.

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Van der Bellen spielt Krise herunter

Dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen bisher keine allzu klaren Worte zu der Causa fand – immerhin sind Hausdurchsuchungen in der Zentrale einer regierenden Partei und auch im Bundeskanzleramt ein Novum in der zweiten Republik – dürfte viele Österreicher irritieren. Auch der teilweise kolportierte Hinweis, als Präsident stehe er über den Dingen und steige nicht in die Niederungen der Tagespolitik hinab, kann nicht wirklich überzeugen. Bei der Veröffentlichung des Ibiza-Videos und bei der Frage der Migrantenaufnahme scheute er sich weniger, das Wort einschlägig zu ergreifen.

Was machen die Grünen?

Unter Zugzwang geraten durch die ÖVP-Skandale auch die Grünen als Koalitionspartner. Nun sind sie offenbar um Schadensbegrenzung bemüht, denn wie erklärt man als selbsternannte „moralische Saubermann/frau-Partei“ das Gebaren der Regierungskollegen? „Der Eindruck ist verheerend, der Sachverhalt muss lückenlos aufgeklärt werden“, schrieb der grüne Vizekanzler Werner Kogler auf Twitter und stellte fest: „Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund in Frage gestellt.“

Gestern wurde eine Anordnung zu Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Parteizentrale, dem Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt öffentlich. Darin wurde mutmaßlich korruptes Verhalten des engsten Umfeldes von Bundeskanzler Sebastian Kurz dokumentiert. (1/5)

— Werner Kogler (@WKogler) October 7, 2021

Regieren, aber mit wem?

Zieht Kogler gemeinsam mit der grünen Klubchefin Sigrid Maurer zieht Kogler die Reißleine, damit die Grünen nicht in den mutmaßlichen Korruptionssumpf der Kanzlerpartei mit hineingezogen werden? So sind jetzt sowohl Termine mit dem Bundespräsidenten anberaumt, als auch Treffen mit den Klubobleuten der anderen Parlamentsparteien. Zu einer möglichen Auflösung der Koalition wollten sich die Grünen zwar noch nicht äußern, würden sie doch gern in der Regierung bleiben. Aber ob das mit Sebastian Kurz weiterhin möglich ist, bleibt abzuwarten.

Das Angenehmste für die Grünen wäre vermutlich, wenn sich der bisherige Kanzler erst einmal in eine lange Babypause verabschiedet, bis die Vorwürfe rund um die mutmaßliche Inseratenkorruption geklärt sind. Zudem könnte man dann auch der eignen Basis glaubhaft vermitteln, ja nicht mit der Person Sebastian Kurz, sondern mit der ÖVP eine Koalition eingegangen zu sein…

Opposition attestiert Kurz „Amtsunfähigkeit“

Derzeit scheint eine derartige Pause jedoch nicht erwartbar zu sein. Zumal die Oppositionsparteien bereits eine Sondersitzung eingefordert haben und wieder ein Misstrauensvotum gegen den Kanzler im Raum steht. Würde dies durchgehen, wäre Kurz der erste Kanzler, den ein solches Votum nicht ein- sondern zweimal aus dem Amt gejagt hätte.

Derzeit ist die Opposition sich auch einig darin, dass es völliger Aufklärung bedarf. „Das ist einmalig in dieser zweiten Republik. Es besteht der Verdacht, dass hier Positionen erreicht wurden durch gefälschte Umfragen“, so SPÖ-Vizeklubobmann Jörg Leichtfried in einer Pressekonferenz.

Auch für FPÖ-Klubchef Herbert Kickl ist nach den aktuellen Vorfällen Sebastian Kurz „als Kanzler untragbar“. Man werde sich auch Gesprächen mit den Grünen nicht grundsätzlich verschließen, allerdings müssten diese vorher ihre Position klären. Ebenso äußerte sich auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger: „Für die Person gilt die Unschuldsvermutung, aber für das Amt die Amtsunfähigkeit“, richtete sie in Richtung ÖVP aus.

Expertenkabinett, Neuwahlen, Konzentrationsregierung?

Die meisten Österreicher interessiert derzeit allerdings, wie es weitergehen könnte, sollten die Grünen die Koalition aufkündigen. Eine andere Parlamentspartei, die einen fliegenden Wechsel in die Regierung vollzieht, um den „Tango korrupti“ mit der ÖVP weiter zu tanzen, wird sich kaum finden lassen. Also besteht die Möglichkeit einer Konzentrationsregierung aus SPÖ, FPÖ, Grünen und NEOS – bei welcher einige Parteien allerdings über ihren eigenen Schatten springen müssten. Ebenso möglich wäre eine Expertenregierung und die Anberaumung von Neuwahlen.

Wie geht es mit Corona-Politik weiter…

Spannend wird in diesem Zusammenhang auch, wie es mit der Corona-Politik weitergeht. War diese ja bisher weitgehend von medialer Angst- und Panikmache von Seiten des Kanzleramts bestimmt, wobei die SPÖ nicht müde wurde, noch strengere Maßnahmen zu fordern. Diese wurden in Wien auch umgesetzt, während die FPÖ schon länger ein Ende der Maßnahmen und eine Rückkehr zur Normalität forderte. Es dürften also noch spannende Tage in der österreichischen Innenpolitik werden.

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